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„Ist es nicht zu dunkel zum Lesen?“ fragte er schließlich.

Das Mädchen fuhr zusammen, als wären seine Gedanken woanders gewesen. Dann klappte es das Buch, das vor ihm lag, zu. „Nein. Ich will auch nicht mehr lesen. Es ist zwecklos.“

„Es lenkt einen manchmal ab“, sagte Kern. „Wenn ich irgendwo einen Kriminalroman finde, lese ich ihn in einem Zuge durch.“

Das Mädchen lächelte müde. „Dies ist kein Kriminalroman. Es ist ein Lehrbuch der anorganischen Chemie.“

„Ach so! Sie waren an der Universität?“

„Ja. In Würzburg.“

„Ich war in Leipzig. Ich hatte anfangs auch meine Lehrbücher bei mir. Ich wollte nichts vergessen. Später habe ich sie dann verkauft. Sie waren zu schwer zum Tragen, und ich habe mir Toilettewasser und Seife dafür gekauft, um damit zu handeln. Davon lebe ich jetzt.“

Das Mädchen sah ihn an. „Sie machen mir nicht gerade sehr viel Mut.“

„Ich wollte Sie nicht mutlos machen“, sagte Kern rasch. „Bei mir war das etwas ganz anderes. Ich hatte überhaupt keine Papiere. Sie haben doch wahrscheinlich einen Pass.“

Das Mädchen nickte. „Einen Pass habe ich. Aber er läuft in sechs Wochen ab.“

„Das macht nichts. Dann können Sie ihn sicher verlängern lassen.“

„Ich glaube nicht.“

Das Mädchen stand auf.

„Wollen Sie nicht noch eine Zigarette rauchen?“ fragte Kern.

„Nein, danke. Ich rauche viel zuviel.“

„Jemand hat mir einmal gesagt, eine Zigarette im richtigen Augenblick wäre besser als alle Ideale der Welt.“

„Das stimmt.“ Das Mädchen lächelte, und auf einmal erschien sie Kern sehr schön. Er hätte viel darum gegeben, weiter mit ihr zu sprechen, aber er wusste nicht, was er tun sollte, damit sie noch bliebe.

„Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann“, sagte er schnell, „ich würde es gern tun. Ich kenne das hier in Prag. Ich war schon zweimal hier. Ich heiße Ludwig Kern und wohne in dem Zimmer rechts neben Ihnen.“

Das Mädchen sah ihn mit einem raschen Blick an. Kern glaubte schon, alles verraten zu haben. Aber sie gab ihm unbefangen die Hand. Er spürte einen festen Druck. „Ich will Sie gern fragen, wenn ich etwas nicht weiß“, sagte sie. „Danke vielmals.“

Sie nahm ihre Bücher vom Tisch und ging die Treppe hinauf.

Kern blieb noch eine Weile in der Halle sitzen. Er wusste plötzlich alles, was er hätte sagen sollen.

* * *

„Noch einmal Steiner“, sagte der Falschspieler. „Weiß der Himmel, ich bin nervöser für Ihr Debüt in der Quetsche drüben, als wenn ich selbst im Jockeiklub spiele.“

Sie saßen in der Bar, und Fred machte Generalprobe mit Steiner. Er wollte ihn in einer Kneipe in der Nähe zum erstenmal gegen ein paar kleinere Falschspieler loslassen. Steiner sah darin den einzigen Weg, um vielleicht zu Geld zu kommen – von Diebstahl und schwerem Raub abgesehen.

Sie übten etwa eine halbe Stunde den Trick mit den Assen. Dann war der Taschendieb zufrieden und stand auf. Er war im Smoking. „Ich muss jetzt los. Oper. Große Premiere. Die Lehmann singt. Bei wirklich großer Kunst ist immer was zu tun für uns. Macht die Leute geistesabwesend, verstehen Sie?“ Er gab Steiner die Hand. „Übrigens – da fällt mir noch ein – wieviel Geld haben Sie?“

„Zweiunddreißig Schilling.“

„Das ist zuwenig. Die Brüder müssen größeres Geld sehen, sonst beißen sie nicht an.“ Er griff in die Tasche und zog einen Hundertschillingschein heraus.

„Hier, damit zahlen Sie Ihren Kaffee; dann wird schon einer kommen. Geben Sie das Geld dem Wirt zurück für mich; er kennt mich. Und nun: kurz spielen und aufpassen, wenn die vier Damen kommen! Hals- und Beinbruch![26]

Steiner nahm den Schein. „Wenn ich das Geld verliere, kann ich es Ihnen nie zurückgeben.“

Der Taschendieb zuckte die Achseln. „Dann ist es eben weg. Künstlerpech. Aber Sie werden es nicht verlieren. Ich kenne die Leute. Einfache Bauernfänger. Keine Klasse. Sind Sie nervös?“

„Ich glaube nicht.“

„Auch dann haben Sie noch eine Chance. Die drüben wissen nicht, dass Sie was wissen. Bis sie es merken, sind sie schon eingeseift und können nicht mehr viel machen. Also Servus.“

„Servus.“

Steiner ging zu der Kneipe hinüber. Er überlegte unterwegs, dass es sonderbar war: kein anderer Mensch hätte ihm auch nur ein Viertel des Geldes anvertraut, das ihm der Falschspieler bedenkenlos gegeben hatte. Immer dasselbe. Gott sei Dank!

