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«Das ist mir wurscht!«sagte Paskuleit.»Mir geht es allein um Erna und die Kinder. Ich evakuiere sie.«

«Das ist Verrat, Julius!«schrie Felix Baum.»Der deutsche Osten ist das sicherste Land! Wo soll denn Erna überhaupt hin?«

«Nach Krefeld. Dort hat sie eine Tante wohnen.«

«Hat man so etwas Idiotisches schon gehört?«rief Baum.»Nach Krefeld! Wo jeden Tag die Bomben fallen! Ins Ruhrgebiet, aus dem sie uns die Ausgebombten hierher schicken! Jochen, mach ihm einen Hirnwickel! Aber eiskalt! Die Gauleitungen im Westen bringen Frauen und Kinder bei uns in Sicherheit — weil der deutsche Osten ein starker Schild ist! — und dieser Hammel will Erna und Ewalds Kinder in den Westen bringen!«

«Es ist die Frage, was besser ist: Bomben oder Russen! Der Onkel in Krefeld ist irgendein hohes Tier in der Partei… er wird Erna gut unterbringen!«

«Nach Ostpreußen wird er sie schicken!«schrie Baum.

«Es hat keinen Sinn. «Paskuleit stand auf und winkte Jochen Ku-rowski zu.»Komm, Opa. Ich warte nicht, bis die russischen Panzer vor der Tür stehen! Ich fahre morgen nach Johannisburg ins Lazarett. Ich habe dort noch Stiefel abzuliefern und laß mir mal von den Neuen erzählen, wie's an der Front wirklich aussieht. «Er tippte Baum gegen die Brust und freute sich über die Unsicherheit in dessen Augen.»Dann kann ich dir mehr erzählen als dein Goebbels! Wehrmachtsbericht aus erster Hand. Schönen Sonntag, Felix.«

«Heil Hitler!«sagte Felix Baum trotzig.

Er blickte durchs Fenster Paskuleit und Kurowski nach. Das ferne Grollen hatte aufgehört, der Frieden des Sonntags lag über dem Land, eine helle Fröhlichkeit strahlte aus den Birkenwäldern und floß aus dem unendlichen Blau des weiten Himmels.

«Sie kommen nie, die Russen«, sagte Baum leise.»Sie dürfen nicht kommen. Unser schönes Land.«

Er sah, wie Ortsbauernführer Johannes Lusken die gelähmte Juliane Brakau zur Kirche rollte. Er trug seine Parteiuniform, aber die linke Rocktasche war ausgebeult, und hier verbarg er das Gesangbuch. Baum wußte das, und in diesem Augenblick beneidete er Lus-ken, daß dieser ein anderes Wort hören konnte als die von Adolf Hitler.

Er beschloß, am Abend heimlich zu Pfarrer Heydicke zu gehen, hintenherum, durch den Garten, und mit ihm zu sprechen.

Am 20. Oktober — es regnete wie aus Eimern, und Jochen Kurowski sagte:»Jetzt ersäuft Adamsverdruß. Die Russen müssen in der Badehose kommen!«- kam der Unteroffizier Hans Kampken zurück. Man hatte ihm bei Witebsk ein Auge ausgeschossen, das rechte, er trug eine schwarze Klappe über der leeren Höhlung und trug als Ersatz für sein Auge das Eiserne Kreuz I. Klasse an der Brust. Er kam von Groß Puppen mit einem Dogcart gefahren, das dem Apotheker gehörte, und machte in der Dorfschenke seine erste Station. Paskuleit und sein Geselle, der lungenkranke Franz Busko, saßen beim Skat, als Kampken triefend von Nässe eintrat und sich wie ein Hund schüttelte.

«Leute, ist das eine Scheiße!«rief er und winkte dem Wirt zu.»Einen Kümmel, Franz!«Er sah sich um, klopfte Paskuleit auf die Schulter und beachtete einen Mann nicht, der fremd hier war, in der Ecke saß und ein Bier trank. Er war mit einem Auto gekommen und hatte sich als Versicherungsvertreter vorgestellt.

«Wißt ihr schon, was los ist? Ich komme gerade aus Rastenburg, aus 'm Lazarett. Der größte Feldherr aller Zeiten soll kalte Füße kriegen. Das Führerhauptquartier soll nach Berlin verlegt werden. Wißt ihr, was das bedeutet? Ostpreußen ist bald im Eimer. Macht euch auf die Socken, Leute! Ich sage euch: Wenn der Iwan mit seinen T34 erst einmal losrollt, hält keiner mehr den Daumen dazwischen. Prost, Leute. Mein Auge liegt in Witebsk. Es meldet mir: Alles große Scheiße! In Kurland liegt eine ganze Panzerdivision ohne einen Liter Sprit, in den Weichselniederungen liegen die Jungs und müssen ihre Patronen und Handgranaten zählen. Und der Iwan holt heran, Tag und Nacht. Panzer, Kanonen, Stalinorgeln, Lastwagen, Divisionen, frische, unverbrauchte Truppen aus Sibirien… die reißen uns den Arsch bis zum Zäpfchen auf!«

