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Angélique und Gontran lauschten ihrer Mutter mit einiger Verwunderung. Sie waren es nicht gewohnt, sie so lange und vor allem in so empörten Worten reden zu hören. Im allgemeinen war sie sanft, wenn auch kühl, von lässiger und resignierter Natur. Doch die Schmach, die man ihren beiden ältesten Söhnen angetan hatte, auf die sie sehr stolz war, hatte sie außer Fassung gebracht und verschärfte die Gefühle unbestimmten Grolls, die sich im Lauf zahlloser Jahre des Kummers und der Schwierigkeiten in ihr angestaut hatten.

Madame de Sancé hielt jäh inne, als sie sich bewußt wurde, daß sie in Gegenwart ihres Sohns und ihrer Tochter weitergeredet hatte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Gontran und Angélique vermieden verlegen ihren Blick. Obwohl als Wildlinge aufgewachsen, scheuten sich alle Sancé-Kinder vor Gefühlsäußerungen, und diese unvermittelte Anklagerede ihrer stets heiteren, wenn auch gelegentlich seufzenden Mutter war ihnen peinlich.

Überdies warf sich Madame de Sancé bereits vor, daß sie sich hatte gehen lassen, und versuchte abzulenken:

»Was macht ihr hier, Kinder? Draußen scheint noch die Sonne. Ihr tätet besser, auf die Felder zu laufen .«

Gontran sagte ärgerlich: »Mutter, vor fünf Minuten habt Ihr uns vorgeworfen, daß wir uns wie Bauernlümmel benehmen, und jetzt sollen wir mit den Hirtenjungen herumtollen.«

»Das ist mir immer noch lieber, als daß ihr untätig im Haus herumlungert oder euch in euern Speicher einschließt und ich weiß nicht was treibt. Das Alleinsein tut nicht gut in euerm Alter.«

»Ich male und schnitze«, sagte Gontran mit einem gewissen Stolz.

Seine Augen leuchteten auf. »Wollt Ihr, daß ich Euch einige meiner Arbeiten zeige, Mutter?«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, lief er zu einer Truhe und kramte ein Stück Holz und ein Blatt Papier hervor. Es war das erstemal, daß er sich erbot, der Familie seine Arbeiten vorzulegen. Aber die Worte seiner Mutter hatten ihn bewegt, ohne daß er es sich eingestand, und er empfand das Bedürfnis, sie auf andere Gedanken zu bringen.

»Seht, dies ist der Kopf des alten Wilhelm.«

Als gute Familienmutter, die sie war, beugte sich die Baronin mit noch tränenverschleierten Augen über die mit dem Messer bearbeitete Birnbaumwurzel, die ihr Sohn ihr reichte. Sie fühlte, daß die Situation ihr über den Kopf wuchs. Was sollte man mit all diesen ungeduldigen, rebellischen Sprößlingen machen, die zu allem Überfluß sich auch noch herausnahmen, eigene Ideen über ihre Zukunft zu haben?

Der Kopf des alten Wilhelm war gewiß sprechend ähnlich, aber weshalb wollte Gontran deswegen gleich Bildhauer und Maler werden? War das denn überhaupt ein Beruf? Wohl wußte Madame de Sancé, daß berühmte Künstler am Hofe lebten oder in Rom, beispielsweise. Doch sie stellte sie im Geist auf eine Ebene mit Leuten vom Theater oder den Gauklern. Jedenfalls war das kein achtbarer Beruf. Sie kannte keine Edelleute, die Maler waren. »Und hier das Porträt von Angélique«, sagte der Junge, indem er das Blatt hinhielt.

Die mehrfarbig ausgeführte Zeichnung stellte eine Art Seeräuberin dar, die inmitten grimassierender, bärtiger Gesichter mit der Muskete schoß.

»Wie kannst du behaupten, dies stelle deine Schwester dar«, rief die bedauernswerte Mutter aus. »Angé-lique ist doch hübsch! Es ist durchaus möglich, daß sie eine gute Partie macht oder, wenn Gott will, in einen vornehmen Orden eintritt.«

»Und wenn Gott will, daß sie Anführerin einer Räuberbande wird?«

»Gontran, du lästerst! Manchmal frage ich mich, ob du deiner Sinne mächtig bist. Angélique, du erhebst nicht einmal Einspruch gegen das, was dein Bruder sagt?«

Doch Angélique lächelte gleichgültig. Sie preßte die Nase ans Fenster und spähte nach ihrem Vater aus. Sobald sie ihn auf dem schlammigen Weg daherkommen sah, auf den Stock mit dem silbernen Knauf gestützt, der sein einziger Luxus war, schlüpfte sie in die Küche und zog ihre Schuhe und ihren Mantel an. Dann lief sie zu ihrem Vater in den Stall, wo der Baron eben sein Pferd satteln ließ.

