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»Malthusl« Domenicus' Stimme war nur noch einen Deut davon entfernt, zu einem Schrei zu werden. »Laßt ihn los! Sofort!«

Für einen entsetzlich langen Moment reagierte der goldene Ritter nicht, sondern starrte Andrej nur mit einem Haß an, den dieser nicht verstand. Der blutige Dolch in seiner Hand bewegte sich, seine Spitze bohrte sich in das weiche Fleisch unter Frederics Kinn, so daß der Junge nun von sich aus den Kopf so weit in den Nakken bog, wie er nur konnte.

Domenicus rief noch einmaclass="underline" »Malthusl«, und endlich ließ der Ritter den Dolch sinken. Gleichzeitig versetzte er Frederic einen Stoß, der diesen nach vorne taumeln und unmittelbar vor Andrej auf die Knie fallen ließ.

»Ich freue mich schon auf unser nächstes Zusammentreffen, Delãny«, höhnte er. »Ich hoffe für dich, daß du dann auch wieder eine junge Frau bei dir hast, hinter der du dich verstecken kannst.«

Die Verachtung, die er in seine Stimme legen wollte, war jedoch nicht echt. Andrej verstand zwar nicht, warum, aber er spürte ganz deutlich, daß sich hinter dem aufgesetzten Spott im Tonfall seines Feindes nichts anderes als Furcht verbarg. Vielleicht lag das daran, daß bei Delãnys letztem Zusammentreffen mit den Goldenen einer von ihnen tot zurückgeblieben war - zwar durch Sergés und nicht durch seine eigene Waffe gefällt, aber das konnte Malthus ja nicht wissen; wahrscheinlich ging er davon aus, daß Andrej den Ritter in einem Handgemenge nach dem Wirtshausbrand getötet hatte.

»Gilt Euer Wort, Andrej Delãny?« fragte Domenicus.

Andrejs Schwert blieb weiterhin einen halben Finger breit vor Marias Kehle liegen, aber er ließ mit der anderen Hand ihren Arm los und half Frederic auf die Füße. Der Schnitt am Hals des Jungen blutete nicht mehr, aber zwischen seinen Fingern quollen einige zähe Tropfen hervor, die die gleiche Farbe hatten wie Domenicus Mantel.

»Delãny!«

Andrej wandte sich wieder dem Inquisitor zu. »Eurer Schwester wird nichts geschehen«, sagte er. »Ich lasse sie frei, sobald wir in Sicherheit sind.«

Er trat einen Schritt zurück. Domenicus versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Der Geistliche war klug genug, die Situation richtig einzuschätzen. Aber er sagte: »Ihr kommt niemals aus der Stadt heraus, das ist Euch doch klar?«

»Wir werden sehen«, antwortete Andrej und machte einen weiteren, vorsichtigen Schritt zurück. In dieser Sekünde trat Frederic neben ihn, zog den schmalen Dolch aus Marias Gürtel und schleuderte die Waffe nach Vater Domenicus. Der Junge handelte so schnell, daß Andrej nicht den Hauch einer Chance hatte, ihn noch aufzuhalten.

Der Dolch drang bis ans Heft in die Kehle des Inquisitors und fuhr im Nacken wieder heraus. Domenicus preßte beide Hände gegen den Hals, stieß einen gurgelnden Schrei aus und spie Blut. Maria kreischte schrill und wie unter Schmerzen und stürzte so ungestüm vor, daß Andrej gerade noch Zeit fand, das Sarazenenschwert zur Seite zu ziehen, damit sich die junge Frau nicht selbst enthauptete. Malthus riß mit einem zornigen Knurren das Schwert aus dem Gürtel, prallte aber in seiner Hast gegen einen der Soldaten und fiel mit einem gellenden Wutschrei zu Boden.

Endlich überwand Andrej sein Entsetzen, drehte sich auf der Stelle herum und schleifte Frederic mit sich fort. Er sah noch, daß Maria von ihrem Bruder mit zu Boden gerissen wurde, als dieser zusammenbrach - dann tauchten die beiden Fliehenden in die auseinanderstiebende Menge ein. Rings um sie herum gellte erneut ein Chor entsetzter Schreie auf.

Andrej verschwendete keine Zeit darauf, sich nach möglichen Verfolgern umzublicken, sondern bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge. Als sie auf eine schmale Gasse zwischen zwei weiß getünchten Häusern zustürmten, blickte er schließlich doch über die Schulter zurück. Sie wurden tatsächlich verfolgt, wenn auch nicht von Malthus oder einem der Gefolgsmänner des Inquisitors, sondern von einem halben Dutzend Soldaten des Herzogs von Constãntã. Die Männer in den orangeweißen Uniformen drängten weit skrupelloser durch die Menge als Frederic und er und machten notfalls auch von ihren Waffen Gebrauch, um schneller voranzukommen. Tatsächlich verringerte sich der Abstand zwischen ihnen von Sekunde zu Sekunde.

