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Es ist vorbei, Vater. es geht nicht mehr, Mutter. Verzeiht mir, wenn ihr könnt.

Allein komme ich nicht mehr weiter, und zu helfen ist mir nicht mehr.

Er setzte sich unter einen Baum, entblößte Arm und Oberschenkel und spritzte sich den ganzen Vorrat ein, den er bei sich trug. Vier Ampullen.

Dann warf er seinen Hosengürtel um einen Ast, steckte den Kopf in die Schlinge, hüpfte hoch und zog beim Fallen die Beine an.

So starb er zweimal. einmal durch Genickbruch und einmal durch vier Ampullen Morphin. Das war ein Luxus, denn als das Gift wirken sollte, war das Blut in ihm bereits erkaltet.

Er hing drei Tage in seinem Gürtel, ehe man ihn fand. Und dann dauerte es noch zwei Tage, bis man ihn identifizierte. Er hatte alle Papiere verbrannt. Franz Busko, der Bürge, übernahm es, Ewald und Erna Kurowski die Nachricht zu überbringen. Zum erstenmal hatte sich ein Kurowski unterkriegen lassen.

Kapitel 20

Es war unendlich schwer, es war genau an der Grenze dessen, was man erdulden kann. aber die Kurowskis überstanden auch diesen Schicksalsschlag. Unbegreiflicherweise hatte sogar Erna die Kraft, aus dem Krankenhausbett heraus an der Beerdigung Peters teilzunehmen, obgleich der Arzt von hellem Wahnsinn sprach und Ku-rowski förmlich anflehte, auf seine Frau einzuwirken oder ihr rigoros das Aufstehen zu verbieten.»Das verstehen Sie nicht, Doktor«, sagte Kurowski und trug Ernas Koffer mit der Unterwäsche, den Schuhen und einem schwarzen Kostüm über den Flur zu ihrem Zimmer.»Man kann uns zu Boden schlagen, man kann uns die Rippen eintreten, ja, man kann uns totprügeln… besiegen lassen wir uns nie! Wenn meine Frau ihren Sohn begraben will, dann will sie das. Das könnte nur der liebe Gott verhindern, aber der tut's nicht!«

Das Begräbnis fand in aller Stille statt. Nur die Familie stand um das Grab, und dazu gehörten auch Heinrich Ellerkrug und Franz Busko. Und noch jemand war da, ungebeten, aber Kurowski jagte ihn nicht fort. ein junger Mann mit zotteligen Haaren, dicker Nik-kelbrille, einer Jacke im Indianerlook und ausgelatschten Schuhen. Er stand etwas abseits und setzte seine Trompete an die Lippen, als der Sarg in die Grube gelassen wurde.

Er blies einen traurigen Blues, den keiner am Grabe kannte, aber irgendwie gehörte er jetzt dazu, war ein letzter Gruß aus einer Welt, in die sich Peter heimlich geflüchtet hatte, in der er umgekommen war. und keiner hatte es gemerkt bis zu dem Augenblick, wo es zu spät war.

«Wer sind Sie?«, fragte Kurowski später, als die Erde auf den Sarg geworfen war. Busko und die Kinder hatten Erna zum Wagen zurückgeführt, Ellerkrug wartete noch am Grab. Der junge, zottelige, sichtlich ungewaschene Mann grinste und klemmte seine Trompete unter die linke Achsel.

«'ne Abordnung vom Club.«, sagte er.

«Er war oft bei euch?«

«Ja. Immer, wenn er die Schnauze voll hatte.«

«Und er hatte oft die Schnauze voll, was?«

«Nee, normal. Wöchentlich einmal.«

«Hat er über mich gesprochen?«

«Immer — «

«Und was hat Peter über mich gesagt?«

«Mein Alter ist ein prima Kerl, hat er gesagt. Das macht mich ja so fertig, daß ich niemals so werden kann wie er. Er erdrückt mich.«

Kurowski senkte den Kopf. Peter, dachte er. Mein Gott, Peter, warum hast du nie was gesagt? Wir hätten doch über alles sprechen können. Diese Probleme sind doch so einfach. Aber nee, immer mit'n Kopf durch die Wände, nach bester Kurowski-Art… bis zuletzt.

«Ich danke Ihnen — «, sagte er leise.»Brauchen Sie Geld?«

«Nee! Wofür?«

«Zum Beispiel für ein Paar neue Schuhe.«

«Die? Auf denen laufe ich noch hundert Jahre. «Der junge Mann tippte an die Stirn, was ein freundlicher Gruß war, und ging zur anderen Seite weg. Kurowski starrte ihm nach. Das war die Welt meines Sohnes, dachte er schmerzhaft. Ich habe ein Millionenvermögen erarbeitet, und er lebte wie ein Bettler. Warum bloß, warum? Weil mein Schatten für ihn zu schwer war? Gibt es so etwas?

