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Sie half ihm beim Waschen und Rasieren und sie fand sauberes Bettzeug. Sie gab ihm etwas Hühnerbrust aus der Dose, die sie in Mr. Sleamans Laden gekauft hatte. Sie saß auf dem Bett und sah ihm beim Essen zu, während sie darüber nachdachte, dass sie noch niemals vorher so glücklich gewesen war.

Er schlief bald ein. Sie zog die Decke über seine Schultern und ging zum Fenster. Sie schlug die vergilbten Vorhänge zurück, schob das Fenster hoch und schaute hinaus. Im Hof waren Fenster erleuchtet. Durch das eine konnte sie den flimmernden blauen Schatten eines Fernsehschirmes sehen, der bewegungslose Gestalten in seinem Bann hielt, hinter dem anderen drehte sich eine ziemlich junge Frau Lockenwickler in ihr Haar. Liz hätte über die verworrene Selbsttäuschung in ihren Träumen weinen können.

Sie schlief in einem Sessel, bis es fast hell war, und als sie aufwachte, fühlte sie sich kalt und steif. Sie ging zum Bett. Leamas regte sich, als sie ihn anschaute, und sie berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen. Er zog sie, ohne die Augen zu öffnen, sanft aufs Bett herunter. Plötzlich hatte sie heftiges Verlangen nach ihm, so dass nichts anderes mehr wichtig war, und sie küßte ihn wieder und wieder, und als sie ihn ansah, schien er zu lächeln.

Beinahe eine Woche lang kam sie jeden Tag. Er sprach nie viel mit ihr, und als sie ihn einmal fragte, ob er sie liebe, sagte er, er glaube an keine Märchen. Sie legte sich dann auf das Bett, den Kopf auf seiner Brust, er fuhr ihr mit seinen dicken Fingern ins Haar und hielt es ziemlich fest, während Liz lachte und sagte, es tue ihr weh.

Als sie Freitag abend kam, war er angezogen, aber nicht rasiert, und sie wunderte sich darüber. Irgendein unbestimmtes Gefühl alarmierte sie. Im Zimmer fehlten verschiedene Kleinigkeiten, wie etwa die Wanduhr und das billige tragbare Radio, das auf dem Tisch gestanden hatte. Sie wollte fragen, wagte es aber nicht. Sie hatte Eier und Schinken gekauft und daraus bereitete sie das Abendessen, während Leamas auf dem Bett saß und eine Zigarette nach der anderen rauchte. Als das Essen fertig war, ging er in die Küche und kam mit einer Flasche Rotwein zurück. Er sprach während des Essens kaum ein Wort. Sie beobachtete ihn mit wachsender Angst, bis sie es nicht mehr aushielt und plötzlich rief: »Alec, Alec … was ist denn? Ist das der Abschied?«

Er stand vom Tisch auf, nahm ihre Hände und küßte sie, wie er sie nie vorher geküßt hatte. Dann sprach er lange Zeit leise auf sie ein, erzählte ihr Dinge, die sie nur halb verstand, weil sie die ganze Zeit wußte, dass es das Ende war und nichts anderes mehr eine Rolle spielte.

»Leb wohl, Liz«, sagte er. »Leb wohl.« Und dann: »Diesmal suche mich nicht mehr. Diesmal nicht.«

Liz nickte und murmelte: »Wie wir gesagt haben.« Sie war dankbar für die beißende Kälte auf der Straße und für die Dunkelheit, die ihre Tränen verbarg.

Es war am nächsten Morgen, am Samstag, als Leamas beim Krämer um Kredit bat. Er tat es unbeholfen und auf eine Art, die nicht sehr erfolgversprechend schien. Er verlangte ein halbes Dutzend Dinge, die zusammen nicht mehr als ein Pfund gekostet hätten, und als sie in seinem Tragbeutel verstaut waren, sagte er: »Am besten, Sie schicken mir die Rechnung.«

Der Krämer zeigte ein schiefes Lächeln und sagte: »Ich fürchte, das kann ich nicht!«, wobei er das »Sir« mit deutlicher Absicht fortließ.

»Warum nicht, zum Teufel?« fragte Leamas. Die Wartenden hinter ihm bewegten sich in unruhiger Verlegenheit.

»Kenn' Sie ja nicht«, erwiderte der Krämer.

»Seien Sie nicht albern«, sagte Leamas. »Seit vier Monaten kaufe ich jetzt bei Ihnen ein.«

Der Krämer lief rot an. »Bevor wir Kredit geben, brauchen wir eine Bankauskunft«, sagte er. Leamas verlor die Geduld.

»Reden Sie keinen Unsinn«, brüllte er. »Die Hälfte Ihrer Kunden hat noch nie eine Bank von innen gesehen - und wird sie auch nie zu sehen bekommen.«

Das war unerträglich, weil es die Wahrheit war.

»Ich kenne Sie nicht«, wiederholte der Krämer heiser, »und ich schätze Sie nicht. Machen Sie jetzt, dass Sie aus meinem Laden hinauskommen.« Er bemühte sich, das Paket wieder an sich zu nehmen, das Leamas unglücklicherweise schon in der Hand hielt.

