Выбрать главу

Einige davon machten in der heutigen Welt keinerlei Sinn mehr.

Andere betrafen tiefe Frömmigkeit und Liebe. Andrew beantwortete alle mit gesenktem Kopf und blieb standhaft dabei, daß er in die Gemeinschaft des Hauses eintreten wolle.

Schließlich wandte sich sein Führer an den Hohenpriester und wiederholte alle Antworten, die ihm der Australier gegeben hatte.

Zum Schluß näherte sich sein Meister feierlich und übergab ihm sein Schwert.

Eine Glocke läutete, und ihr Klang hallte wider von den Wänden der alten Burg. Wir senkten alle den Kopf, und die Ritter entschwanden unseren Blicken. Als wir den Kopf wieder hoben, waren wir nur noch zehn, denn der Australier war mit den Rittern zum rituellen Bankett gegangen.

Wir zogen uns wieder um und verabschiedeten uns ohne viel Umstände voneinander. Der Tanz mußte lange gedauert haben, denn es tagte bereits. Unendliche Einsamkeit erfüllte meine Seele.

Ich war neidisch auf den Australier, der sein Schwert erhalten und sein Ziel erreicht hatte. Ich selber war ganz auf mich gestellt, ohne das Geheimnis meines Schwertes noch seinen Standort zu kennen.

Als ich kurz vor Tagesanbruch aus der Burg trat, läutete die Glocke noch immer. Sie gehörte einer nahen Kirche und rief die Gläubigen zur Frühmesse. Die Stadt erwachte. Vor ihr lag ein Tag voller Arbeit, unglücklicher Liebe, ferner Träume und Rechnungen, die bezahlt werden mußten. Doch weder die Glocke noch die Stadt wußten, daß in jener Nacht ein uraltes Ritual vollzogen worden war und daß das, von dem alle seit Jahrhunderten glaubten, es sei tot, sich immer wieder erneuerte und seine unendliche Macht zeigte.

Cebreiro

Sind Sie Pilger?«fragte ein kleines Mädchen, das die einzige lebende Seele an diesem glühendheißen Nachmittag in Villafranca del Bierzo zu sein schien.

Die Kleine mochte etwa acht Jahre alt sein, sie war in ihren ärmlichen Kleidern zu mir an den Brunnen gekommen, an dem ich mich etwas ausruhte.

Meine einzige Sorge war, so schnell wie möglich nach Santiago de Compostela zu gelangen und dieses verrückte Abenteuer zu beenden. Mich verfolgten Petrus' traurige Stimme auf dem Bahnhof und sein abwesender Blick, mit dem er mir beim Ritual der >Tradition< in die Augen gesehen hatte — als wären all seine Bemühungen, mir zu helfen, umsonst gewesen. Sicher hätte es Petrus gern gesehen, wenn statt des Australiers ich zum Altar gerufen worden wäre. Mein Schwert konnte durchaus in dieser verlassenen und legendenumwobenen Burg versteckt sein, denn der Ort war genau, was ich suchte: ein verlassener heiliger Ort, nur von wenigen Pilgern besucht, denen er aufgrund der Reliquien des Templerordens heilig war.

Nun, da der Australier zum Altar gerufen worden war, fühlte sich Petrus bestimmt vor den anderen gedemütigt, weil er als Führer versagt und mich nicht zu meinem Schwert geführt hatte.

Zudem hatte das Ritual der >Tradition< in mir wieder die Faszination für die Kenntnisse des Okkulten aufleben lassen, die ich auf dem Jakobsweg so konsequent zu vergessen lernte.

Die Anrufungen, die Kontrolle über die Materie, die Kommunikation mit anderen Welten, all das war viel interessanter als die Praktiken der R.A.M. Auch wenn möglicherweise gerade sie mein Leben viel direkter beeinflußten: Seit Beginn der Wanderung auf dem Jakobsweg hatte ich mich zweifellos verändert, hatte mit Petrus' Hilfe herausgefunden, daß sie mich in die Lage versetzten, Wasserfalle zu überwinden, Feinde zu besiegen und mit dem Boten über praktische, greifbare Dinge zu reden. Ich hatte das Antlitz meines Todes gesehen und miterlebt, wie die blaue Kugel der alles umfassenden Liebe die ganze Welt umhüllte.

Ich war bereit, den guten Kampf zu kämpfen und mein Leben zu einer Kette von Erfolgen zu machen.

Dennoch fühlte ein verborgener Teil meines Seins Sehnsucht nach den magischen Zirkeln, den transzendentalen Formeln, dem Weihrauch und der >heiligen Tinte<. Was Petrus eine

>Hommage an die Alten< genannt hatte, war für mich ein nostalgisches Wiedereintauchen in altbekannte Lektionen gewesen, zu denen ich mich weiterhin machtvoll hingezogen fühlte. Und allein die Aussicht, daß mir der Zugang zu dieser Welt künftig versperrt sein könnte, nahm mir den Antrieb weiterzumachen.

