Выбрать главу

Pierre Mondragon war ein großartiger Tänzer. Sei­ ne Bewegungen hatten etwas raubtierhaft Ge­ schmeidiges und dabei überaus Zärtliches. Er hielt Mrs. Collins eng umschlungen, und sie ließ sich von ihm führen - willenlos, wie sie erstaunt erkannte. Sie war eine bürgerlich erzogene Frau. Sie liebte ihren integren, etwas langweiligen Mann, sie hatte ihn nie betrogen und nie an etwas Derartiges gedacht. An diesem Abend veränderte sich Mrs. Collins' Leben ...

Die große Show mit all den Girls, Zauberern und Sängern - spectacle nannte man das hier - war vor­ über, und wieder tanzte Mrs. Collins mit dem Maler Pierre Mondragon; nun unter vielen anderen Paaren auf der großen Fläche über dem Meer, unter dem Himmel mit seinen Sternen und seinem honigfarbe­ nen Mond. Die Strahlenbündel bunter Scheinwerfer glitten über sie hinweg, eine Kapelle spielte Glenn Millers »Moonlight Serenade«.

»Sie sind wunderbar«, sagte Mondragon, während er sich mit Mrs. Collins langsam im Kreise drehte. »Sie sind wunderbar. Wissen Sie, was ein coup de foudre ist?«

»Nein«, sagte Mrs. Collins und fühlte, wie ein Schauer über ihren Rücken rann. Sie trug ein hinten tief ausgeschnittenes, auf die Figur geschnittenes Kleid aus Silberlame, er einen Smoking mit weißem Jackett und roter Schleife.

»Ein coup de foudre ist ein Blitzschlag der Liebe, Mrs. Collins«, sagte Pierre Mondragon. »Ein coup de foudre hat mich getroffen. Ich liebe Sie, Mrs. Col­ lins.«

»Sie dürfen nicht so sprechen«, sagte sie, und da war wieder der Schauer.

»Sie verbieten es mir, Sie zu lieben?«

»Ja.«

»Das können Sie nicht, Mrs. Collins.«

»Ich ... Was fällt Ihnen ein? Schweigen Sie! Schweigen Sie sofort! Ich bin glücklich verheiratet seit fünfundzwanzig Jahren.«

»Sie sind nicht wirklich glücklich. Ich werde Sie glücklich machen, so glücklich, wie Sie noch nie gewesen sind.« Plötzlich preßte er ihren Körper fest an sich.

»Lassen Sie mich sofort los!«

Seine Lippen suchten die ihren. Er hielt sie noch fester.

»Sie sollen mich loslassen! Ich schreie!« »Schreien Sie, Mrs. Collins! Schreien Sie!« »Bitte lassen Sie mich los, Monsieur Mondragon! Bitte!«

»Bitte ist schon besser«, sagte er und lockerte den Griff seiner Arme. »Ich habe es ja gewußt.« »Was?« Sie konnte kaum reden.

»Daß auch Sie verrückt sind nach mir«, sagte Pi­ erre Mondragon.

Und genau das war ich«, sagte Mrs. Collins. Immer noch heulte der Sturm um den Train bleu, immer noch prasselte Regen auf den Zug, der durch die Nacht südwärts jagte. Sanft wiegte sich der Wagen. »Wahnsinn, nicht wahr? Vollkommener Wahnsinn!« Sie strich sich über das Haar und sah mich an. Einmal lächelte sie nicht. »Ich würde gerne noch etwas trinken.«

Ich füllte ihr Glas.

»Sie auch«, sagte Mrs. Collins.

»Ich fürchte, die Flasche ist leer.«

»Nun, wollen wir ... Können wir ... Ich habe Ihnen noch viel zu erzählen ... und es ist noch nicht spät ... Wenn Sie mich nicht zu allem anderen auch noch für eine Säuferin halten ...«

Ich drückte den Klingelknopf.

»Sie müssen sich das vorstellen, Monsieur Royan«, sagte Mrs. Collins. »Meine Familie kommt aus Boston. Ich wurde in Vassar erzogen. Ich kann­ te vor der Ehe zwei Männer. Drei Männer und fünf­ undvierzig Jahre. Mit meinem Mann hatte ich fünfundzwanzig Jahre eine gute, ruhige Ehe ge­ führt. Er liebte mich aufrichtig, ich liebte ihn ebenso. Wir waren voller Achtung und Umsicht füreinander. Und dann dieser Maler, dieser Pierre Mondragon, und der coup de foudre. Glauben Sie, daß es so etwas überhaupt gibt?«

»O gewiß, Mrs. Collins«, sagte ich.

»Es muß so etwas geben«, murmelte sie. »Ich wäre mit Pierre von der Tanzfläche weg ins nächste Hotel gegangen.«

Es klopfte.

Der kahlköpfige Schaffner erschien.

»Noch eine Flasche, bitte«, sagte ich.

»Gerne, M'sieur - dame, sofort.«

Er verschwand.

Ich sah Mrs. Collins an. Jetzt lächelte sie wieder. »Und niemand bemerkte etwas«, sagte sie. »Nicht einmal mein armer Erskine. Im Laufe der Nacht schloß er noch Freundschaft mit Mondragon. Freundschaft! Er war ganz begeistert von diesem Maler. Im übrigen waren alle begeistert von ihm, wissen Sie. Er war ein Mann, den einfach alle sofort mochten.« Sie blickte ins Leere. »Damals war mein Haar noch braun«, sagte sie nach einer kleinen Pause. »Es hatte schon graue Strähnen, aber ich färbte es. Kastanienbraun. Mit einem Stich ins Röt­ liche. Und ich trug es locker, es fiel mir bis auf die Schultern.«

Ich dachte, wie schön sie mit ihren fünfundvierzig Jahren gewesen sein mußte. Sicherlich hätte auch ich mich um sie bemüht. Allerdings nicht so stür­ misch wie dieser Mondragon.

