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«Du glaubst, daß Gott existiert, und das glaube ich auch«, hatte Petrus gesagt.»Dann existiert Gott für uns beide. Aber wenn jemand nicht an ihn glaubt, so hört er deswegen nicht auf zu existieren, und der Mensch, der nicht glaubt, ist deswegen nicht im Unrecht.«

«Dann hängt Gott also vom Wunsch und der Macht des Menschen ab?«

«Ich hatte einmal einen Freund, der sein ganzes Leben lang ein Trunkenbold gewesen ist, doch er betete jeden Abend drei Ave-Marias, weil ihn seine Mutter von Kindesbeinen an daran gewöhnt hatte. Selbst wenn er vollkommen betrunken nach Haus kam und obwohl er nicht an Gott glaubte, betete dieser Freund immer drei Ave-Marias. Nachdem er gestorben war, fragte ich während eines Rituals der >Tradition< den Geist der Alten, wo sich jetzt mein Freund befände. Der Geist der Alten antwortete mir, daß es ihm gutginge und er von Licht umgeben sei. Obwohl er im Leben keinen Glauben gehabt hatte, hatte ihn sein Werk, das nur in den drei Gebeten bestand, die er aus Pflichtgefühl und ganz automatisch sprach, gerettet.

Für unsere Vorfahren lebte Gott in den Höhlen und in den Gewittern. Nachdem der Mensch entdeckt hatte, daß dies Naturphänomene waren, lebte er in einigen Tieren und in heiligen Wäldern. Es gab eine Epoche, da lebte er nur in den Katakomben der großen Städte der Antike. Doch während dieser ganzen Zeit hat er nie aufgehört, im Herzen des Menschen als Liebe zu fließen.

Heute ist Gott nur noch ein fast wissenschaftlich bewiesener Begriff. Doch wenn die Geschichte an diesem Punkt angelangt ist, macht sie eine Kehrtwendung, und alles beginnt wieder von vorn. Das Gesetz der Wiederkehr. Als Pater Miguel den Satz Christi zitiert hat, indem er sagte, daß dort, wo dem Schatz ist, auch dein Herz sein wird, bezog er sich eben darauf. Wo jemand Gottes Antlitz sehen will, da sieht er es. Und wenn er es nicht sehen will, tut das nichts zur Sache, Hauptsache, sein Werk ist gut. Als Felicia von Aquitanien die Einsiedelei baute und den Armen half, vergaß sie den Gott des Vatikans und offenbarte ihn auf ihre, vielleicht ursprünglichere und weisere Art: in der Liebe. Was das betrifft, hatte der Bauer vollkommen recht, wenn er sagte, die Liebe sei getötet worden.«

Der Bauer, der unserem Gespräch nicht recht folgen konnte, fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut.

«Das Gesetz der Wiederkehr hat in dem Augenblick gegriffen, als ihr Bruder gezwungen war, ihr Werk fortzuführen, das er unterbrochen hatte. Alles ist erlaubt. Nur eine Offenbarung der Liebe darf nicht unterbrochen werden. Geschieht dies, so ist der, der versucht hat, sie zu zerstören, verpflichtet, sie wieder aufzubauen. «Ich erklärte, daß in meinem Land das Gesetz der Wiederkehr bedeutete, daß die Mißbildungen und Krankheiten der Menschen die Strafe für in vergangenen Reinkarnationen begangene Fehler seien.

«Unsinn«, meinte Petrus.»Gott ist nicht die Rache, Gott ist die Liebe. Seine einzige Strafe besteht darin, daß er jemanden zwingt, das Werk fortzuführen, das er unterbrochen hat.«

Der Bauer verabschiedete sich mit dem Hinweis, es sei schon spät und er müsse wieder zurück an seine Arbeit. Petrus fand, daß das ein guter Anlaß für uns sei, aufzustehen und unseren Weg fortzusetzen.

«Dies sind doch alles nur eitle Worte«, sagte er, während wir durch den Olivenhain gingen.»Gott ist in allem, was uns umgibt, er muß gefühlt, gelebt werden, und ich versuche hier gerade, ihn zu einem Problem der Logik zu machen, damit du verstehst. Mach weiterhin deine Übung des Langsamgehens, und du wirst seine Gegenwart immer deutlicher erkennen.«

Zwei Tage später mußten wir einen Berg mit dem Namen Alto del Perdon hinaufsteigen. Der Aufstieg dauerte mehrere Stunden, und als wir oben ankamen, sah ich eine Szene, die mich aufbrachte. Eine Gruppe Touristen, deren Autoradios mit voller Lautstärke spielten, sonnte sich und trank Bier. Sie waren auf einer Nebenstraße hier heraufgefahren.

