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»Und das ist, wie gesagt, die Fracht Nummer zwei«, sprach der erste Mann und wies auf die Umrisse einer Männergestalt, die mit vielen Decken verhüllt war.

»Den haben wir erst heute morgen aufgelesen, so ungefähr 30 Meilen flußaufwärts.«

»Der braucht einen Doktor«, erzählte der zweite. »Muß eine Meinungsverschiedenheit mit einem Grizzlybären gehabt haben, und der Bär hat das letzte Wort behalten. Aber wir haben keine Zeit. Entweder kauft ihr gleich oder gar nicht!«

Frona und St. Vincent sahen zugleich, wie der Verwundete die Böschung hinauf und durch die Menge getragen wurde. Eine bronzefarbene Hand hing schlaff von der rohgezimmerten Bahre herab, ein bronzefarbenes Gesicht kam zwischen den Decken zum Vorschein. Die Männer, die ihn trugen, machten in der Nähe des improvisierten Galgens halt, um zu beschließen, wohin sie ihn tragen wollten. Plötzlich fühlte Frona einen rasenden Griff an ihrem Arm. St. Vincent bohrte seine Nägel in ihr Fleisch.

»Sieh doch!« St. Vincent bebte an allen Gliedern, sein Gesicht mit den lodernden Angstaugen war in diesem Augenblick noch weißer als zuvor.

»Schau hin! Die Narbe!«

Der Indianer schlug die Augen auf, sein leergeblutetes Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Erkennens.

»Das ist der Mann! Das ist der Mörder!« brüllte St. Vincent der Menge zu, mit einem ganz zerborstenen Organ. »Schaut ihn euch an, schaut die Narbe an! Das ist der Mann, der John Borg überfallen hat!«

Gleich darauf hätte man nicht mehr glauben können, daß so viele Menschen zusammengekommen waren, um über einen der Ihren hochnotpeinliches Gericht zu halten. Nur die Schlinge, die aus der Krone des Baumes herniederbaumelte, erinnerte noch an den Anlaß zu dieser Versammlung. Aber St. Vincent selbst lag jetzt am Fuß des Baumes. Er streckte sich in der Sonne, und wahrscheinlich schlief er. Die Angst war von ihm genommen, nach achtundvierzig Stunden des Zitterns und Zagens, nach einer Kette übermenschlicher Anstrengungen schlief er, wie jedes Wesen sich in den Schlaf flüchtet, um neue Kräfte zum Leben zu sammeln, auch unter dem Galgen.

*

Der verwundete Indianer war in eine Hütte getragen worden. Bei ihm saßen Jacob Welse, der Vorsitzende des Gerichtes und La Flitche. Sie versuchten in vielen Indianersprachen, ihn zum Sprechen zu bringen. Mit seinem letzten Atem sollte er die Wahrheit bekennen. Nach langem Suchen probierte La Flitche es mit einem Dialekt, den er in Kindertagen einmal gelernt und beinahe wieder vergessen hatte. Bei den ersten Lauten fuhr über das Gesicht des Sterbenden ein frohes Aufleuchten.

Am Ufer wurde wacker gehandelt, die Goldwaage war in Tätigkeit, Mann um Mann brachte eine gewaltige Elchlende oder einen Schlegel, eingehandelt gegen eine Summe von Gold, mit der man in anderen Ländern zumindest ein paar Rinder kaufen konnte, in Sicherheit. Frona saß nicht weit von Corliss. Ihre verweinten, erstaunten Augen faßten dieses ganze Bild nicht. Sie bewachte den Schlaf des Unglücklichen. Durch ihr Herz tobten wilde Stürme. Haß und Liebe zu diesem schönen, verführerischen, elenden Menschen rangen in ihr.

Noch wußte sie nicht, ob sie ihn tief genug verachten konnte, um ihn nicht mehr lieben zu müssen.

Ein paar Stunden später wurde die Verhandlung wieder aufgenommen. Bill Brown rief die Männer, die sich selbst zu Geschworenen ernannt hatten, im Kreise um den Galgen zusammen. Er sprach:

»Kameraden! Männer von Klondike und Alaska! Ihr werdet sogleich aus dem Munde von La Flitche hören, was der sterbende Indianer ihm gebeichtet hat, und ihr werdet dann entscheiden, wieviel Schuld diesen Mann unter dem Galgen trifft. Nur eine Frage will ich zuvor noch an Sie richten, Gregory St. Vincent! Warum haben Sie nicht früher gesprochen? Sie hatten das Wort, sooft Sie es wünschten. Wir haben Ihren Fall geprüft, wie kein Gerichtshof in den Staaten ihn besser hätte prüfen können. Wir haben gewußt, daß unser Spruch vor den höchsten Behörden des Landes bestehen muß, und es hätte Herrn Welses Warnung nicht bedurft, um uns zu sagen, welche Verantwortung wir trugen!

Denn Sie hatten unrecht, Herr Welse! Es gibt ein Notgesetz für Alaska, unter dessen Schutz unser Gerichtshof tagt. Fünfhundert Meilen im Kreis von der nächsten Behörde ist ein Gericht wie das unsere befugt, Urteile zu fällen und zu vollstrecken, wenn die Gefahr besteht, daß ein Verbrecher sich der gerechten Strafe entzieht. Wie groß in unserem Fall die Gefahr war, das haben gerade Sie, Herr Welse, und der französische Baron uns bewiesen.