»Darf ich Euch begleiten, Vater?« fragte sie mit ihrer liebreizendsten Miene. Es lag ein wenig Absicht darin, aber sie war dem guten und stillen Mann, dessen tägliche Sorgen die sonnengebräunte Stirn mit tiefen Falten gezeichnet hatten, auch wirklich von Herzen zugetan.

Er konnte nicht widerstehen und setzte sie vor sich auf den Sattel. Angélique war seine Lieblingstochter. Er fand sie ausnehmend hübsch und träumte bisweilen davon, sie werde einen Herzog heiraten.

Es war ein klarer Herbsttag, und der seiner Blätter noch nicht beraubte nahe Wald breitete gegen den blauen Himmel sein rostfarbenes Laub aus.

Als sie am Parktor von Schloß Plessis-Bellière vorbeiritten, beugte sich Angélique gespannt vor und versuchte, am Ende der Kastanienallee die weiße Vision des bezaubernden Gebäudes zu entdecken, das sich in seinem Teich wie eine Traumwolke spiegelte. Alles war still, und der prachtvolle Bau im Renaissancestil, den seine Besitzer im Stich ließen, um am Hof zu leben, schien im Mysterium seines Parks und seiner Gärten zu schlafen. Die Hirschkühe des Forsts von Nieul, an den der Besitz grenzte, ergingen sich in den verödeten Alleen ...

Die Wohnung des Verwalters Molines befand sich zwei Kilometer weiter an einem der Parkeingänge. Es war ein hübsches Häuschen aus rotem Backstein mit schiefergedecktem Dachstock, das in seiner bürgerlichen Einfachheit wie der umsichtige Wächter jenes zierlichen Bauwerks wirkte, dessen italienische Grazie die an die mittelalterlichen Schlösser gewöhnten Leute der Umgegend noch immer verwunderte.

Der Verwalter war ganz das Abbild seines Hauses. Streng und würdevoll, seiner Rechte und seiner Rolle bewußt, wirkte er, als sei er der Herr dieses riesigen Besitzes, dessen Eigentümer dauernd abwesend war. Alle zwei Jahre vielleicht, im Herbst zur Jagd oder im Frühling, um Maiglöckchen zu pflücken, ließ sich ein Schwarm von Herren und Damen mit Wagen, Pferden, Hetzhunden und Musikanten in Plessis nieder, und ein paar Tage lang folgte ein Fest dem andern, zum gelinden Schrecken der Krautjunker der Nachbarschaft, die man nur einlud, um sich über sie lustig zu machen. Dann kehrte die ganze Gesellschaft nach Paris zurück, und das Schloß versank wieder in Schweigen.

Vom Geräusch der Pferdehufe angelockt, trat Molines in den Hof seines Hauses und verbeugte sich mehrmals, was ihn keine Überwindung kostete, da es zu seinem Amt gehörte. Baron Armand war offensichtlich angenehm davon berührt, aber Angélique, die wußte, wie hart und arrogant der Mann sein konnte, machte sich nichts aus so übertriebener Höflichkeit.

Wenn sie Molines auch unangenehm fand, brachte sie ihm doch eine gewisse Achtung entgegen, vermutlich des gepflegten Aussehens seiner Person und seines Hauses wegen. Seine stets dunkle Kleidung war aus gutem Stoff angefertigt und schien verschenkt oder eher verkauft zu werden, bevor sie auch nur die geringsten Spuren von Abnutzung aufwies. Er trug nach der neuen Mode Schnallenschuhe mit sehr hohen Absätzen.

Überdies aß man vortrefflich bei ihm. Angéliques Näschen schnupperte, als sie den mit Fliesen ausgelegten und vor Sauberkeit strahlenden Raum betraten, der an die Küche grenzte. Madame Molines versank bei ihrem tiefen Knicks fast in ihren Röcken und kehrte danach zu ihren Kuchen zurück.

Der Verwalter führte seine Gäste in ein kleines Arbeitszimmer, in das er frisches Wasser und eine Flasche Wein bringen ließ.

»Ich bin überaus beglückt, Herr Baron«, begann er, »daß Ihr persönlich meiner Aufforderung Folge geleistet habt. Für mich ist das ein Zeichen, daß wir uns über die Angelegenheit, an die ich denke, einigen werden.«

»Ihr unterwerft mich also einer Art Prüfung?« fragte Armand.