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Erst viele Jahre später erzählte Forral ihr, daß er sich nie weit von ihr entfernt hatte; wie ein Schatten war er ihr gefolgt, bis sie in sicherer Entfernung ihres Zuhauses war, und da er nicht ihre Nachtsicht hatte, war der Weg für ihn viel beschwerlicher gewesen als für sie.

Zu Aurians Erleichterung glühte ein sanftes Licht im Küchenfenster. Forral war also nicht gegangen. Trotzdem dauerte es lange, bis das Kind den Mut aufbrachte, die Tür zu öffnen. Forral saß am Tisch. Er hatte den Kopf auf seine Hände gestützt und sah genauso aufgelöst aus, wie sie sich fühlte. Sie bemerkte, daß seine Kleider an manchen Stellen abgestoßen und schmutzig waren, als sei er irgendwo gestürzt. Er hatte sie nicht eintreten hören – oder vielleicht ignorierte er sie auch. Aurian schlich sich näher an ihn heran. »Forral, es tut mir leid«, sagte sie mit leiser Stimme. Der Schwertkämpfer hob langsam den Kopf und streckte ihr seine Arme entgegen. Aurian, zu erleichtert, um zu sprechen, stürzte auf ihn zu und kletterte auf seinen Schoß. Als er sie fest an sich drückte, begann sie zu weinen – und zu ihrer Überraschung weinte er auch. »Bitte weine nicht«, flehte sie ihn verwirrt an“. »Dich hat doch niemand verhauen«, fügte sie mit einem Anflug von Entrüstung hinzu.

Forrals Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ach, Kind«, sagte er. »Weißt du denn nicht, wie sehr es mir weh getan hat, dich so zu bestrafen?«

Zum ersten Mal erzählte ihr Forral, was genau ihrem Vater zugestoßen war – wie Geraint durch seine eigene Feuermagie zerstört worden war. Als er mit seinem Bericht am Ende war, zitterte Aurian am ganzen Körper. »Das wußte ich nicht«, stieß sie hervor.

»Ich hätte es dir schon früher erzählen sollen«, sagte Forral, »aber ich hatte gehofft, es dir ersparen zu können, bis du etwas älter wärst. Verstehst du jetzt, warum ich so wütend war? Ich hatte solche Angst um dich, Kleines. Wenn du nun versehentlich dasselbe versucht hättest wie er? Ich würde alles tun, um dich davon abzuhalten, selbst wenn das bedeutet, daß ich dir weh tun muß. Ich liebe dich zu sehr, um dich zu verlieren, so wie ich deinen Vater verloren habe.«

»Aber ich kann nicht dagegen an«,– protestierte Aurian. »Wirklich und wahrhaftig, ich kann nicht! Es steckt in mir, und wenn ich nichts zu tun habe, dann – dann kommt es plötzlich über mich. Was soll ich nur machen, Forral?« Sie war jetzt wirklich verängstigt.

»Keine Sorge, Kleines, ich werde mir etwas ausdenken.« Forral hielt sie noch eine Weile schweigend im Arm, während er mit gefurchter Stirn nachdachte. Aurian spürte, wie sie immer müder wurde, aber es widerstrebte ihr, sich aus der tröstlichen Umarmung ihres Freundes zu lösen, um ins Bett zu gehen.

»Forral, erzählst du mir eine Geschichte?« bat sie schläfrig. »Erzähl mir die Geschichte über den größten Schwertkämpfer der Welt. Das ist meine Lieblingsgeschichte.«

»Das ist es!« Forral saß plötzlich kerzengerade da und hätte sie um ein Haar zu Boden geworfen. »Aurian, wie würde es dir gefallen, die berühmteste Schwertkämpferin der Welt zu werden?«

Aurians Gesicht leuchtete in ungläubiger Freude auf. »Könnte ich das?« fragte sie voller Ehrfurcht.

»Ich sehe keinen Grund, warum nicht. Ich werde dich unterrichten – aber ich warne dich, es wird sehr hart werden. Man wird nicht die beste Schwertkämpferin der Welt, indem man nur herumpfuscht. Als ich zu lernen begann, war ich am ganzen Körper grün und blau, jeder Knochen tat mir weh, und am Ende eines jeden Tages war ich so müde, daß ich es kaum noch schaffte, ins Bett zu kriechen. Wenn du möchtest, daß ich dich unterrichte, dann mußt du all das auch ertragen – und es wird zu spät sein, um dann noch deine Meinung zu ändern. Aber zumindest hast du dann nicht mehr eine einzige freie Minute, um dich in Schwierigkeiten zu bringen. Was sagst du dazu?«

Aurian dachte darüber nach. So, wie er es beschrieb, klang es ja nichts besonders lustig, aber auf der anderen Seite war sie jetzt auch grün und blau und furchtbar müde, und einen Tag wie diesen wollte sie nie wieder erleben. Wenn es ihr half, dieser Art Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, dann war sie wirklich dafür. Alle Helden aus Forrals Geschichten marschierten durch ihre Erinnerung und beflügelten ihre Phantasie. »Ja«, rief sie mit plötzlicher Entschlossenheit. »Ich will es!«