Was Sie getan haben, das war ein Eingriff in die Maschinerie der Justiz. Aber darum handelt es sich jetzt nicht. Wir wissen, daß auch Sie glaubten, der Gerechtigkeit zu dienen, und ich jedenfalls werde keine Anklage gegen Sie erheben. Ich komme auf meine Frage zurück:

Warum haben Sie, Gregory St. Vincent, der Wahrheit nicht früher die Ehre gegeben? Die Ohren Ihrer Richter standen offen für Ihre Verteidigung! Sie waren nicht allein, nicht verlassen, denn neben Ihnen wachte in Fräulein Welse ein Anwalt, wie Sie ihn besser sich nicht wünschen konnten!«

»Deshalb gerade!. Weil Fräulein Welse mich verteidigte, nur deshalb habe ich die Wahrheit nicht gesprochen.«

In diesem Augenblick war Gregory St. Vincent keine schlotternde Memme und kein weinendes Kind mehr, zum erstenmal bekannte er wie ein tapferer Mann:

»Weil ich in ihren Augen kein Feigling sein wollte.«

La Flitche sagte aus, der sehnige, zungengewandte Halbindianer, der der Natur so nahe war wie ein Tier des Landes, und dessen Verstand scharf war wie der eines weißen Mannes.

»Der Mann heißt Gau«, verkündete er. »Er spricht die Wahrheit. Er kommt vom Weißen Fluß. Er versteht nichts - er wundert sich sehr über all die weißen Männer. Er hat nie geglaubt, daß es so viele weiße Männer auf der Welt gebe. Er stirbt bald, und sein Name ist Gau.

Vor langer Zeit - es ist ganze drei Jahre her - kommt John Borg in das Land dieses Mannes. Er jagt, er bringt viel Fleisch ins Lager, und deshalb haben die Sticks am Weißen Fluß ihn gern.

Gau hat eine Frau, Pisk-ku. Nach einiger Zeit trifft John Borg Anstalten zur Abreise. Es geht zu Gau, und er sagt: >Gib mir deine Frau! Wir wollen einen Handel machen. Ich will dir viele Dinge für sie geben.< Aber Gau sagt nein. Pisk-ku sei eine gute Frau, und keine Frau könne Mokassins nähen wie sie. Sie sei auch tüchtig im Gerben von Elchhäuten und mache das weichste Leder. Er habe Pisk-ku gern. Da sagt John Borg, das sei ihm einerlei, er wolle Pisk-ku haben. Dann prügeln sie sich, eine richtige Prügelei, und Pisk-ku geht weg mit John Borg. Pisk-ku wollte nicht gehen, tut es aber doch. Borg nennt sie Bella und gibt ihr viele gute Sachen, aber sie hat nur Gau lieb.«

La Flitche zeigte auf die Narbe, die quer über Stirn und Augen des Indianers lief. »Das hat John Borg getan. Lange ist Gau sehr nahe am Sterben gewesen. Dann wird er gesund, aber sein Kopf ist krank. Er erkennt niemand, ist ganz wie ein kleines Kind, genau so. Da, eines Tages, eins zwei drei, springt etwas in seinem Kopfe, und er wird gesund. Er erkennt seinen Vater und seine Mutter; er erinnert sich an Pisk-ku. Er erinnert sich an alles. Sein Vater sagt, daß John Borg den Fluß hinabgefahren ist. Da fährt Gau auch den Fluß hinab. Es ist Frühling, und das Eis ist sehr schlecht. Er fürchtet sich sehr vor all den weißen Männern, und als er hierher kommt, reist er nachts. Niemand sieht ihn, aber er sieht alle Menschen. Er ist wie eine Katze und kann im Dunkeln sehen. Dann kommt er geradewegs nach Borgs Hütte. Er weiß nicht, wie er es gemacht hat. Er weiß nur, daß er ein Werk zu verrichten hat, ein gutes Werk.«

St. Vincent drückte Frona die Hand, aber sie riß sich los.

»Er sieht, wie Pisk-ku die Hunde füttert, und er spricht mit ihr. In der Nacht kommt er, und sie öffnet ihm die Tür. Was nachher geschieht, wißt ihr selbst. Borg tötete Bella; Gau tötete Borg. Borg tötete Gau, denn Gau stirbt bald. Borg hat einen starken Arm. Gau ist innen krank - ganz kaputtgeschlagen. Gau ist alles einerlei. Pisk-ku ist tot. Dann geht er über das Eis ans Ufer. Ich sage, daß ihr anderen alle sagt, es ist unmöglich, daß jemand zu dieser Zeit hinausgehen kann. Er lacht und sagt, daß es so ist, und was so ist, daß muß sein. Er ist krank inwendig, und schließlich kann er nicht mehr gehen, er kriecht. Es dauert lange, bis er an den Stuart kommt. Er kann nicht mehr gehen, und so legt er sich nieder, um zu sterben. Zwei weiße Männer finden ihn und bringen ihn hierher. Ihm ist es einerlei; er muß auf alle Fälle sterben.«