«So ist das nun mal«, sagte Petrus.»Oder hast du geglaubt, daß du hier oben einen der Ritter aus dem Cid antreffen würdest, der den nächsten Angriff der Mauren ausspäht?«

Während des Abstiegs machte ich ein letztes Mal die Langsamkeitsübung. Wir befanden uns wieder vor einer weiten Ebene, die von bläulichen Bergen flankiert war und deren niedrig wachsende Vegetation die Dürre versengt hatte. Es gab kaum Bäume, nur steiniges Gelände mit einigen Dornenpflanzen. Am Ende der Übung fragte mich Petrus nach etwas, das meine Arbeit betraf, und erst da merkte ich, daß ich schon lange nicht mehr daran gedacht hatte. Meine Sorgen wegen der Geschäfte, wegen der liegengebliebenen Arbeit waren praktisch verschwunden. Ich war zufrieden, hier zu sein und den Jakobsweg zurückzulegen.

«Irgendwann wirst du das gleiche tun wie Felicia von Aquitanien«, scherzte Petrus, als ich ihm von meinen Gefühlen erzählte. Dann blieb er stehen und bat mich, den Rucksack auf den Boden zu stellen.

«Schau um dich und fixiere deinen Blick auf irgendeinen Punkt«, sagte er.

Ich wählte das Kreuz auf einem Kirchturm, den ich in der Ferne sehen konnte.

«Fixiere diesen Punkt, und versuch dich nur auf das zu konzentrieren, was ich dir sagen werde. Auch wenn du etwas anderes spüren solltest, laß dich nicht ablenken. Tu, was ich dir sage.«

Ich stand ganz entspannt da und hatte den Turm fixiert, als Petrus sich hinter mich stellte und einen Finger unten in meinen Nacken drückte.

«Der Weg, den du zurücklegst, ist der Weg der Macht, und nur die Exerzitien der Macht werden dir beigebracht werden. Die Reise, die zuvor eine Qual gewesen ist, weil du nur ankommen wolltest, beginnt sich nun in eine Freude zu verwandeln, in die Freude an der Suche und am Abenteuer. Damit nährst du etwas sehr Wichtiges, nämlich deine Träume.

Ein Mensch darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele, was Nahrung für den Körper bedeutet. Wir müssen häufig in unserem Leben erfahren, wie unsere Träume zerstört und unsere Wünsche nicht erfüllt werden, dennoch dürfen wir nie aufhören zu träumen, sonst stirbt unsere Seele, und die Agape kann nicht in sie eindringen. Viel Blut ist auf dem Feld, das vor dir liegt, geflossen, und einige der grausamsten Schlachten der Reconquista wurden hier geschlagen. Es ist nicht wichtig zu wissen, wer das Recht oder die Wahrheit auf seiner Seite hatte: Wichtig ist, daß beide Seiten den guten Kampf kämpften.

Der gute Kampf ist der, den wir kämpfen, weil unser Herz es so will. Zu den heroischen Zeiten der fahrenden Ritter war dies noch einfach. Es gab viel Land zu erobern und viel zu tun.

Heute sieht die Welt ganz anders aus, und der gute Kampf wurde von den Schlachtfeldern in unser Inneres verlegt.

Der gute Kampf ist der, den wir im Namen unserer Träume führen. Wenn sie mit aller Macht in unserer Jugend aufflammen, haben wir zwar viel Mut, doch wir haben noch nicht zu kämpfen gelernt. Wenn wir aber unter vielen Mühen zu kämpfen gelernt haben, hat uns der Kampfesmut verlassen.

Deshalb wenden wir uns gegen uns selber und werden zu unseren schlimmsten Feinden. Wir sagen, daß unsere Träume Kindereien, zu schwierig zu verwirklichen seien oder nur daher rührten, daß wir von den Realitäten des Lebens keine Ahnung hätten. Wir töten unsere Träume, weil wir Angst davor haben, den guten Kampf aufzunehmen.«

Der Druck, den Petrus' Finger auf meinen Nacken ausübte, wurde stärker. Es kam mir so vor, als hätte sich der Kirchturm verändert. Die Umrisse des Kreuzes sahen aus wie ein Mensch mit Flügeln. Ein Engel. Ich blinzelte, und das Kreuz war wieder ein Kreuz.

«Das erste Symptom dafür, daß wir unsere Träume töten, ist, daß wir nie Zeit haben«, fuhr Petrus fort.»Die meistbeschäftigten Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, waren zugleich auch die, die immer für alles Zeit hatten. Diejenigen, die nichts taten, waren immer müde, bemerkten nicht, wie wenig sie schafften, und beklagten sich ständig darüber, daß der Tag zu kurz sei. In Wahrheit hatten sie Angst davor, den guten Kampf zu kämpfen.