Er ging noch einmal zum Grab zurück und blickte auf den Sarg hinunter, der halb mit Erde bedeckt war. Ellerkrug trat neben Ku-rowski und legte ihm den Arm um die Schulter.

«Du bist nicht der einzige, der erste oder der letzte, der ein Kind verliert — «, sagte er mit belegter Stimme.»In jeder Stunde sterben Tausende von Kindern. Und viele sinnloser als Peter. In ein paar Monaten ist Ludwig fertiger Arzt. und Inge macht im Frühjahr ihr Abitur und studiert Pädagogik. Und Erna ist da, Emil. nimm dir ein Beispiel an ihr. Diese Haltung — «

«Sie ist versteinert, Heinrich. Ich habe Angst um sie. «Kurowski wandte sich ab. Er hakte sich bei Ellerkrug unter, ein alter Mann, der Halt sucht und bei jedem Schritt erst den Boden vor sich abtastet. Und dabei war er erst 54 Jahre.

«Dann nimm sie und verreise mit ihr. in den Süden, Ewald, leg sie ans blaue Mittelmeer, laß sie unter Palmen träumen, fang endlich an, dein Leben zu genießen, friß deine Millionen auf — was du gar nicht mehr kannst — hol Erna heraus aus dem Panzer, der Ku-rowski heißt. verdammt, Ewald, was ein Mann im Leben schaffen kann, hast du getan, nun ruh dich etwas aus.«

«Noch ein Jahr, Heinrich. «Kurowski blieb stehen. Erna war schon in den großen Wagen gestiegen. Ludwig saß hinter dem Steuer, Inge, groß, schlank, goldblond, das vergrößerte Abbild ihrer Mutter, stand neben der offenen Fondtür und wartete auf den Vater.»Wenn Ludwig seinen Doktor hat und Inge auf der Universität ist, lasse ich es langsamer gehen. «Er hielt Ellerkrug am Ärmel fest.»Du, ich muß dir etwas sagen.«

«Heraus damit.«

«Ich habe wie ein Irrer geschuftet wegen Peter. «Kurowski schluckte, er war dem Weinen nahe.»Ich habe gewußt, daß er als einziger auf der Strecke bleibt, und für ihn wollte ich soviel zur Seite legen, daß er davon hätte leben können. ein unsichtbares Gnadenbrot.«

«Vielleicht hat er es doch gemerkt?«

«Möglich. Ich fühle mich schuldig, Heinrich.«

«Blödsinn! Laß bloß so etwas nicht in dir aufkommen! Schuldig! Man kann einen Menschen nur bis zu einer gewissen Grenze beherrschen, auch als Vater. Jeder Mensch ist eine eigene Persönlichkeit, und die wird eines Tages deutlich.«

«In einer Morphiumspritze — «, sagte Kurowski dumpf.

«Auch darin. Der Mensch wird immer das größte Rätsel bleiben, das Gott bei der Schöpfung hinterlassen hat — «

Sie kamen zum Wagen, und Inge umarmte weinend ihren Vater.

«Es ist gut, Ingelein«, sagte Kurowski und klopfte ihr den Rücken.»Es ist ja gut. Ist ja vorbei. Wein nicht. Wir müssen jetzt um so fester zusammenhalten, schon wegen Mutter.«

Er stieg ein, legte den Arm um Erna, drückte sie an sich und strei-chelte ihr kaltes Gesicht. In schneller Fahrt verließen sie den Friedhof.

Es blieb etwas in Kurowski zurück, auch wenn es keiner sah und er selbst es nicht wahrhaben wollte. Er konnte es nicht erklären, er hatte keinen Namen dafür, aber es lag in ihm wie ein eiserner Klotz, umklammerte sein Herz und raubte ihm den Schlaf.

Erna merkte es nicht, wie er oft erst gegen Morgen einschlief und die ganze Nacht herumlag, nicht grübelnd, sondern einfach so schrecklich nüchtern wach, ein Wachsein, das nichts ausfüllte. Er ging in sein Büro, er hielt seine Sitzungen ab, er entwarf Franz Busko die Parteireden, er vergrößerte die >Westschuh< zum größten Schuhkonzern Europas… und dabei wurde er immer stiller, immer menschenscheuer, kroch in sich hinein wie eine Schildkröte unter ihren Panzer.