Als ich nach dem Ritual der >Tradition< zum Hotel zurückkam, lag neben meinem Schlüssel Der Pilgerführer in meinem Fach, ein Buch, das Petrus immer benutzt hatte, wenn die gelben Markierungen schlecht zu erkennen waren und wenn es darum ging, die Entfernung zwischen zwei Städten abzuschätzen. Ich verließ Ponferrada noch am selben Morgen. Am Nachmittag stellte ich fest, daß die Karte nicht maßstabgetreu war: Ich mußte eine Nacht unter freiem Himmel in einem natürlichen, von einem Felsen gebildeten Unterstand verbringen.

Dort überdachte ich noch einmal alles, was seit der Begegnung mit Madame Savin geschehen war, und mir ging Petrus'

beharrlicher Versuch nicht aus dem Sinn, mir klarzumachen, daß im Gegensatz zu dem, was man uns immer beigebracht hatte, die Ergebnisse das Wichtigste seien. Sich anstrengen war gesund und unerläßlich, doch die Anstrengung machte ohne Ergebnisse keinen Sinn. Das einzige Ergebnis, das ich von mir und aufgrund all dessen, was geschehen war, erhoffen konnte, war mein Schwert zu finden. Das war bislang nicht geschehen. Und es fehlten nur noch wenige Tage Fußmarsch, bis ich Santiago erreichen würde.

«Wenn Sie ein Pilger sind, kann ich Sie zum Tor der Vergebung führen. «Das Mädchen am Brunnen von Villafranca del Bierzo ließ sich nicht abwimmeln.»Wer durch dieses Tor geht, braucht nicht nach Santiago zu gehen. «Ich hielt ihr ein paar Peseten hin, damit sie ging und mich in Frieden ließ. Doch das Mädchen begann, mit dem Wasser des Brunnens zu spielen, und machte meinen Rucksack und meine Bermudas naß.

«Kommen Sie, kommen Sie schon«, insistierte sie. Da fielen mir die Worte aus einem der Briefe des Apostels Paulus wieder ein, die Petrus ständig zitiert hatte:»Der da pflügt, soll auf Hoffnung pflügen; und der da drischt, soll auf Hoffnung dreschen, daß er seiner Hoffnung teilhaftig werde.«

Ich mußte nur noch ein wenig durchhalten. Ohne Angst vor einer Niederlage bis zum Ende suchen. Die Hoffnung nicht aufgeben, daß ich mein Schwert finden und sein Geheimnis entschlüsseln würde.

Vielleicht wollte mir dieses Mädchen ja etwas sagen, was ich mich zu verstehen weigerte. Warum sollte sich mein Schwert, wenn das Tor der Vergebung, das sich in einer Kirche befand und dieselbe spirituelle Wirkung hatte wie die Ankunft in Santiago, nicht dort befinden?

«Gut, dann laß uns gehen«, sagte ich zum Mädchen. Ich blickte auf den Berg zurück, den ich gerade heruntergestiegen war. Ich mußte wieder umkehren und ihn noch einmal besteigen. Ich war offenbar an dem Tor der Vergebung achtlos vorbeigegangen, weil mein ganzes Trachten nur darauf gerichtet war, in Santiago anzukommen. Oder aber meine Eile und meine Niedergeschlagenheit hatten mich mein Ziel übersehen lassen. Hier aber war ein Mädchen, das darauf bestand, daß ich umkehrte. Warum hatte es nicht einfach mein Geld genommen und war abgehauen?

Petrus hatte immer gesagt, daß meine Phantasie mit mir durchging. Doch vielleicht war das diesmal nicht der Fall.

Während ich dem Mädchen zum Tor der Vergebung folgte, erinnerte ich mich an die Geschichte dieses Portals. Die Kirche hatte eine Art Kompromiß mit den kranken Pilgern geschlossen, denn der Jakobsweg verlief von hier aus über Gebirgszüge nach Santiago. Im 12. Jahrhundert hatte ein Papst Pilgern, die auf dem Jakobsweg erkrankt waren und nicht mehr weiterwandern konnten, eine Art Notlösung zugestanden: Wenn sie das Tor der Vergebung durchschritten, gewährte er ihnen denselben Ablaß wie den anderen Pilgern, die den Weg zu Ende gingen. Mit diesem Trick hatte jener Papst das Problem der Berge aus der Welt geschafft und die Pilgerzüge gefördert.

Wir erklommen die gewundenen, rutschigen Wege, über die ich zuvor heruntergekommen war. Das Mädchen lief schnell wie der Blitz voraus, und ich mußte es mehrfach bitten, langsamer zu gehen, was es eine Zeitlang gutwillig tat, bis es sich wieder vergaß und erneut losrannte. Eine halbe Stunde später waren wir am Tor der Vergebung angelangt.»Ich habe den Schlüssel zur Kirche«, sagte das Mädchen.»Ich gehe hinein und schließe Ihnen von innen auf.«