»Wie eine Mumie«, flüsterte Péguillin.
Der Teint Philipps IV. war tatsächlich pergamentfarben. Mit automatenhaften Schritten begab er sich zu seinem Tisch. Seine großen düsteren Augen blickten starr. Das vorspringende Kinn stützte eine rote Lippe, die zusammen mit dem spärlichen kupferblonden Haar sein kränkliches Aussehen noch unterstrich. Durchdrungen von seiner geradezu göttlichen Größe als Souverän machte er keine Geste, die nicht der strengen Verpflichtung der Etikette entsprach. Gelähmt durch die Fesseln seiner Macht, einsam an seinem kleinen Tisch, speiste er, als hielte er Gottesdienst.
»Wer würde glauben, daß dieses Gespenst mit der Unbekümmertheit eines Hahnes zeugt?« ließ sich der unverbesserliche Péguillin de Lauzun vernehmen, als die Mahlzeit beendet war und man sich draußen wiederfand. »Seine Bastarde greinen auf den Gängen seines Palasts, und seine zweite Frau bringt unaufhörlich schwächliche Kinder zur Welt, die alsbald von ihrer Wiege in die Abdeckerei des Eskorials wandern.«
»Das letzte ist während der Botschaftertätigkeit meines Vaters in Madrid gestorben, als er um die Hand der Infantin bat«, erklärte Louvigny, der zweite Sohn des Herzogs von Gramont. »Ein weiteres ist inzwischen geboren worden, und sein Leben hängt nur an einem Faden.«
Der Marquis d’Humières rief mit Emphase aus: »Es wird sterben, und wer wird damit Erbin des Throns Karls V. werden? Die Infantin, unsere Königin!«
»Das sind wohl allzu kühne Gedankengänge, Marquis«, meinte der Herzog von Bouillon pessimistisch.
»Wer sagt Euch, daß dergleichen nicht von Seiner Eminenz dem Kardinal und sogar von Seiner Majestät vorausbedacht worden ist?«
»Gewiß, aber ein allzu großer Ehrgeiz ist dem Frieden nicht zuträglich.«
»Der Frieden! Der Frieden!« knurrte der Herzog von Bouillon. »In längstens zehn Jahren wackelt er.«
Er tat es nach knapp zwei Stunden. Plötzlich war alles aus, und man flüsterte, die Hochzeit fände nicht statt.
Don Luis de Haro und Kardinal Mazarin hatten zu lange gezögert, die letzten Einzelheiten des Friedensschlusses zu klären und sich über die neuralgischen Punkte zu einigen, die gewisse Dörfer, Straßen und Grenzlinien darstellten. Niemand wollte nachgeben. Der Krieg ging weiter. Ein halber Tag angstvollen Zauderns folgte. Man ließ den Gott der Liebe zwischen den beiden Verlobten, die einander nie gesehen hatten, intervenieren, und Ondedeï gelang es, der Infantin eine Botschaft zuzustecken, in der er ihr zu wissen tat, wie ungeduldig der König sei, sie kennenzulernen. Eine Tochter ist allmächtig über das Herz ihres Vaters. Bei all ihrer Fügsamkeit hatte die Infantin keine Lust, nach Madrid zurückzukehren, nachdem sie der Sonne so nahe gewesen war ...
Sie gab Philipp IV. zu verstehen, daß sie ihren Gatten haben wolle, und die für einen Augenblick in Verwirrung geratenen Zeremonien nahmen ihren Fortgang.
Die in Stellvertretung vorzunehmende Hochzeit fand auf dem spanischen Ufer in San Sebastian statt, und die Grande Mademoiselle nahm Angélique dorthin mit. Die Tochter des Gaston d’Orléans, in Trauer um ihren Vater, durfte nach der Sitte an der Feierlichkeit nicht teilnehmen, doch beschloß sie, »inkognito« zu erscheinen, das heißt, sie schlang ein Seidentuch um ihr Haar und legte keinen Puder auf.
Die Prozession durch die Straßen der Stadt schien den Franzosen wie ein seltsames Bacchanal. Hundert weißgekleidete Tänzer mit Schellen an den Beinen zogen degenschwingend voraus, dann folgten drei riesige, bis zum ersten Stockwerk der Häuser reichende Figuren aus Weidengeflecht, die man als Mohrenkönige ausstaffiert hatte, ein ebenso riesiger heiliger Christophorus, ein schrecklicher Drache, umfänglicher als sechs Walfische, fünfzig maskierte junge Burschen, die auf ihre baskischen Trommeln schlugen, und schließlich, unter einem Baldachin, das Allerheiligste in einer gigantischen goldenen Monstranz, vor der die Menge in die Knie sank.
