Выбрать главу

«Außer einer, der letzten und wichtigsten«, sagte er, indem er mich weiterhin ausdruckslos anstarrte.»Und ohne diese Feuerprobe ist alles, was Sie gelernt haben, bedeutungslos.«

«Deshalb mache ich jetzt die Wallfahrt nach Santiago.«

«Das garantiert überhaupt nichts. Kommen Sie mit mir.«

Petrus blieb im Garten zurück, und ich folgte Pater Miguel. Wir durchquerten Klosterhöfe, kamen an der Stelle vorbei, an der König Sancho der Starke begraben lag, und gelangten zu einer kleinen Kapelle, die abseits der Hauptgebäude lag, die das Kloster von Roncesvalles bildeten.

Die Kapelle war leer, bis auf einen Tisch, ein Buch und ein Schwert. Aber es war nicht meines.

Pater Miguel setzte sich an den Tisch und ließ mich stehen.

Dann nahm er einige Kräuter, zündete sie an, und der Raum füllte sich mit Düften. Die Situation erinnerte mich immer mehr an mein Zusammentreffen mit Madame Savin.

«Zuerst einmal werde ich Sie aufklären«, sagte Pater Miguel.

«Der Jakobsweg ist nur einer von vier Wegen. Es ist der Weg des Schwertes. Er kann Ihnen Macht geben, aber das reicht nicht.«

«Und welche sind die anderen drei?«

«Ich kenne zumindest noch zwei: den Weg nach Jerusalem, der zugleich der Weg der Kelche oder des Grals ist, der einem die Macht verleiht, Wunder zu tun, und den Weg nach Rom, der auch der Weg der Stäbe genannt wird und einem die Kommunikation mit anderen Welten ermöglicht.«

«Da fehlt noch der Weg der Münzen, um die vier Farben der Tarotkarten zu komplettieren«, scherzte ich. Und Pater Miguel lachte.

«Genau. Dies ist der geheime Weg, den Sie, wenn Sie ihn eines Tages gehen sollten, niemandem verraten dürfen. Aber lassen wir ihn einstweilen außen vor. Wo sind Ihre Jakobsmuscheln?«

Ich öffnete den Rucksack und holte die Muscheln mit dem Bildnis Unserer Jungfrau von der Erscheinung heraus. Er stellte sie auf den Tisch, breitete beide Hände über sie aus, begann sich zu konzentrieren und bat mich, es ihm gleichzutun. Der Duft, der in der Luft lag, wurde immer intensiver. Sowohl der Pater als auch ich hatten die Augen geöffnet, und plötzlich sah ich, daß genau das geschah, was ich damals in Itatiaia gesehen hatte: Die Muscheln leuchteten. Das Leuchten wurde immer stärker, und ich hörte eine geheimnisvolle Stimme aus der Kehle des Pater Miguel klingen, die sagte:»Dort, wo dein Schatz ist, dort wird dein Herz sein. «Das war ein Satz aus der Bibel. Die Stimme fuhr fort:

«Dort, wo dein Herz ist, wird die Wiege des zweiten Kommens Jesu Christi sein; wie diese Muscheln ist auch der Wallfahrer auf dem Jakobsweg nur eine Hülle. Wenn die Hülle aufbricht, erscheint das aus Agape bestehende Leben.«

Er zog seine Hände zurück, und die Muscheln hörten auf zu leuchten. Dann schrieb er meinen Namen in das Buch, das auf dem Tisch lag. Auf dem ganzen Jakobsweg habe ich nur drei Bücher gesehen, in die mein Name geschrieben wurde: das Buch von Madame Savin, das des Pater Miguel und das Buch der Macht, in das ich später selber meinen Namen schreiben sollte.

«Das war's«, sagte er.»Sie können mit dem Segen der Jungfrau von Roncesvalles und dem Segen des heiligen Jacobus vom Schwert weiterziehen.«

«Der Jakobsweg wird durch gelbe Punkte angezeigt, die überall in Spanien zu finden sind«, sagte der Pater, während wir zu der Stelle zurückkehrten, an der Petrus auf uns wartete.»Wenn Sie sich irgenwann einmal verlaufen sollten, suchen Sie nach den gelben Zeichen — an Bäumen, auf Steinen, auf Wegweisern — , und Sie werden einen sicheren Ort erreichen.«

«Ich habe einen guten Führer.«

«Dennoch sollten Sie versuchen, sich vor allem auf sich selbst zu verlassen. Damit Sie nicht sechs Tage lang durch die Pyrenäen im Kreis laufen.«

Also kannte der Pater die Geschichte bereits.