Im vorderen Raum der Kneipe waren ein paar Tarockpartien im Gang. Steiner setzte sich ans Fenster und bestellte einen Schnaps. Umständlich zog er seine Brieftasche, in die er noch ein paar Bogen Papier gesteckt hatte, damit sie voller aussah, und zahlte mit dem Hunderter.

Eine Minute später sprach ihn ein schmächtiger Mann an und forderte ihn auf, bei einem kleinen Poker mitzuspielen. Steiner lehnte gelangweilt ab. Der Mann redete ihm zu.

„Ich habe zuwenig Zeit“, erklärte Steiner. „Höchstens eine halbe Stunde, das ist zum Spielen doch zuwenig.“

„Aber wo, aber wo!“ Der Schmächtige zeigte ein sehr schadhaftes Gebiss. „In einer halben Stunde hat schon mancher sein Glück gemacht, Herr Nachbar!“

Steiner sah die beiden andern am Nebentisch an. Einer hatte ein dickes Gesicht und eine Glatze, der andere war schwarz, stark behaart und hatte eine zu große Nase. Beide blickten ihn gleichgültig an. „Wenn es wirklich nur für eine halbe Stunde ist“, sagte Steiner scheinbar zögernd, „könnte man es ja mal versuchen.“

„Aber natürlich, natürlich“, erwiderte der Schmächtige herzlich.

„Und ich kann aufhören, wann ich will?“

„Aber klar, Herr Nachbar, wann Sie wollen.“

„Auch wenn ich gewonnen habe.“

Die Lippen des Dicken am Tisch verzogen sich etwas. Er sah zu dem Schwarzen hinüber: da schien man ein richtiges Spießbürgerhühnchen im Netz zu haben. „Aber gerade, dann gerade, Herr Nachbar!“ meckerte der Schmächtige fröhlich.

„Also gut.“

Steiner setzte sich an den Tisch. Der Dicke mischte und gab. Steiner gewann ein paar Schilling. Als er selbst mischte, fühlte er die Kartenränder ab. Dann mischte er noch einmal, hob für sich an der Stelle ab, wo er etwas spürte, bestellte einen Sliwowitz, blickte dabei unter den oberen Pack und sah, dass es die Könige waren, die etwas beschnitten waren. Dann mischte er wieder gut und gab.

Nach einer Viertelstunde hatte er ungefähr dreißig Schilling gewonnen. „Ganz gut!“ meckerte der Schmächtige. „Wollen wir nicht mal etwas höher ’rangehen?“

Steiner nickte. Er gewann auch den nächsten Satz, der höher gereizt war. Dann gab der Dicke. Er hatte rosa Patschhändchen, die eigentlich zu klein für die Volte waren. Steiner sah, dass er sie trotzdem sehr geschickt machte. Er hob seine Karten auf. Er hatte drei Damen.

„Wieviel?“ fragte der Dicke und kaute an seiner Zigarre.

„Vier“, sagte Steiner. Er merkte, dass der Dicke stutzte, denn er hätte nur zwei Karten kaufen dürfen. Der Dicke schob ihm vier hin. Steiner sah, dass die erste die vierte, fehlende Dame war. Er hatte natürlich jetzt kein Blatt und warf mit einem „Verdammt! Verkauft!“ die Karten hin. Die andern drei sahen sich an und passten auch.

Steiner wusste, dass er nur etwas machen konnte, wenn er selbst gab. Seine Chancen standen dadurch eins zu drei. Der Taschendieb hatte recht gehabt. Er musste rasch handeln, ehe die andern zuviel merkten.

Er machte den As-Trick, aber nur einfach. Der Säugling spielte gegen ihn und verlor. Steiner sah nach der Uhr. „Ich muss fort. Letzte Runde.“

„Na, na, Herr Nachbar!“ meckerte der Kleine. Die andern beiden sagten nichts.

Beim nächstenmal hatte Steiner vier Damen im ersten Blatt. Er kaufte eine Karte hinzu. Eine Neun. Der behaarte Schwarze kaufte zwei Karten. Steiner sah, dass der Schmächtige sie mit einer Schleuderbewegung der Hand von unten her gab. Er wusste Bescheid, reizte aber trotzdem bis zu zwanzig Schilling mit und gab dann auf. Der Schwarze schoss ihm einen Blick zu und kassierte den Pott. „Was haben Sie denn für eine Karte gehabt?“ bellte der Schmächtige und warf rasch Steiners Blatt um. „Vier Damen! Und da passen Sie, Mann Gottes? Da war doch alles Geld der Welt drin! Was haben Sie denn gehabt?“ fragte er den Schwarzen.

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Hals- und Beinbruch! – umgangssprachliche Wunschformel für das gute Gelingen eines Vorhabens mit der Bedeutung Viel Glück! (russ. Ни пуха ни пера!)