Man war später verschiedener Meinung darüber, was im Anschluß daran geschehen war. Einige sagten, der Krämer habe bei dem Versuch, das Paket an sich zu bringen, Leamas gestoßen. Andere sagten, er habe es nicht getan. Auf jeden Fall stand fest, dass Leamas nach dem Krämer geschlagen hatte, und zwar nach Ansicht der meisten zweimal, ohne dass er seine rechte Hand freigemacht hätte, die noch immer den Tragbeutel hielt. Er schien den Schlag nicht mit der Faust zu führen, sondern mit der Kante der linken Hand und - als Teil derselben unglaublich schnellen Bewegung - mit dem linken Ellbogen. Der Krämer ging kerzengerade zu Boden und rührte sich nicht mehr. Vor Gericht wurde später behauptet, und von der Verteidigung nicht bestritten, dass der Krämer zwei Verletzungen davongetragen hatte: vom ersten Schlag einen gebrochenen Backenknochen und vom zweiten ein ausgerenktes Kinn. Die Berichterstattung war angemessen, aber nicht übertrieben ausführlich.

6 KONTAKT

Nachts lag er auf seiner Pritsche und hörte auf die Laute der Häftlinge: das heimliche Schluchzen eines jungen Burschen und den Gesang eines alten Zuchthäuslers, der auf seinem Blechnapf den Takt dazu schlug. Ein Wärter schrie nach jedem Vers: »Halt's Maul, George, du alter Schurke«, aber niemand nahm Notiz davon. Dann war ein Ire da, der Lieder über den Freiheitskampf sang, obgleich die anderen sagten, er sei wegen Vergewaltigung eingesperrt.

Leamas versuchte, am Tage möglichst viel Bewegung zu machen, um müde zu werden und nachts schlafen zu können, aber es half nichts. Nachts wußte man, dass man im Gefängnis war: Nachts gab es nichts, was einem geholfen hätte, den ekelhaften Zustand des Gefangenseins zu vergessen, keinen Trick der Einbildungskraft, keine Selbsttäuschung. Man konnte sich weder der Gefängnisluft entziehen noch dem Geruch der eigenen Sträflingskleidung, noch dem Gestank der Kübel, noch den Geräuschen der anderen Männer. Besonders in der Nacht schien die Würdelosigkeit der Haft kaum noch erträglich, und besonders dann sehnte sich Leamas nach einem Spaziergang im freundlichen Sonnenschein eines Londoner Parks. Besonders in der Nacht empfand er gegen den grotesken Stahlkäfig, in dem er eingeschlossen war, einen so großen Haß, dass er nur schwer dem Wunsch widerstehen konnte, mit den bloßen Fäusten gegen die Käfigstangen loszugehen, die Schädel seiner Wärter einzuschlagen und in den freien Raum Londons auszubrechen. Manchmal dachte er an Liz. Er hatte sich angewöhnt, die Gedanken wie das Objektiv einer Kamera auf sie zu richten, um für einen Augenblick die Erinnerung an die Berührung ihres weichen und doch straffen Körpers zu genießen und sie dann wieder aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Leamas war ein Mann, der gewohnt war, von Träumen zu leben.

Er verachtete seine Zellengenossen, und sie haßten ihn. Sie haßten ihn, weil er das war, was jeder heimlich zu sein wünschte: ein Geheimnis. Er bewahrte einen deutlich spürbaren Teil seiner Persönlichkeit vor dem Zugriff der Gefängnisgemeinschaft, indem er sich auch in sentimentalen Augenblicken nicht dazu hinreißen ließ, über sein Mädchen, seine Familie oder seine Kinder zu sprechen. Die anderen wußten nichts von Leamas. Sie warteten darauf, dass er sich ihnen anvertraute, aber er kam nicht zu ihnen.

Es gibt im großen und ganzen nur zwei Arten von Neulingen im Gefängnis, die einen sind von Scham, Furcht oder Schock in einen Zustand des starren Schrecks versetzt, in dem sie darauf warten, in die Lehre des Gefängnislebens eingeführt zu werden, während die anderen mit ihrer elenden Neuheit hausieren gehen, um sich bei der Gemeinschaft einzuschmeicheln. Leamas tat keines von beiden. Er schien zufrieden damit zu sein, sie alle zu verachten, und sie haßten ihn, weil sie von ihm ebensowenig wie von der Welt draußen gebraucht wurden. Nach ungefähr zehn Tagen waren sie es überdrüssig. Er hatte den Großen nicht gehuldigt und den Kleinen keinen Trost gespendet, so dass man ihn in der Essensschlange rempelte. Rempeln ist ein Gefängnisbrauch, der auf die im 18. Jahrhundert üblich gewesene Technik des Quetschens zurückgeht. Er hat den Vorteil, ein scheinbarer Zufall zu sein, bei dem der Inhalt des Eßgeschirrs auf die Uniform des Gefangenen geschüttet wird. Während Leamas von der einen Seite heftig gestoßen wurde, senkte sich auf der anderen eine gefällige Hand auf seinen Unterarm, schon war die Sache bewerkstelligt. Leamas sagte nichts, sondern prägte sich nur aufmerksam die Gesichter der beiden Männer ein. Den unflätigen Wutanfall des Aufsehers, der sehr wohl wußte, was vorgefallen war, ließ er stillschweigend über sich ergehen.