In der Kirche stieg hinter dem Tabernakel eine mit einer Million Kerzen besteckte Treppe bis hoch ins Gewölbe auf.
Angélique betrachtete geblendet diesen brennenden Wald. Der schwere Weihrauchgeruch verstärkte die ungewöhnliche, morgenländische Atmosphäre der Kathedrale. Im Dunkel der Gewölbe und Seitenschiffe sah man die vergoldeten Balustraden dreier übereinanderliegender Podestreihen schimmern, wo zusammengepfercht auf der einen Seite die Herren, auf der anderen die Damen saßen.
Man mußte lange warten. Die unbeschäftigten Priester unterhielten sich mit den Französinnen, und Madame de Motteville entrüstete sich wieder einmal über die Bemerkungen, die man im Schütze des Halbdunkels an sie richtete.
»Perdone. Dejeme pasar!«[3] sagte plötzlich eine rauhe spanische Stimme neben Angélique.
Sie schaute sich um und erblickte ein bizarres Geschöpf. Es war eine Zwergin, ebenso breit wie hoch, mit einem Gesicht von drolliger Häßlichkeit. Ihre fleischige Hand stützte sich auf den Hals eines großen, schwarzen Hetzhundes. Ein Zwerg folgte ihr, ebenfalls in verbrämtem Gewand und weiter Halskrause, aber er hatte einen verschmitzten Ausdruck, und wenn man ihn anschaute, mußte man lachen.
Die Menge machte Platz, um die kleinen Geschöpfe und den Hund vorbeizulassen.
»Das ist die Zwergin der Infantin und ihr Narr Tomasini«, erklärte jemand. »Offenbar nimmt sie sie mit nach Frankreich.«
»Wozu braucht sie diese Knirpse? In Frankreich wird sie genug zum Lachen haben.«
»Sie sagt, nur die Zwergin könne ihr ihre Zimtschokolade zubereiten.«
Über Angélique reckte sich eine bleiche, imposante Gestalt auf. Monseigneur de Fontenac, in malvenfar-bener Seide und hermelinbesetzter Mozetta, strebte einer der Estraden aus vergoldetem Holz zu. Er beugte sich über das Geländer. In seinen Augen brannte ein zerstörerisches Feuer. Er redete mit jemandem, den Angélique nicht sah.
In plötzlicher Unruhe bahnte sie sich einen Weg in seiner Richtung. Am Fuß der Treppe hob Joffrey de Peyrac sein ironisches Gesicht zum Erzbischof auf.
»Erinnert Euch des >Goldes von Toulouse<«, sagte der letztere mit gedämpfter Stimme. »Als Servilius Cepion die Tempel von Toulouse ausgeraubt hatte, wurde er zur Strafe für seine Gottlosigkeit besiegt. Deshalb wendet man den sprichwörtlichen Ausdruck >das Gold von Toulouse< auf das Unglück an, das auf unredliche Weise erworbene Reichtümer bringen.«
Graf Peyrac lächelte noch immer.
»Ich liebe Euch«, murmelte er, »ich bewundere Euch. Ihr besitzt die Milde und die Grausamkeit der Reinen. Ich sehe in Euren Augen die Flammen der Inquisition brennen. So werdet Ihr mich also nicht verschonen?«
»Adieu, Monsieur«, sagte der Erzbischof mit zusammengepreßten Lippen.
»Adieu, Foulques de Neuilly.« Die Kerzen warfen ihren Schimmer auf Joffreys Gesicht. Er sah in die Ferne.
»Was geht da wieder vor?« flüsterte Angélique.
»Nichts, meine Schöne. Unser alter Streit ...«
Bleich wie der Tod schritt der König von Spanien durch das Kirchenschiff und führte die Infantin an der linken Hand.
Sie hatte eine weiße, vom Halbdunkel der Madrider Paläste gebleichte Haut, blaue Augen, seidiges, durch unechte Zutaten aufgebauschtes Haar, eine ergebene und ruhige Haltung. Sie wirkte eher flämisch als spanisch. Man fand ihr wollenes, kaum besticktes Kleid unmöglich.
Der König führte seine Tochter zum Altar, wo sie niederkniete. Don Luis de Haro, der im Namen des Königs freite, hielt sich in gleicher Höhe mit ihr, doch ziemlich entfernt.
Als der Augenblick für die Gelöbnisse gekommen war, streckten die Infantin und Don Luis einander den Arm entgegen, ohne sich jedoch zu berühren. Mit derselben Bewegung legte die Infantin ihre Hand in die ihres Vaters und küßte ihn. Tränen rannen über die elfenbeinfarbenen Wangen des Monarchen. Die Grande Mademoiselle schneuzte sich geräuschvoll.