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Babenberg: Danke für die Predigt. Ist gespeichert. Warum aber der Spendierrausch Ihres George Soros? Dieser wahrhafte Weltmann! Ist das, was er uns vormacht, nicht von der Qualität einer Beichte in der Dorfkirche? Zuerst der Spekulations-Weltmeister, dann gleich der Weltmeister in der Philanthropie.

Karl von Kahn: Er ist nicht MEIN George Soros. Aber warum das moralisch messen? Was Sie Spendierrausch nennen, ist eine Wirkung der Wirkung. Soros hat den Markt mit Marktmitteln hochgereizt wie keiner vor ihm, hat irre verdient, hat gesagt: So irre darf nicht verdient werden, der Markt muß reguliert werden. Und um vor sich selber glaubhaft zu sein, spendiert er jetzt noch und noch. Allerdings wird er da doch ideologisch. Auf seiner Hundertmillionendollaruni in Ungarn sollen Menschen zu Kosmopoliten erzogen werden. Er selber sei auch einer. Merken Sie, wie da der Realismus hinkt? Kosmopolit kann man, glaube ich, nicht vor aller Erfahrung werden, sondern erst nach aller Erfahrung. Von mir aus auch umgekehrt. Das ist Ihr Fach. Andererseits: Daß Soros jetzt verkündet, es herrsche ein Mangel an echten Werten, sagt mir, daß sein Markterfolg ihn entwickelt hat. Der Markt ist von selbst das, was die Veranstaltungen der Politik und der Kunst sich zu sein bemühen: die Verbesserungskraft. Die Bankiersfamilie in Zürich, die sich zwei ununterscheidbare Superautos bauen ließ, von denen immer nur eins zu sehen sein durfte, weil die Leute nicht sehen sollten, daß man zwei solche Luxusdinger hat. Als ein Junior nach dem Motiv gefragt wurde, sagte er: Tiefstapelei und Angst. Jener Landgraf, dann Kurfürst, der seine Landeskinder verkaufte und der Reichste wurde, wollte ja auch für arm gehalten werden.

Babenberg: Sie reden von meinem nächsten Buch.

Karl von Kahn: Und schon schweig ich.

Babenberg: Zur Zeit kann ich nirgends länger als dreißig Minuten sein, ohne von meinem Buch zu reden. Ob es paßt oder nicht. Ich fang einfach davon an.

Karl von Kahn: Ich bitte darum.

Babenberg: Aber heute paßt es sogar.

Karl von Kahn: Und die halbe Stunde ist längst um.

Babenberg: Das Buch heißt Schuld und Sahne.

Karl von Kahn: Das klingt aber.

Babenberg: Und beschrieben wird die Schuldunfähigkeit des Menschen. Wer von Schuld spricht, spricht immer von den anderen, nicht von sich selbst. Schuld und Sahne. Inzwischen heißt Schuld und Sühne im Deutschen wieder, wie es dem Original entspricht: Verbrechen und Strafe. Prestuplenie i nakazanie. Die Gesellschaft hat das Recht, Handlungen Verbrechen zu nennen und Verbrecher zu bestrafen. Daß der Verbrecher sich schuldig fühlen soll, kann sie verlangen, aber nicht bewirken.

Karl von Kahn: Zur Schuldsprache in der Marktwelt: Der Hundertsekunden-Coup, the Citigroup’s notorious Dr. Evil trade, hat stattfinden müssen, weil the Citygroup was under pressure to deliver big profits in a hurry.

Frau Lenneweit hatte schon den pelzbesetzten Mantel in der Hand, die Pelzmütze reichte Karl von Kahn, es wurde ein herzlicher Abschied.

Als Herr Babenberg draußen war, sagte Frau Lenneweit, den bayerischen Volksmund variierend: Jeder Zoll ein Herr.

Karl von Kahn machte Frau Lenneweit die üblichen Vorwürfe, weil sie wieder so lange geblieben war; sie sah ihn mit abgrundtiefen Augen an. Seit Helen aus dem Haus war und Frau Lenneweit das gemerkt hatte, ohne daß es ihr gesagt worden war, wurde das allabendliche Auseinandergehen schwieriger.

