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Herbert W. Franke

Auf der Spur des Engels

Roman

Herbert W. Franke

Auf der Spur des Engels

Roman

Deutscher Taschenbuch Verlag

Von Herbert W. Franke

sind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:

Sphinx-2 (24.407)

Cyber City Süd (24.470)

Zone Null (20.882)

Der Inhalt dieses Buches wurde auf einem nach den Richtlinien des Forest Stewardship Council zertifizierten Papier der Papierfabrik Munkedal gedruckt.

Originalausgabe

Juni 2006

© 2006 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

München

www.dtv.de

e-Book by MR Soft

Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlaggestaltung: Stephanie Weischer unter Verwendung eines Fotos von Corbis/Marvy!

Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstetten

Gesetzt aus der Sabon 10,75/13’

Druck und Bindung: Kösel, Krugzeil

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany

ISBN-13: 978-3-423-24540-1

ISBN-10: 3-423-24540-9

Folget dem Weg des Engels, seinen Irrtümern, seinen Versäumnissen, seinen Verwandlungen – und seinen Taten. Folget seiner Spur, bis sie sich im Ungewissen verliert.

Satorian: ›Das Buch der Weisungen‹

Meine Aufzeichnungen

Ich bin Sylvan Caretti. Ich bin eine der sechsundfünfzig Personen, die bei der Katastrophe auf der Eisinsel ums Leben gekommen sind.

Die Ereignisse, die dazu geführt haben, gehören der Vergangenheit an, und ich glaube nicht, dass ich noch irgendjemandem Gehorsam schuldig wäre oder irgendwelche Verpflichtungen hätte. Mein Auftrag ist erfüllt. Das Ende war so radikal, dass damit auch alles Vorausgegangene gegenstandslos geworden ist.

Ich hoffte, dass die Erinnerungen an die Katastrophe allmählich verblassen würden und ich bald meine Ruhe wiederfinden könnte, aber das Gegenteil ist der Falclass="underline" Je mehr meine Genesung fortschreitet, umso öfter kommt mir das Unrecht in den Sinn, das die Welt verändert hat, und im Zusammenhang damit kann ich mich der Tatsache nicht entziehen, dass ich der Einzige bin, der weiß, was in den verhängnisvollen sechs Tagen wirklich geschah. Und der es beweisen kann. So habe ich mich zu einem paradox erscheinenden Akt der Befreiung entschlossen. Paradox deshalb, weil er mich zwingt, in mir all das, was ich so schnell wie möglich loswerden will, erneut wachzurufen. Ich will versuchen, den Gang der Dinge, die an diesem unglücklichen Ort ihren Abschluss gefunden haben, aufzuzeichnen. Dann habe ich mehr getan, als ich tun muss, dann kann ich die jüngste Vergangenheit vielleicht endgültig begraben.

Womit soll ich anfangen? Obwohl es nichts mit den Ereignissen zu tun hatte, um die es geht, muss ich wohl ein wenig auf mein früheres Leben eingehen, dem ich so unerwartet entrissen wurde. Aber ich kann es kurz machen: jetzt, im Rückblick, erscheint mir das, was vorher mit mir geschah, nicht mehr so bedeutsam. Es liegt irgendwo jenseits einer Grenze, die ich nicht mehr überschreiten kann.

Über meine Kindheit und Jugend gibt es wenig zu berichten – beim besten Willen fällt mir nichts ein, was über eine Aufzählung banaler Ereignisse hinausginge, die wechselnden Gemeinschaftsräume, Unterricht und Spiele zusammen mit Gleichaltrigen, einige Leitpersonen am Rande, Erzieher, Trainer, der Unterricht über das Netz, wie es jeder selbst erlebt hat, der Abschluss – bei mir mit der Empfehlung, eine sportliche Tätigkeit aufzunehmen.

So begann mein Erwachsenenalter: mit der Ausbildung als Scout für Abenteuerreisen. Denn der Sport allein interessierte mich nicht, ich wollte etwas erleben, die Welt kennen lernen. Wenn ich später noch einen Sonderkurs für die geplanten Mondlandungen machen könnte … bei jenen dabei sein könnte, die in unbekanntes Land vorstoßen … so stellte ich es mir vor. Schade: Das Abenteuer habe ich gefunden, der Mond ist bis jetzt ein Traum geblieben.

