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»Das sind sehr weise Worte.«

»Ich wundere mich selbst. Vorher konnte ich nur über meine Kindheit sprechen.«

Ich erhob mich und ging weiter den Berg hinunter. Der Pater respektierte mein Schweigen und redete nicht mit mir, bis wir unten an der Straße angelangt waren.

Dort nahm ich seine Hände und küßte sie.

»Ich möchte mich verabschieden. Aber ich möchte Ihnen auch sagen, daß ich Sie und Ihre Liebe zu ihm verstehe.«

Der Pater lächelte und gab mir den Segen.

»Und ich verstehe Ihre Liebe zu ihm.«

Den Rest des Tages durchwanderte ich das Tal. Ich spielte mit dem Schnee, aß in einem Städtchen in der Nähe von Saint-Savin einen Sandwich mit Pate, schaute ein paar Jungen beim Fußballspielen zu.

In der Kirche einer anderen Ortschaft zündete ich eine Kerze an. Ich schloß die Augen und wiederholte die Gebete, die ich am Vortag gelernt hatte. Dann begann ich, in die Betrachtung eines Kruzifixes über dem Altar versunken, sinnlose Worte zu sprechen. Ganz allmählich nahm der Heilige Geist von mir Besitz, und ich begann in fremden Zungen zu reden. Es war einfacher, als ich gedacht hatte.

Es mochte unsinnig anmuten, Sinnloses zu murmeln, fremde Worte auszusprechen, die unserem Verstand nichts sagen. Doch der Heilige Geist sprach zu meiner Seele, sagte ihr Dinge, die sie hören mußte.

Als ich mich ausreichend gereinigt fühlte, schloß ich die Augen und betete:

»Heilige Mutter Gottes, gib mir meinen Glauben zurück. Damit auch ich ein Werkzeug Deiner Arbeit werde. Gib mir die Gelegenheit, durch meine Liebe zu lernen. Denn nicht die Liebe läßt jemanden seine Träume aufgeben. Laß mich die Gefährtin und Verbündete des Mannes sein, den ich liebe. Laß ihn alles tun, was er zu tun hat – an meiner Seite.«

Als ich nach Saint-Savin zurückkehrte, war es fast dunkel. Das Auto stand vor dem Haus, in dem wir ein Zimmer gemietet hatten.

»Wo warst du?« fragte er, als er mich sah.

»Ich bin herumgewandert und habe gebetet«, antwortete ich.

Er nahm mich in die Arme und drückte mich fest an sich.

»Ich fürchtete schon, du könntest fort sein. Du bist das Kostbarste, was ich auf dieser Erde habe.«

»Du auch«, antwortete ich.

Wir hielten in einer Ortschaft in der Nähe von San Martin de Unx. Die Fahrt über die Pyrenäen hatte wegen des Regens und des Schneefalls am Vortag länger gedauert, als wir gedacht hatten.

»Wir müssen ein offenes Restaurant finden«, sagte er und sprang aus dem Wagen. »Ich habe Hunger.«

Ich rührte mich nicht.

»Komm«, drängte er und hielt meine Tür auf.

»Ich möchte dich etwas fragen. Etwas, was ich dich, seit wir uns getroffen haben, nicht gefragt habe.«

Er wurde plötzlich ernst. Ich lachte über sein sorgenvolles Gesicht.

»Ist es eine wichtige Frage?«

»Eine sehr wichtige Frage«, antwortete ich und versuchte ernst zu bleiben. »Die Frage lautet: Wohin fahren wir eigentlich?« Wir prusteten los.

»Nach Saragossa«, antwortete er erleichtert.

Ich sprang aus dem Wagen, und wir begannen unsere Suche nach einem geöffneten Restaurant. Die Chancen standen schlecht um diese Zeit.

›Doch, wir finden eins. Die Andere ist nicht mehr bei mir.

Wunder geschehen wirklich‹, sagte ich mir.

»Wann mußt du in Barcelona sein?« fragte ich.

Er antwortete nicht, und sein Gesicht wurde wieder ganz ernst.

›Ich muß mir diese Fragen verkneifen‹, dachte ich. ›Sonst denkt er womöglich, ich will sein Leben kontrollieren.‹

Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Auf dem Platz der kleinen Stadt leuchteten die Buchstaben: Meson El Sol.

»Ein offenes Restaurant. Laß uns was essen«, war sein einziger Kommentar.

Rote Paprikaschoten mit Anchovis waren auf dem Teller in Sternform angeordnet. Daneben lagen fast durchsichtige Scheiben Manchego-Käse und Serrano-Schinken.