Das war der Anfang von Aurians Ausbildung. Schon am nächsten Tag machte Forral ihnen zwei hölzerne Übungsschwerter, und sie suchten sich einen abgelegenen Platz für ihre Unterrichtsstunden – in sicherer Entfernung vom Turm. Als Eilin zurückkehrte, mußte Aurian Forral schwören, daß sie kein Wort sagen würde. »Deine Mutter wäre bestimmt nicht damit einverstanden, und wir wollen ihr doch nicht erklären müssen, warum wir überhaupt damit angefangen haben«, sagte er warnend. Aurian stimmte ihm aus ganzem Herzen zu.

Zuerst war es schrecklich. Forral nahm keine Rücksicht auf ihren Mangel an Körpergröße und Kraft, und sie lernte schnell, daß sie in sehr kurzer Zeit sehr gut werden mußte, wenn sie ohne blaue Flecken davonkommen wollte. Am Anfang konnte sie nichts anderes tun, als sich zu ducken und seine Hiebe abzuwehren, ohne auch nur daran denken zu können, selbst anzugreifen. Jeden Abend ging sie mit schmerzenden Gliedern und dunklen Flecken am ganzen Körper zu Bett, und die erste wertvolle Lektion, die sie lernte, war Durchhaltevermögen. Forral zeigte ihr auch Übungen, um sich beweglich zu halten und die Muskeln aufzubauen. Außerdem brachte er ihr Atemübungen bei und unterwies sie in der Kunst der Meditation, damit sie lernte, ihren Geist für den Kampf zu beruhigen und zu schärfen. Aurian hatte keine Ahnung, welches Glück sie hatte. Forral war zwar zu bescheiden, es zuzugeben, aber er war einfach der Beste von allen. Unter seiner Anleitung erlernte sie schließlich auch die Präsenz der Krieger – den tranceartigen Zustand, in dem sich alle Sinne vereinen, um gemeinsam zu etwas Größerem zu werden als der Summe ihrer Teile – ein einziger Sinn, der zu einer Verlängerung des lebenden Schwertes wird – der das Schwert ist, so daß die Klinge, wenn der Geist den nächsten Schritt ersinnt, bereits dort ist.

Aurian fand am Unterricht immer mehr Gefallen. Sie lebte ganz für ihre Fechterei und ging sommers wie winters mit Forral hinaus, um zu trainieren. Sie litt und plagte sich, schwitzte und erduldete, und als sie zwölf Jahre alt war, hatte sie alle Fähigkeiten, die notwendig waren, um es mit einem durchschnittlichen Schwertkämpfer aufzunehmen, der doppelt so alt und doppelt so groß war wie sie – und zu gewinnen. Ihr Körper war schlank und geschmeidig wie ein Grashalm, und das kam ihr jetzt sehr zugute. Als ihre Brüste sich zu vergrößern begannen, war sie entsetzt. Immer wieder waren sie ihr im Weg. Schließlich beklagte sie sich bei Forral darüber, der zuerst nur unbehaglich grunzte, ihr dann aber eine eng anliegende Lederweste machte, wie sie von den Frauen unter den Kriegern bevorzugt wurde. Die Weste wurde vorne eng zusammengeschnürt und hielt die lächerlichen Dinger sehr wirksam unter Kontrolle.

Einige Wochen vor ihrem dreizehnten Geburtstag verließ Forral aus einem mysteriösen Grund, über den er nicht sprechen wollte, das Tal. Aurian grämte sich sehr, denn sie mochte ihn einfach nicht mehr missen. Während seiner Abwesenheit wuchs auch erneut die Versuchung, ihre Kunststückchen mit den Feuerbällchen wiederaufzunehmen, aber sie war fest entschlossen, das Versprechen, das sie dem Schwertkämpfer gegeben hatte, zu halten. Statt dessen bat sie ihre Mutter, sie weiter in der Erdmagie zu unterweisen.

»Ah, jetzt, wo Forral weg ist, hast du plötzlich Zeit für deine Mutter«, beklagte sich Eilin, aber sie lächelte. Forrals Gegenwart hatte alles verändert, und Mutter wie Tochter kamen in diesen Tagen viel besser miteinander aus als früher. Während jener wenigen Wochen stellte Aurian fest, daß sie Eilins Gesellschaft genoß. Die Magusch nutzte auch die Gelegenheit, ihre Tochter zu lehren, was bald mit ihrem heranreifenden Körper geschehen würde und wie die Maguschfrauen mit dieser Angelegenheit umgingen. Und Aurian arbeitete natürlich hart an Forrals Übungen, denn sie hoffte, ihn bei seiner Rückkehr mit ihren Fortschritten zu beeindrucken.