Dieser Babenberg. Wenn man von Amadeus Stengl wegen seines Niveaus nicht das Allerschlimmste gewärtigen mußte — obwohl man inzwischen nichts mehr ausschließen sollte — , so galt das erst recht für Babenberg. Er war nicht der immer von sich Hingerissene wie Diego und nicht der Incasso-Beamte seiner Prominenz wie Amadeus, Babenberg war nicht … gewinnend, er warb nicht, er war nicht cool, sondern kühl. Er wirkte nicht freundlicher, als er möglicherweise war. Das war doch das Höchste.

Auf jeden Fall ein Kundengespräch der erträglichen Art. Geld ist das Apriori. Sagt schon Sohn-Rethel. Den zu zitieren hatte er vergessen. Sohn-Rethel, das war sicher ein Intellektueller nach Babenbergs Geschmack.

In der U-Bahn saß er einer braungebrannten Frau gegenüber, die den in ihren Schoß gebetteten Pudel so zärtlich behandelte, daß sie es mit Recht für angebracht hielt, die Leute um sie herum aufzuklären. Sie mache sonst kein solches Getue, aber ihr Hund, so alt wie Methusalem, sei heute operiert worden. Als sie das sagte, bemerkte Karl von Kahn die Narbe auf ihrer braungebrannten Stirn. Diese Narbe würde ihn, auch wenn die Frau nicht braungebrannt wäre, kein bißchen stören. Er war froh, daß er die Frau mit der Stirnnarbe anschauen konnte. Er würde mit dieser Frau, wenn sie es zuließe, hingehen, wohin sie wollte. Mit einer Frau, die eine Stirnnarbe hatte und einen heute operierten uralten Pudel so hätschelte, daß sie es selber für nötig hielt, das den Leuten in der U 6 zu erklären, mit einer solchen Frau könnte er sein Leben verbringen. Leider stieg sie schon an der Dietlindenstraße aus. Wenn sie am Nordfriedhof ausgestiegen wäre, hätte er ihr anbieten können, den Pudel zu tragen. Und warum war er nicht einfach auch an der Dietlindenstraße ausgestiegen? Weil er ein Idiot war.

Es fiel ihm auf, daß er, weil Joni weg war, kaum einer Frau begegnen konnte, mit der er nicht hätte sein Leben verbringen wollen. Offenbar war er jetzt haltlos.

2

Fremd war ihm jetzt der Hochmut, mit dem er auf die Zuschauer herabsah, die Fernsehzuschauer, die der Formulierer Amadeus Quotenfutter nannte. Jetzt saß er selber vor dem Apparat, reif fürs Programm. Er brauchte es. Er wollte nichts mit sich zu tun haben. Sein Vorwand: Sonntagabend und Zu Gast bei Gundi. Danach würde er noch einmal lesen, was Erewein ihm hinterlassen hatte.

Gundi fing ganz anders an. Kein schwarzer Schiffsbug mehr mit Inutile Precauzione, kein Fliegender Holländer mehr von Hindemith lustig heruntermusiziert, kein Ruhlmann-Sofa mehr, nichts, wie es war, dafür ein großes weißes Zelt, darin saßen Gundi und ihr Gast, saßen auf Barhockern, saßen an einem runden Bartischchen einander gegenüber. Gundi stützte ihre Ellbogen auf die runde Tischplatte, die silbern gleißte, ihr gegenüber saß Amadeus Stengl. Ihr Kinn lag auf ihren zwei kleinen Fäustchen, sie sah ihren Gast an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Er hielt sich mit beiden Händen an der silbernen Tischplatte fest, als brauche er, wenn er Gundis Blicken standhalten wolle, diesen Halt. Plötzlich nahm sie seine Rechte in ihre Hände. Der Tisch war so bemessen, daß das leicht möglich war. Sie stieg vom Barhocker, löste ihn von seinem Hocker und führte ihn zu dem großen, breiten Zelteingang, schon fast eher ein Tor als ein Eingang. Das war kein Zelt, das von irgendeiner Organisation der Welt aufgestellt worden sein konnte. Das war ein Zelt, das man schon im Theater oder im Film gesehen hatte. Das war historisch. Shakespeare, dachte man, wenn man dieses Zelt sah. Und es stand im Sand, auch innen, der Boden Sand, nicht einmal festgetreten. Die beiden schauten hinaus auf den sonnenbeschienenen Strand und auf das Meer, das dem Strand mit langsamen Wellen flattierte.

Als habe sie Amadeus Stengl nur zeigen wollen, wo alles stattfinde, geleitete sie ihn jetzt wieder zurück zum Bartisch mit der Silberplatte, beide bestiegen ihre Stühle.