Mitten auf dem Tisch stand eine brennende Kerze und eine fast halbvolle Flasche Rioja.

»Hier wurde schon im Mittelalter Wein ausgeschenkt«, erklärte uns der junge Kellner.

Außer uns war kaum jemand um diese Zeit in der Kneipe. Er stand auf, ging zum Telefon und kam zu unserem Tisch zurück.

Ich hätte ihn gern gefragt, wen er angerufen hatte, doch diesmal hielt ich an mich.

»Wir haben bis halb drei Uhr in der Früh geöffnet«, fuhr der junge Mann fort. »Soll ich Ihnen noch etwas Schinken, Käse und Wein bringen? Sie können draußen auf dem Platz sitzen.

Der Alkohol wärmt Sie dann schon.«

»Wir können nicht so lange bleiben«, antwortete er. »Wir müssen vor Tagesanbruch in Saragossa sein.« Der junge Mann stellte sich wieder hinter den Tresen. Wir füllten unsere Gläser nach. Ich spürte mich gelöst wie in Bilbao, die gleiche rauschhafte Beschwingtheit, die ich dem Rioja verdankte und die es einem leichter machte, schwierige Dinge zu sagen und zu hören.

»Du bist sicher müde vom Fahren, und jetzt trinken wir auch noch Wein«, sagte ich nach einem weiteren Schluck. »Wir bleiben besser hier.

Ich habe auf dem Weg hierher einen Parador (Von der spanischen Regierung in Hotels umgewandelte alte Burgen und historische Bauten (Anmerkung des Autors)) gesehen.«

Er nickte.

»Schau auf unseren Tisch«, war sein Kommentar. »Die Japaner nennen das shibumi: die Raffinesse des Einfachen.

Die Leute verdienen sich dumm und dusselig, gehen in sündhaft teure Restaurants und finden sich ›sophisticated‹.«

Ich schenkte mir noch mal ein.

Der Parador. Noch eine Nacht an seiner Seite.

Ich fühlte mich, als wäre ich noch nie mit einem Mann zusammengewesen.

»Merkwürdig, ein Priesterschüler, der Worte wie ›sophisticated‹

im Munde führt«, sagte ich, um nicht daran zu denken.

»Das habe ich im Seminar gelernt. Je mehr wir uns durch den Glauben Gott nähern, desto einfacher wird Er. Und je einfacher Er wird, desto stärker ist Seine Gegenwart.«

Seine Hand strich über die Tischplatte.

»Christus hat sich auf seine Mission vorbereitet, indem er Holz sägte und Stühle, Betten, Schränke baute. Er kam als Tischler, um uns zu zeigen, daß wir – gleichgültig, was wir tun – Gottes Liebe teilhaftig werden können.«

Plötzlich brach er ab.

»Doch darüber möchte ich jetzt nicht sprechen«, sagte er,

»sondern über eine andere Art von Liebe.«

Seine Hände berührten mein Gesicht. »Warum hast du plötzlich aufgehört zu reden? Warum willst du nicht von Gott sprechen, von der Heiligen Jungfrau, von Spiritualität?«

Er ließ sich nicht beirren: »Ich möchte von einer anderen Art Liebe reden, von der Liebe zwischen Mann und Frau, in der sich auch Wunder offenbaren.«

Ich ergriff seine Hände. Mochte er die großen Mysterien der Göttin kennen, mochte er noch so weit gereist sein – von der Liebe wußte er genausowenig wie ich.

Doch die Liebe fordert ihren Preis. In seinem Falclass="underline" die Initiative.

Die Frau zahlt den noch höheren Preis, den der Hingabe.

Wir blieben lange Hand in Hand sitzen. Ich las die uralten Ängste in seinen Augen, die die wahre Liebe uns als Prüfung auferlegt, damit wir sie besiegen. Ich las darin die Erinnerung an die Abweisung der letzten Nacht, an die lange Zeit, die wir getrennt voneinander verlebt hatten, an die Jahre im Kloster, in der all dies nicht zugelassen war.

Ich las in seinen Augen die Tausende von Malen, in denen er sich diesen Augenblick vorgestellt hatte, die Szenarien, die er um uns beide gerankt hatte, meine Frisur, die Farbe des Kleides, das ich tragen würde. Ich wollte ›ja‹ sagen, sagen, daß er nicht abgewiesen werden würde, daß mein Herz die Schlacht gewonnen hatte. Ich wollte ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte, wie sehr ich ihn in diesem Augenblick begehrte.