Wir kamen zu Petrus und verabschiedeten uns dann voneinander. Petrus und ich verließen Roncesvalles am Vormittag, der Nebel hatte sich schon vollständig aufgelöst. Ein gerader, ebener Weg lag vor uns, und ich bemerkte die gelben Zeichen, von denen Pater Miguel gesprochen hatte. Der Rucksack war jetzt etwas schwerer, denn ich hatte in der Taverne eine Flasche Wein gekauft, obwohl Petrus gemeint hatte, es sei unnötig. Nach Roncesvalles sollten Hunderte kleiner Städte am Weg liegen, und ich würde nur selten unter freiem Himmel schlafen.

«Petrus, Pater Miguel hat vom zweiten Kommen Christi gesprochen, als wäre es etwas, das gerade geschieht.«

«Das tut es auch! Es geschieht ständig, und das ist das Geheimnis deines Schwertes.«

«Außerdem hast du mir erzählt, ich würde einen Hexer treffen, und ich traf auf einen Pater. Was hat die Magie mit der katholischen Kirche zu tun?«

Petrus sagte nur ein einziges Wort.

«Alles.«

Der Schmerz

Dort, genau an dieser Stelle, wurde die Liebe getötet«, sagte der alte Bauer und zeigte auf eine kleine, in die Felsen geschmiegte Einsiedelei.

Wir waren fünf Tage lang gewandert und hatten nur haltgemacht, um zu essen und zu schlafen. Petrus war weiterhin ziemlich zurückhaltend, was sein Privatleben betraf, doch er fragte mich über Brasilien und meine Arbeit aus. Er sagte, er möge mein Land sehr, denn das Bild, das er am besten kannte, sei das von Christus dem Erlöser auf dem Corcovado, wo er mit ausgebreiteten Armen dasteht und nicht am Kreuze leidet. Er wollte alles wissen und fragte mich immer wieder, ob die Frauen so schön seien wie hier. Die Hitze war tagsüber fast unerträglich, und in allen Kneipen und kleinen Städten, in die wir kamen, klagten die Menschen über die Dürre. Wegen der Hitze wanderten wir zwischen zwei und vier Uhr, wenn die Sonne am heißesten brannte, nicht mehr und übernahmen den spanischen Brauch der Siesta.

An jenem Nachmittag hatte sich, während wir in einem Olivenhain rasteten, ein alter Bauer genähert und uns einen Schluck Wein angeboten. Selbst die Hitze hatte ihn nicht von dem jahrhundertealten Brauch dieser Region abbringen können, seinen Wein zu trinken.

«Und wieso wurde dort die Liebe getötet?«fragte ich, denn der Alte schien gern einen Schwatz halten zu wollen.

«Vor vielen hundert Jahren beschloß eine Prinzessin, es war Felicia von Aquitanien, bei der Rückkehr von ihrer Pilgerfahrt nach Compostela, allem zu entsagen und sich hier niederzulassen. Das war die wahre Liebe, denn sie teilte ihr Gut mit den Armen dieser Region und pflegte die Kranken.«

Petrus hatte eine seiner scheußlichen Selbstgedrehten angezündet und lauschte, obwohl äußerlich gleichgültig, aufmerksam der Geschichte des Alten.

«Dann wurde ihr Bruder, der Herzog Guilhaume, ausgesandt, um sie nach Hause zurückzuholen. Doch Felicia weigerte sich. Verzweifelt erdolchte sie der Graf in der kleinen Einsiedelei, die man dort in der Ferne sieht und die sie mit ihren eigenen Händen gebaut hatte, um den Armen beizustehen und Gott zu preisen.

Als er wieder bei Sinnen war und begriff, was er getan hatte, ging der Graf nach Rom, um beim Papst um Vergebung zu bitten. Als Buße verpflichtete ihn der Papst dazu, nach Compostela zu pilgern. Und da geschah etwas Merkwürdiges: Als er von dort zurückkehrte, verspürte er denselben Drang und ließ sich in der Einsiedelei nieder, die seine Schwester gebaut hatte, und kümmerte sich bis in die letzten Tage seines langen Lebens um die Armen.«

«Das ist das Gesetz der Wiederkehr«, lachte Petrus. Der Bauer verstand diese Bemerkung nicht, doch ich wußte genau, was er damit sagen wollte. Während unserer Wanderung hatten wir lange theologische Streitgespräche über die Beziehung Gottes zu den Menschen geführt. Meine These war gewesen, daß innerhalb der >Tradition< Gott immer im Spiel, der Weg aber ein ganz anderer sei als der, den wir auf dem Jakobsweg verfolgten, auf dem es Hexer, dämonische Zigeuner und wundertätige Heilige gab. All dies erschiene mir sehr archaisch, zu sehr mit dem Christentum verbunden und habe nicht die Faszination und die Ekstase, die die Rituale der >Tradition< in mir hervorrufen konnten. Petrus hingegen sagte immer, daß der Jakobsweg ein Weg sei, den Jeder Mensch gehen und daß nur ein solcher Weg zu Gott führen könne.