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Und Karl von Kahn: Man kann sich, was einen lehrt, nicht aussuchen.

Er habe es, sagte Babenberg, immer attraktiv gefunden, daß Diego von seinen Gästen beneidet werden wollte. Wie er das als Lust verkaufte, von seinesgleichen beneidet zu werden, das sei immer großartig gewesen. Jetzt aber die Nötigung, ihn zu bedauern, mit ihm zu trauern. Also peinlicher sei ihm, Babenberg, noch nie etwas Gesellschaftliches gewesen. Deshalb sei er, als Gundi geflohen war, aufgestanden, habe, was jetzt nicht paßte, à la Jérôme Morgen wieder lustig gesagt und sei gegangen. Im Hinausgehen habe er gedacht, er, wie Diego zum dritten Mal verheiratet, müßte den eigentlich verstehen. Allerdings, wenn seine Dritte fliehen, das heißt den Vertrag kündigen würde, wäre er ruiniert. Womit er angelangt sei bei dem Grund seines Besuchs. Geld sei bis jetzt immer die einfachste Form der Bestätigung gewesen. Jetzt bleibt es aus. Sein Vater hat Geld verachtet. Als bayerischer Beamter konnte er sich das leisten. Beamte sind Engel ohne Flügel, hat er behauptet. Zum Schluß Parkinson, und Daumen und Zeigefinger der rechten Hand machten dann ununterbrochen und ununterbrechbar die Geldzählbewegung. Wenn er sah, daß man hinschaute, deckte er diese Hand mit der anderen zu. Er, Babenberg junior, hat auf seinen Konten zwar Geld, aber plötzlich wird ihm klar, uralt darfst du nicht werden. Und die drei Frauen plus Kinder! Und alle reden auf einmal vom Geldanlegen. Der Börsenbericht abends will wichtiger sein als der Wetterbericht. Ob sich Herr von Kahn vorstellen könne, wie einem zumute sei, der trotz aller biologisch verordneten Resignationen im Innersten immer noch glaubt, Geld müsse man selber verdienen und nicht andere für sich verdienen lassen. Bitte, er möchte nicht mit den Kollegen verwechselt werden, die ihr Leben in einer Moralerstarrung verbracht haben, aus der sie durch keine Erfahrung erlöst werden wollen. Diese Kollegen könne er in all ihren Hervorbringungen schätzen oder auch bewundern, nur eben nicht in ihrem linken Eo-ipso-Bessersein. Loben und preisen wir doch die katholische Kirche. Ganz bescheiden hat sie die Unfehlbarkeit auf eine Person beschränkt, und auch dann noch auf das Spezialthema Glaubens- und Sittenfragen. Die Linken, und zwar vom feinsten Marx über den weltweiten Professor bis zum gröbsten Ortsverein, sie kennen den Zweifel nicht. Den Papst macht der Heilige Geist unfehlbar, den Linken seine Moral. Wer sehnte sich da nicht nach dem Heiligen Geist. Nun trainiert er das Nicht-eo-ipso-Besserseinwollen schon ziemlich lange. Aber sobald es ums Geld geht, melde sich diese Altmahnung: Geld muß man selber verdienen. Aber jetzt verdiene er eben keins mehr. Soll er jetzt Angst haben, daß er länger lebt, als er finanzieren kann? Soll er lernen, sich zu freuen, wenn der Doktor sagt, eine melanomöse Entartung im epidermal-korialen Grenzbereich ist nicht auszuschließen? Da ihn Herrn von Kahns Zuhörfähigkeit geradezu verführe, gestehe er auch noch, daß ein Cousin von ihm ein hohes Tier in einer Wiener Bank sei, den habe er, wann immer der mit seinen unerbetenen Belehrungen angetanzt kam, merken lassen, daß er Geldleute nicht so ernst nehmen könne wie sie sich selbst. Und jetzt sitze er vor einem Geldmenschen und lege Geständnisse ab.

Und streckte und dehnte sich ein bißchen, machte also deutlich, daß er dieses Gestehen durchaus genieße. Lange Arme, lange Beine. Die Stiefel, die jetzt unter den Hosen hervorschauten, kamen aus England.

