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Kurowski zog um. Er kaufte sich eine Villa mit einem großen Park, einen richtigen Herrensitz, und er tat es nur, um darin herumzugehen und sich zu sagen: Aus dem kleinen Schuhmachermeister Ku-rowski aus Adamsverdruß ist der Besitzer eines Schlosses geworden, wie es früher bei uns nur die Adeligen und Großgrundbesitzer hatten. Aber wozu das alles, wozu? Was mir schmeckt, darf ich nicht mehr essen, wegen des Blutzuckers. den schönsten Wein muß ich stehenlassen, wegen der Leber… ich kann auf keinen Berg mehr klettern, wegen des Herzens, und ich kann nicht mehr im Schnee wandern, wegen des Rheumas… aber ich habe ein Schloß, ein Millionenbankkonto, ich habe viertausend Angestellte und Arbeiter, ich trage das Bundesverdienstkreuz I. Klasse (Franz Busko übrigens auch), ich bin im Ausschuß der deutschen Wirtschaft und sitze in zwölf Aufsichtsräten, ich werde mit jedem Tag reicher, ohne noch etwas dafür zu tun. und kann doch nichts anderes machen, als durch meinen Park laufen, die Zeitung lesen, vor dem Fenster sitzen, mit Erna Karten spielen, ab und zu die Praxis meines Sohnes Dr. Ludwig Kurowski besuchen oder zuhören, wie die Studienassessorin Inge

Kurowski neue Lehrmethoden verteidigt, die ich für Unsinn halte.

Das Leben ist uninteressant geworden, es hat keine Spannungen mehr, es lebt sich so dahin.

An einem Maitag flogen Erna und Ewald Kurowski nach Meran zur Kur.

Sieben Tage später, bei einem Spaziergang über eine Almwiese, verzückt vom Anblick der im blauen Licht schimmernden Berge, fiel Kurowski plötzlich um. Er lag im Gras wie eine Puppe, der man die Glieder ausgerenkt hatte.

Zuerst auf dem Rücken eines Bergbauern, dann mit einem klapprigen Auto, schließlich, vom Bürgermeisteramt aus, mit einem Krankenwagen wurde Kurowski in das Krankenhaus von Meran gebracht. Erna blieb bei ihm, bis er unter dem Sauerstoffzelt lag, bis die Schläuche der Infusionen angeschlossen waren, bis man seinen Kreislauf mit massiven Spritzen unter Kontrolle hatte.

«Ein Apoplex, gnädige Frau«, sagte der Chefarzt, nachdem der erste Kampf um Kurowskis Leben gewonnen war.»Wir wollen alle hof fen, daß er es schafft. aber ich muß Ihnen sagen, daß Ihr Gatte für immer rechtsseitig gelähmt bleibt. Ob er wieder sprechen wird… das ist mit Sicherheit weder zu bejahen noch zu verneinen. Das kann eine reine Willenssache sein.«

«Er wird wollen«, sagte Erna mit einer Tapferkeit, die selbst den viel gewöhnten Chefarzt irritierte.»Ein Kurowski hat einen Willen, der Bäume bricht.«

Nach vier Wochen nahm man das Sauerstoffzelt weg. Kurowski blieb gelähmt, seine Zunge lag wie ein Stück Leder im Gaumen. Aber er konnte schreiben, mit der linken Hand, und er schrieb als erstes auf eine Schulschiefertafel, kritzelig, schräg, rauf und runter, aber doch noch lesbar:

«Erna, ich liebe dich.«

«In zwei Wochen bringen wir dich nach Hause«, sagte sie und küßte ihn auf die Stirn.»Sie haben einen Empfang vorbereitet, der fast schon ein Volksfest wird.«

Und dann war Kurowski wieder in Leverkusen. Franz Busko fuhr ihn in einem Rollstuhl durch den Park und über die Terrasse, die Betriebskapelle spielte zur Begrüßung Märsche, der Werkschor sang Heide- und Heimatlieder, eine Abordnung der Belegschaft überbrachte einen riesigen Blumenkorb, da ein sogenannter Frühstückskorb nicht mehr erlaubt war, und der Betriebsrat marschierte im Gänsemarsch an dem Rollstuhl vorbei und drückte Kurowski die linke, noch brauchbare Hand.

Er nickte nach allen Seiten, man sah, wie er sich freute, und am Abend schrieb er in den Notizblock, der jetzt immer auf seinem Schoß lag:

«Leute, ich war ein Rindvieh. Ich begreife erst jetzt, daß meine Familie größer ist als eine Frau und drei Kinder. Ich bin froh, daß ich lebe. Und wenn ich auch gelähmt bin und ein schiefes Gesicht habe: Ich bin wieder da! Und ich verspreche euch: Ich lasse mich nicht unterkriegen! Verdammt nochmal!«

Ja, — der Ewald Kurowski, Schuhmachermeister aus Adamsverdruß in Ostpreußen, Schuhmillionär und Ehrenpräsident so vieler Vereine, lebt noch immer. Er hat sich nicht unterkriegen lassen. Zwar ist er noch immer gelähmt, aber er kann schon ein paar Sätze sprechen. Mühsam, aber deutlich. Und das erste, das er sprach, so deutlich, daß der MdB in die Hände klatschte und vor Freude zu heulen begann, war:»Franz, du alter Idiot!«Jeden Tag rollt Erna ihn durch den Park seines Besitzes, wiegt seine Nahrung auf der Briefwaage ab und behandelt jeden Bissen, den er zu sich nimmt, wie einen Edelstein. Zweimal im Jahr fährt er in ein Bad, einmal zum Lago Maggiore, einmal nach Ischia… aber die meiste Zeit sitzt er in seinem Rollstuhl, wird herumgefahren, dämmert oft vor sich hin und erinnert sich, und trotz seiner Millionen ist sein Leben wieder so klein und eng wie damals in Adamsverdruß… er ist zufrieden, mit dem, was er hat und was man ihm gibt: Einen Rollstuhl, fünfmal am Tag ein Häppchen Essen, die frische Luft seines Gartens, der Besuch seiner Kinder und Erna. Erna, ohne die sein Leben sinnlos wäre. Der Mittelpunkt seiner Welt. Ein Geschenk, für das man Gott nie danken kann, weil es alle Dankbarkeit übersteigt. Ab und zu kommt auch noch Franz Busko zu Besuch, in einem Staatsmercedes mit Chauffeur, denn er ist jetzt Staatssekretär, ein eleganter Mann mit ergrauten Schläfen, ein Mann von Welt. nur wenn er mit Kurowski allein ist und ihn durch den Garten und über die Wiese rollt, sagt er noch immer:

«Det müssen Se mir jenau erklären, Meester. «Dann rauschen die Birken über ihnen — wie in Adamsverdruß —, und es ist, als ziehe der herbsüße Duft der Kiefern und des Salbeis über die Erde Ostpreußens, und von den Masurischen Seen her käme kreischend und schreiend der den Himmel verdunkelnde Schwarm der Wildgänse.