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Wenn es dir gelingt, dein Schwert zu finden, mußt du jemand anderen auf dem Jakobsweg führen. Erst wenn du die Rolle des Meisters akzeptierst, wirst du alle Antworten in deinem Herzen finden. Wir wissen bereits alles, bevor jemand uns davon erzählt. Das Leben lehrt uns mit jedem Augenblick etwas, und das einzige Geheimnis liegt darin, zu akzeptieren, daß wir durch unseren Alltag ebenso weise werden können wie Salomo und ebenso mächtig wie Alexander der Große. Doch zu dieser Erkenntnis gelangen wir erst, wenn wir gezwungen sind, jemanden etwas zu lehren und an so außergewöhnlichen Abenteuern wie diesem hier teilzunehmen.«

Und nun kam der ungewöhnlichste Abschied, den ich je erlebt habe. Jemand, mit dem ich eine so intensive Beziehung gehabt und von dem ich erhofft hatte, daß er mich zu meinem Ziel führen würde, ließ mich auf halbem Weg stehen, noch dazu mitten auf einem stinkenden Rangierbahnhof. Und mir blieb nichts anderes übrig, als es mit geschlossenen Augen hinzunehmen.

«Ich mag keine Abschiedsszenen«, fuhr Petrus fort.»Wir Italiener sind sehr emotional, uns geht so etwas immer an die Nieren. Es ist nun einmal so: Du mußt dein Schwert allein finden, damit du an deine Macht glauben kannst, Alles, was ich dir vermitteln konnte, habe ich dir vermittelt. Es bleibt nur noch das Exerzitium des Tanzes, das ich dir jetzt beibringen werde, weil du es morgen während des Rituals brauchst.«

Er schwieg. Viel später durfte ich endlich die Augen öffnen.

Petrus saß auf einer der Wagenkupplungen der Lokomotive. Ich mochte nichts sagen, denn der Brasilianer ist auch eher emotional. Die Neonlampe über uns begann zu flackern, und in der Ferne kündigte ein Zug pfeifend seine Ankunft an.

Da lehrte mich Petrus das Exerzitium des Tanzes.

«Eines noch«, sagte er und blickte mir dabei tief in die Augen.

«Als ich damals meine Pilgerwanderung beendet hatte, malte ich ein schönes, überdimensionales Bild, auf dem ich alles darstellte, was ich bis dahin erlebt hatte. Das ist der Weg der gewöhnlichen Menschen, und du kannst das gleiche tun, wenn du willst. Wenn du nicht malen kannst, schreib etwas, denk dir ein Ballett aus. So können durch deine Vermittlung auch andere Menschen die Rota Jacobea gehen, egal wo sie sich befinden.«

Der Zug, der gepfiffen hatte, fuhr in den Bahnhof ein. Petrus winkte mir und verschwand zwischen den Waggons. Und ich stand da, während unweit von mir der Zug mit kreischenden Bremsen zum Stillstand kam, und versuchte, die geheimnisvolle Milchstraße mit ihren Sternen über mir zu entziffern, die mich bis hierher geführt hatte und die in aller Stille die Einsamkeit und das Schicksal aller Menschen lenkte.

Am nächsten Tag lag eine Nachricht in meinem Schlüsselfach: 7.00 UHR P.M. CASTILLO DE LOS TEMPLARIOS.

Ich verbrachte den Tag damit, kreuz und quer durch das kleine Ponferrada zu streifen, immer die Burg auf dem kleinen Hügel vor Augen, wo ich mich bei Sonnenuntergang einfinden sollte.

Die Templer haben meine Phantasie seit jeher angeregt, und die Burg in Ponferrada war nicht die einzige Spur, die der Templerorden auf der Rota Jacobea hinterlassen hatte. Der Orden war von neun Rittern gegründet worden, die beschlossen hatten, nicht mehr an Kreuzzügen teilzunehmen.

Sie hatten sich bald über ganz Europa DAS EXERZITIUM DES TANZES

Entspanne dich und schließe die Augen. Erinnere dich an die ersten Melodien, die du in deinem Lehen gehört hast. Summe sie innerlich vor dich hin. Ganz allmählich läßt du einen Teil deines Körpers — Füße, Bauch, Hände, Kopf usw. -, doch nur einen Teil, die Melodie tanzen, die du gerade singst.

Nach fünf Minuten kannst du mit Singen aufhören. Lausche auf die Geräusche, die dich umgehen. Komponiere aus ihnen eine Musik und tanze sie mit deinem ganzen Körper. Vermeide es, an irgend etwas zu denken, sondern versuche, dich an die Bilder zu erinnern, die spontan auftauchen.