Andrej schwenkte nach links, rannte mit weit ausgreifenden Schritten auf einen Marktstand mit Gemüse zu und führte drei blitzartige Hiebe mit dem Sarazenenschwert aus. Der Marktstand brach augenblicklich zusammen und löste sich in eine Lawine aus rollenden Kohlköpfen, Lauchstangen und Rüben auf, über die Andrej und Frederic mit einem gewaltigen Sprung hinwegsetzten. Nachdem er dieses Manöver an einem weiteren Marktstand durchgeführt hatte, sah Andrej beim Blick über die Schulter, wie die Hälfte ihrer Verfolger auf einem Sturzbach zerbrechender Tontöpfe und Trinkbecher ausglitt und die andere Hälfte unter einem flatternden Tuch von der Größe eines kleinen Segels begraben wurde. Er versuchte sein Tempo noch einmal zu beschleunigen, aber es gelang ihm nicht. Die Menschenmenge durch die sie sich kämpfen mußten, bremste ihren Schritt.

Schließlich erreichten sie das andere Ende des Marktplatzes und liefen in eine schmale Straße hinein. Nach ein paar Metern erkannte Andrej diese Gasse; es war die gleiche, durch die sie schon am Vortag geflüchtet waren.

Nun hatten sie wenigstens eine Chance, ihren Verfolgern zu entkommen. Sie kamen rasch voran, niemand machte auch nur den Versuch, sie aufzuhalten. Obwohl sie immer wieder die Richtung wechselten, wußte Andrej genau, wo er hin wollte. Es mußte ihnen nur gelingen, ihre Verfolger in eine falsche Richtung zu locken, und sie würden frei sein - zumindest für den Moment. Um nicht unnötig aufzufallen und um wieder ein wenig zu Atem zu kommen verlangsamten sie ihre Schritte.

»Wo willst du hin?« fragte Frederic.

»Was glaubt du denn?« zischte Andrej. »Meinst du, nach deiner Glanzleistung können wir uns noch irgendwo blicken lassen?«

Obwohl ihnen die Menschen, an denen sie vorbeihasteten, aus dem Weg gingen oder sich zumindest bemühten, sie nicht zu auffällig zu mustern, spürte er ihr Mißtrauen. Es war kein Wunder, daß sie auffielen: Er trug das außergewöhnliche Sarazenenschwert deutlich sichtbar am Gürtel, und auch Frederics blutverschmierte Kehle war nicht gerade ein alltäglicher Anblick. Andrej war sich darüber im klaren, daß sie nur ein ungewöhnliches Versteck retten konnte, wenn sie nicht schon innerhalb kürzester Zeit denunziert werden wollten. Zumindest aber mußten sie unverzüglich die auffälligsten Spuren beseitigen, die die Ereignisse der letzten Minuten auf ihrer Kleidung und Frederics Körper hinterlassen hatten.

Wenn sie Glück hatten, konnten sie ihren alten Unterschlupf noch einmal nutzen.

Vom Marktplatz her drang noch immer Lärm und ein Durcheinander aufgeregter Stimmen und Schreie zu ihnen herüber, und Andrej zweifelte nicht daran, daß die Jagd auf Frederic und ihn sich längst ausgeweitet hatte. Ein fast kahlköpfiger, in ein auffälliges Gewand gehüllter Fremder mit einem kostbaren Schwert und ein ebenfalls seiner Haare beraubter Junge mit einer frischen Schnittwunde am Hals ... Sie würden nicht schwer aufzuspüren sein, nicht einmal in einer Stadt dieser Größe.

Fast wäre Andrej an der Toreinfahrt vorbeigelaufen, die zu dem baufälligen Haus führte, doch dann entschied er sich anders; sie waren heute nacht hier nicht entdeckt worden und würden vielleicht nochmals für ein paar Stunden Schutz in dem alten Gemäuer finden. Der Lärm und die Schreie aus der Richtung des Marktes wurden lauter, aber zumindest hier schien im Moment niemand von ihnen Notiz zu nehmen. Er blieb stehen, sah sich noch einmal nach allen Seiten um. Als er sich sicher war, nicht beobachtet zu werden, packte er Frederic am Arm und zog ihn mit sich.

Raschen Schrittes eilte er zusammen mit dem Jungen durch den gemauerten Torbogen und dann zielstrebig auf die morsche Tür des verfallenden Hauses zu. Ein letzter sichernder Blick bestätigte ihm, daß sich hier tatsächlich niemand für sie interessierte. Er konnte den Lärm vom Marktplatz und die Geräusche der Straße noch immer deutlich hören, aber aus dem Haus selbst drang nicht der mindeste Laut; es hätte ihn auch gewundert, wenn sich hier in der Zwischenzeit jemand eingenistet hätte.