Der Schaffner kehrte mit einem neuen Kübel voller Eisstückchen, neuen Gläsern und einer neuen Fla­ sche Pommery zurück. Er betrachtete uns wohlwol­ lend.

»Ich mache das schon, danke«, sagte ich. Er nickte und verschwand mit dem ersten Kübel und der er­ sten Flasche. Ich öffnete die zweite. Nachdem ich gekostet und wir wieder getrunken hatten, sagte Mrs. Collins: »Damit Sie das Folgende richtig ver­ stehen, Monsieur Royan: Zu dieser ersten Begeg­ nung mit Pierre im PALM BEACH kam es am vierzehnten April. Das Datum des Hochzeitstages war der achtzehnte April. Am vierzehnten, das war sozusagen eine Vorfeier.« Ich nickte. »Nun, in die­ ser Nacht gingen wir alle noch in den Spielsaal. Erskine war ein leidenschaftlicher Spieler, immer schon. Er spielte Roulette. Nicht, um unbedingt zu gewinnen, es machte ihm nichts aus, ob er gewann oder verlor. Sie müssen bedenken, mein Mann war - verzeihen Sie das harte Wort - sehr reich. Er spiel­ te um des Spieles willen, des Nervenkitzels, der Atmosphäre halber. Und er gewann fast immer. Auch an diesem Abend. Er gewann sehr viel.« Sie lachte leise. »Sobald er spielte, durfte man ihn nicht mehr ansprechen. Er haßte es, wenn man sich ne­ ben ihn setzte oder hinter ihn stellte. Er wünschte, ganz allein und unbeobachtet zu sein. Nun«, sie lachte wieder, »das konnte er haben an diesem Abend! Pierre und ich saßen an der Bar. Wir betru­ gen uns jetzt wie Gymnasiasten. Wir sahen einan­ der in die Augen und legten die Hände aneinander, und wieder und wieder berührten sich unsere Schu­ he. Plötzlich, nach diesem Ausbruch beim Tanzen, schien Pierre scheu und sentimental. Und dadurch steigerte sich mein Verlangen natürlich nur noch.« Sie nahm eine neue Zigarette, und ich gab ihr Feu­ er. »Er erzählte von seinem Leben. Er war nicht verheiratet, und er arbeitete viel und hart. ›Sie müs­ sen zu mir kommen und meine Bilder sehen - mit Ihrem Mann natürlich‹, fügte er schnell hinzu. Wie gesagt, er war jetzt scheu, fast gehemmt. Dann er­ zählte er mir, wie schön Saint-Paul-de-Vence sei. Nur etwa zweitausend Menschen lebten in dem seit dem Mittelalter befestigten Ort inmitten von Palmen- und Olivenhainen. Die Stadtmauer aus dem sech­ zehnten Jahrhundert war noch erhalten. Kennen Sie Saint-Paul-de-Vence?«

»Nein.«

»Aber ich«, sagte sie. »Wenn ich die Augen schlie­ ße, sehe ich jeden Baum vor mir, jedes Haus, jeden Stein.« Tatsächlich schloß sie die Augen und hielt sie auch während der nächsten Sätze geschlossen. »Die Kirche stammt aus dem dreizehnten Jahrhun­ dert. In ihr gibt es einen Schatz, einen wirklichen Schatz. Die Häuser sind uralt, und aus großen Stei­ nen sind die unebenen Außenmauern gefügt. Man kann nur bis zu einem Platz bei einem großen Oli­ venbaum fahren, dann muß man die Straße in den Ort hinauf zu Fuß gehen. Es gibt dort die Fondation Maeght. Von ihr haben Sie schon gehört, nicht wahr?« Ich nickte. »Sie soll zur besseren Kenntnis der modernen Kunst führen und mehr Liebe für sie wecken. Ununterbrochen gibt es das ganze Jahr über Ausstellungen. Die Fondation hat eine große Sammlung. Sie können Werke von Bonnard, Bra­ que, Miró, Calder, Kandinsky, Ubac und so fort se­ hen.« Sie lachte. »Ja, ich kenne mich aus, Pierre hat mir das alles später gezeigt und erklärt. Ich ver­ danke ihm viel ...« Ihre Stimme verlor sich. »Und haben Sie Mondragon besucht?« fragte ich. »Warten Sie«, sagte sie. »Warten Sie, ich erzähle Ihnen alles, Ihnen, einem Fremden, in dieser Nacht, in der mein neues Leben beginnt. Nein, es hat ei­ gentlich schon gestern begonnen. Gestern bin ich von New York abgeflogen ...« Sie sog an ihrer Ziga­ rette. »Nun, zuletzt versammelten sich damals alle an der Bar, der alte armenische Juwelier Alassian, der Generalkonsul, die Schweden, die Deutschen, die Italiener, und auch Erskine kam endlich - er hat­ te fast dreißigtausend Franc gewonnen. Mondragon wiederholte seine Einladung an Erskine und mich. Alle anderen kannten sein Atelier schon, und sie kannten Saint-Paul-de-Vence. Sie redeten uns zu, am meisten der alte Reuben Alassian aus Nizza.« »Und Ihr Mann nahm die Einladung an?« »Der arme Erskine!« Sie lachte. »Er verstand nichts von Bildern, und Malerei interessierte ihn ebenso­ wenig wie Musik oder Bildhauerei oder Literatur. Er hatte seine Bank. Er hatte sein Metier: das Geld. Das war es, wofür er sich interessierte, wofür er Leidenschaft empfand.«