Wissen Sie, sagte er dann fröhlich, über Sexualität reden wir inzwischen, aber über Geld immer noch nicht. Wer von Geld oder Sexualität spricht, gibt entweder an oder will Mitleid. Beides gleich peinlich. Schuld daran: das Bank und das Beichtgeheimnis. Für Geheimhaltung ist er nicht. Und nicht, obwohl er, sondern weil er bi ist. Er hat sich unerpreßbar gemacht. Gut, Geschlechtlichkeit macht einsam. Und das unter der Illusion größtmöglicher Gemeinsamkeit. Er ist durch seine Bi-Struktur erfahrungsreicher in diesem Alleinseins-Zirkus, er ahnt, daß wir im Geschlechtlichen alle Geheimniskrämer sind. Und das Wort Krämer wähle er dafür ganz bewußt. Wenn seine Frau wochenlang ausbrütet, daß sie den Vertrag kündigen will, sieht er ihr das nicht an, merkt er nicht, was sich da tut, bis sie’s ausspricht. Dann ist er ruiniert. Gewinnmitnahme, in Herrn von Kahns Jargon. Bis jetzt lebt der Vertrag davon, daß er die männlichen Partner häufig wechselt, seiner Frau aber absolut treu ist. Sein Trick: Man darf aus verschiedenen Ängsten nicht EINE Angst werden lassen. Als Angst-Jongleur ist er eher virtuos. Ja, er gibt zu, das Jonglieren der Ängste steigert sein Lebensgefühl. Ganz ohne Angst würde er wahrscheinlich einer Daseinsbewegungslosigkeit verfallen, einem tödlichen Schwere-Erlebnis.

Bravo, rief Karl von Kahn. Diese Arie passe in seine Oper. Angst-Jongleur, das werde er einbauen in seinen täglichen Gesang.

Das war die Ouvertüre, sagte Babenberg. Er ist unter vielem anderen auch der Cousin von Josepha Sidonia Gräfin Kotulinsky und erbt im neuen EU-Osten Ländereien und das Schloß, in dem Beethoven seine Lieder An die ferne Geliebte komponiert haben soll; ob auch die Mondscheinsonate, wird gerade untersucht. Er will da nicht hin. Er will verkaufen. Bisher hat er das Geld, das er verdient hat, verdient. Er hat sich sogar daran gewöhnt, daß er gelegentlich mehr verdient hat, als er verdient hätte. In den sagenhaften zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts schrieb Lion Feuchtwanger in einem Brief, er habe in Rußland so viel Geld, daß er dort bis an sein Lebensende von Kaviar leben könnte. Das waren noch Zeiten.

Was für Zeiten, fragte Karl von Kahn.

Unschuld gewährende, sagte Babenberg. Ein linker Sohn reicher Leute hat im unglücklichsten Land der Welt Geld, das er in Kaviar ausdrückt. Heute ist Genuß wieder eine Sünde. Er hat so viel gearbeitet, daß ihn die sentimentalmoralischen Attacken nicht kleinkriegen. Die Freundlichkeitstonarten der Gutmenschen haben ihn belehrt: Er ist kein Wärmeleiter. Im Gegenteil. Seine Wut sucht immer noch nach einem Anlaß, der ihr entspräche. Er ist längst ausgetreten aus allen Verbesserungsvereinen dieser Welt. Er lebt von der Angst, es könnte einer kommen, der die globale Unordnung überwindet. Man stelle sich vor, alles ginge plötzlich mit rechten Dingen zu. Wir wären sofort verloren. Wir leben im Schutz verhindernder Umstände. Und in der Angst, sie könnten entfallen. In dieser Angst und von ihr leben wir. Bisher hat sein Spruch ausgereicht: Laß alles weg, was du nicht kannst, dann bist du gut. Aber — und damit wolle er’s vorerst genug sein lassen — trotz seiner nahezu prinzipiell illegitimen Lebensart fehle ihm der Mut, etwas Unrechtes zu tun. Je illegitimer, desto legalistischer. Wie soll er Geld verdienen mit Geld, das er nicht verdient hat. Bitte schön. Was soll er tun?