An diesem Abend sprach Paskuleit noch einmal mit seiner Schwägerin.»Fahr nach Krefeld«, sagte er.»Es ist ja nur ein Abwarten, Erna. Ich bleibe ja hier. Aber wenn es brenzlig wird. denk daran, was Ewald zu mir gesagt hat: Sorge für Erna und die Kinder. Ihr fahrt am Samstag in den Westen.«

«Wir bleiben hier«, sagte Erna Kurowski.»Ewald ist hier geboren, ich bin hier geboren, die Kinder sind hier geboren, hier steht unser Haus, hier ist Ewalds Werkstatt, und hierher wird Ewald zurückkommen. Er lebt, das fühle ich, vermißt ist nicht tot, und wenn er plötzlich vor der Tür steht und niemand ist da, was soll ich ihm dann später sagen? Wir waren feig, wir sind einfach weggefahren, wir haben von ganz weit Kanonendonner gehört und sind geflüchtet?! Nein, Julius. wir bleiben hier!«

«Ihr werdet es bereuen«, sagte Paskuleit ernst.»Zwingen kann ich euch nicht. Aber wenn der Russe wirklich nach Ostpreußen kommt, wird's ein Wettrennen, und ob wir das dann gewinnen.?«

Am nächsten Tag holten zwei Mann des SD den Unteroffizier Hans Kampken aus dem Bett. Er hatte noch nicht einmal mehr Zeit, sich seine Klappe über die leere Augenhöhle zu schnallen. Sie führten ihn wie einen Mörder zu einem geschlossenen grauen Wagen und fuhren mit ihm ab. Auch der fremde Herr, der Versicherungsvertreter, verließ Adamsverdruß, nachdem er kurz mit Ortsgruppenleiter Felix Baum gesprochen hatte. Opa Jochen wanderte am Abend dann durch das Dorf und berichtete.

«Sie werden den Kampken zum Tode verurteilen«, brüllte er.»Und Baum hat eine Verwarnung bekommen! Hölle und Teufel, nur weil er die Wahrheit gesagt hat! In Kurland ist der Russe wirklich durchgebrochen! Leute, wir sollten anfangen, die Koffer zu packen! Kommt der Russe über die Weichsel, hält den keiner mehr auf! Das sage ich, Joachim Kurowski. und wenn sie mich jetzt neben Kampken aufhängen!«

Um Ostpreußen schloß sich die Zange der sowjetischen Divisionen. Tausende von Panzern warteten auf den Angriffsbefehl, Tausende Geschütze richteten sich auf die deutsche Grenze, ein Meer aus graubraunen Menschenleibern flutete heran. Neue Armeen aus den Tiefen Rußlands, junge frische Truppen… und ihnen gegenüber lagen die müden, ausgezehrten, zusammengeschrumpften deutschen Divisionen, deren einzige Stärke der Wille war, vor der Heimat einen Wall aus Leibern zu bauen. Und der Wind trug wieder das ferne Grollen heran, den Atem der Vernichtung.

Kapitel 2

Weihnachten wurde ein trauriges Fest.

Nicht nur ganz Adamsverdruß, sondern ganz Ostpreußen saß auf gepackten Koffern, und fluchtbereite Wagen standen in den Scheunen und Garagen. Der Winter war über das Land gefallen mit einem Frost, der die Bäume ächzen ließ. Wenn der Wind um die Häuser pfiff und die Fensterscheiben zitterten, umfaßte Opa Joachim seine dicke Pfeife und sagte tröstend:»Das ist mal gut, Kinder. Bei so einem Wetter greift der Russe auch nicht an. Auch die Kerle aus Sibirien frieren.«

Er irrte sich. Julius Paskuleit, der in Groß Puppen beim Wirtschaftsamt Gummi und Leder für seine Schuhmacherwerkstatt abgeholt hatte, berichtete von Soldaten, die vom Narew und von der Weichsel kamen. Dort hatten sich, genau wie in Kurland, gewaltige Truppenmassen der Sowjets zusammengezogen und warteten auf den Angriffsbefehl.

«Man weiß sogar die Namen!«sagte Paskuleit.»Die Marschälle Rokossowskij und Tschernjakowski haben den Oberbefehl übernommen. Sie sollen die besten russischen Heerführer sein.«

«Alles Quatsch!«widersprach Opa Jochen.»Ich habe auch 'n >i< am Schluß, bin ich deshalb ein großer General?«

Paskuleit hatte keine Lust, sich mit Kurowski zu streiten, und rannte durch den Schneesturm zu Felix Baum, dem Ortsgruppenleiter. Er war der einzige, der nicht gepackt hatte. Zu Weihnachten machte er eine Gratulationsrunde durch das Dorf, erhielt seinen Schnaps und sagte in jeder Familie vor dem Weihnachtsbaum das gleiche:»Keine Angst, Volksgenossen! Der Führer wird's machen! Das war doch schon immer so: hundert Russen gegen einen Deutschen! Die Front steht wie Kruppstahl! Ihr sollt sehen: Neunzehnhundertfünfundvierzig jagen wir die Roten bis zum Ural. Heil Hitler!«