Der Tanz ist eins der vollkommensten Kommunikationsmittel mit der Unendlichen Weisheit. Dauer: fünfzehn Minuten. verteilt und tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen am Anfang dieses Jahrtausends hervorgerufen. Während der größte Teil des Adels jener Zeit nur darauf bedacht war, seinen Reichtum auf Kosten der im Feudalsystem üblichen Knechtschaftsarbeit zu vermehren, weihten die Tempelritter ihr Leben, ihre Güter und ihre Schwerter einer einzigen Sache: dem Schutz der Pilger nach Jerusalem, wobei sie eine Form des spirituellen Lebens entwickelten, die ihnen auf der Suche nach Weisheit und Erkenntnis helfen sollte.

1118 versammelten sich Hugues de Payns und noch acht weitere Ritter im Innenhof einer alten Burg und taten einen Schwur der Liebe zur Menschheit. Zwei Jahrhunderte später gab es in der damals bekannten Welt bereits fünftausend Komtureien, die zwei Arten der Lebensgestaltung miteinander verbanden, die bislang unvereinbar erschienen: das Mönchtum und das Rittertum. Die Schenkungen und Spenden der Komturen und Tausender dankbarer Pilger führten dazu, daß der Templerorden in kurzer Zeit unermeßlichen Reichtum anhäufen konnte, der mehr als einmal dazu diente, bedeutende Persönlichkeiten der Christenheit zu befreien, die von den Muselmanen als Geiseln genommen worden waren. Die Rechtschaffenheit der Ritter war so unbestritten, daß Könige und Adlige den Templern ihre Güter anvertrauten und nur noch mit Dokumenten reisten, die das Vorhandensein dieser Güter nachwiesen. So ein Dokument konnte in irgendeiner der Burgen des Ordens gegen die entsprechende Summe eingelöst werden und war die Vorstufe unserer heutigen Wechsel.

Die Frömmigkeit der Templer führte dazu, daß sie die Wahrheit dessen begriffen, was Petrus am Vorabend gesagt hatte: Das Haus des Vaters hat viele Wohnungen. Denn sie trachteten danach, die Glaubenskämpfe aufzugeben und die wichtigsten monotheistischen Religionen jener Zeit zu vereinen, das Christentum, den Judaismus und den Islam. Ihre Kapellen erhielten daher die runde Kuppel des jüdischen Tempels Salomos, den achteckigen Grundriß arabischer Moscheen und die für die christlichen Kirchen typischen Kirchenschiffe. Doch wie alle, die ihrer Zeit voraus sind, wurden die Templer mit Skepsis bedacht. Ihre große wirtschaftliche Macht erweckte den Neid der Könige und ihre religiöse Offenheit den Argwohn der Kirche. Am Freitag, den 13, Oktober 1307, entfesselten der Vatikan und die wichtigsten Staaten Europas eine der größten Polizeiaktionen des Mittelalters. In einer einzigen Nacht wurden die Vorsteher in ihren Burgen festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Sie wurden angeklagt, geheime Zeremonien durchzuführen, bei denen sie den Dämon anbeteten und Jesus Christus lästerten.

Weiter warf man ihnen vor, orgiastische Rituale vollführt und mit den Novizen Sodomie betrieben zu haben. Den Rittern wurden durch Folter Geständnisse abgepreßt, nicht wenige schworen dem Orden ab. Und so verschwand der Templerorden von der historischen Landkarte des Mittelalters. Die Schätze wurden konfisziert und die Mitglieder über die ganze Welt verstreut. Der letzte Großmeister des Ordens, Jacques de Molay, wurde in Paris zusammen mit einem Gefährten bei lebendigem Leibe verbrannt. Sein letzter Wunsch war es gewesen, im Anblick der Kathedrale Notre-Dame zu sterben.

Die spanischen Könige, die damals in die Kämpfe der Reconquista verwickelt waren, nahmen die verfolgten Ritter aus ganz Europa auf, um sich ihre Unterstützung im Kampf gegen die Mauren zu sichern. Diese Ritter gingen in spanischen Orden, beispielsweise dem Orden des heiligen Jacobus vom Schwert, auf, der für den Schutz des Jakobsweges zuständig war.

Dies alles ging mir durch den Kopf, als ich um Punkt sieben Uhr abends durch das Haupttor der alten Templerburg von Ponferrada ging, wo mein Zusammentreffen mit der >Tradition< stattfinden sollte.

Niemand außer mir war dort. Ich wartete, eine Zigarette nach der ändern rauchend, und fürchtete schon, ich hätte mich geirrt und das Ritual hatte schon um sieben Uhr morgens stattgefunden. Doch als ich schon gehen wollte, kamen zwei junge Frauen herein, auf deren Kleidern die niederländische Fahne und die Kammuschel, das Symbol des Jakobsweges, genäht waren. Sie gesellten sich zu mir, wir wechselten ein paar Worte und stellten fest, daß wir alle drei aus demselben Grund hier waren.