Kurz und gut – ich bekam die Lizenz, wanderte mit Reisegruppen durch mühsam aufgepäppelten Urwald, durch von Mensch und Tier verlassene sibirische Steppen, durch die denkmalgeschützten Ruinenfelder des nördlichen Afrika, ich kletterte auf die höchsten Berge Asiens, paddelte über unterirdische Flüsse auf Yukatan, tauchte hinab zu versunkenen Schiffen in der Karibik …

So gingen einige Jahre dahin, und als es allmählich langweilig zu werden begann, kam für mich die erfolgreichste Zeit. Ich hatte bemerkt, dass es Möglichkeiten der Betätigung gab, die nicht nur Geld, sondern auch Ruhm einbrachten: die öffentliche Jagd nach Rekorden. Je verrückter, umso besser: mit dem Tretrad durch die Sahara, mit dem Raketenstuhl über die Anden, mit dem Luftkissengleiter den Amazonas hinauf … Für so etwas fanden sich Ausrüster, die großzügig Preise vergaben und Personality-Shows veranstalteten. Das steigerte den Bekanntheitsgrad.

Bei all diesen Unternehmungen kam ich oft in entlegene Gegenden, über die nur wenig bekannt ist, oder auch in jene Länder außerhalb der Staatengemeinschaft, die nur mit Ausnahmegenehmigungen besucht werden dürfen. So erschien es mir ganz logisch, dass sich eines Tages Angehörige des Internationalen Informationsdienstes bei mir meldeten: ob ich bereit wäre, im Laufe dieser oder jener Reise Recherchen durchzuführen – über bestimmte Themen, die man mir von Fall zu Fall genauer beschreiben würde. Ich habe gern zugestimmt, denn auf diese Weise konnte ich meinen Etat auf erfreuliche Weise aufbessern.

Ja, ich hatte es mir ganz nach meinem Geschmack eingerichtet und so nebenbei auch einige Rekorde gebrochen. Und dann kam dieser Auftrag, von dem ich mir neuen Nervenkitzel und Stoff für Fernsehberichte versprach – und der mich dann mitten in den Brennpunkt der übelsten politischen Intrige hineingeraten ließ, die es jemals gab.

Ich werde versuchen, die Ereignisse, die dazu geführt haben, in chronologischer Reihenfolge wiederzugeben.

Mittwoch, 26. März

Der neue Fall, den man Robin übertragen hatte, war alles andere als aufregend. Routine – wie viele andere Fälle, die er in letzter Zeit zu bearbeiten hatte.

Gab es keine interessanten Aufträge mehr für ihn? Einige Male hatte Robin Gelegenheit gehabt, seine Fähigkeiten als Ermittler voll auszuspielen. Er hatte Erfolg gehabt, und der Erfolg wurde anerkannt. Das war auch der Grund dafür, dass er ein eigenes Arbeitszimmer bekommen hatte – mit einer ComSet-Einrichtung, die ihm allein zur Verfügung stand, und direktem Zugriff zum zentralen Computer und damit zum AI-System Platon. Eigentlich wartete er nur darauf, sich endlich wieder einmal an anspruchsvollen Aufgaben messen zu können. Diese alltäglichen Gesetzesübertretungen langweilten ihn grenzenlos.

Um was ging es diesmal? Ein Sportflieger hatte den Mast eines Infrarotstrahlers gestreift, am Flugkörper hatte es zwar nur ein paar Beulen gegeben, dem Piloten war nichts passiert, aber herabstürzende Teile hatten das Gartenhaus eines Musikers beschädigt, und diese einfachen Tatsachen warfen eine Lawine von Fragen auf: Warum hatte der Pilot die vorgeschriebene Flugroute verlassen? War er zu tief geflogen? Wenn ja, warum? War er gesund und nüchtern oder aber übermüdet gewesen, nahm er vielleicht Drogen? Hatte er die Automatik eingeschaltet oder war er, entgegen der Vorschrift, auf die Handsteuerung übergegangen? Entsprach der Mast der Bauanleitung, war die vorgeschriebene Höhe vielleicht überschritten worden? Waren alle betroffenen Objekte (einschließlich des Piloten) ordentlich versichert? Wie war der entstandene Sachschaden zu bewerten? Und so weiter, und so fort.