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Er verließ die Küche, durchquerte mit schnellen Schritten (und starr vom Telefon abgewandtem Blick) das Wohnzimmer und verteilte den Großteil seiner Kleider schon auf dem Weg ins Bad auf dem Fußboden. Das war einer der wenigen wirklichen Vorteile, die es mit sich brachte, als Single zu leben, dachte er spöttisch. Man konnte nach Herzenslust Unordnung und Chaos verbreiten, ohne daß es jemanden störte.

Bremer drehte die Dusche auf, hielt die linke Hand in den Wasserstrahl, um die Temperatur zu prüfen und überlegte es sich dann anders. Er zitterte noch immer leicht am ganzen Leib, und auch wenn er sich jetzt wieder besser in der Gewalt zu haben glaubte, spürte er doch gleichzeitig die brodelnde Unruhe tief in sich. Jenseits der Mauer war etwas erwacht. Etwas, das herauswollte. Kratzte. Mit langen, eisenharten Krallen den Mörtel zwischen den Steinen herauszuscharren begonnen hatte und...

Schluß. Er hatte sich lange genug von den Gespenstern aus seiner Vergangenheit quälen lassen. Und schließlich hatte er gewußt, daß er extrem reagieren würde, wenn er Rosen wiedersah. Er hatte gar kein Recht, so darauf zu reagieren. Vielleicht war er einfach nur überrascht, daß die Reaktion so schnell kam. Und so anders war. Statt unter die Dusche zu treten, drehte er den Heißwasserhahn der Badewanne auf, schleuderte Socken und Boxershorts davon und stieg in die Wanne. Bremer sog vor Schmerz die Luft ein, so heiß war das Wasser, aber er drehte den Kaltwasserhahn trotzdem nicht auf, sondern ließ sich mit zusammengebissenen Zähnen vollends in die Wanne sinken und schloß die Augen.

Es wirkte. Das Wasser stieg allmählich höher, so heiß, daß es wirklich weh tat, aber indem er sich auf den Schmerz konzentrierte und ihn mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten unter Kontrolle zu halten versuchte, hörte auch das Kratzen und Scharren in seinem Inneren auf. Vielleicht auch nicht. Vielleicht hörte er es auch nur nicht mehr so deutlich. Aber das spielte keine Rolle. Das Ergebnis zählte: Das heiße Wasser wirkte entspannend. Seine Hände hörten auf zu zittern, und sein Atem ging zwar immer noch schnell, jetzt aber wohl mehr als Reaktion auf die Roßkur, die er seinem Kreislauf zumutete. Sein Puls raste, und er begann da, wo er noch nicht im Wasser lag, zu frieren.

Nach einer Weile gestand er sich widerwillig ein, daß er auf die fünfzig zuging und seinem Körper vielleicht nicht mehr die gleichen Dinge antun sollte wie vor dreißig Jahren: Er hob den Fuß aus dem Wasser, drehte mit den Zehen die Kaltwasserzufuhr auf und genoß das Gefühl, als seine Haut, von den Füßen aufwärts beginnend, nicht mehr vor Hitze spannte und weh tat. Als das Wasser endlich eine wieder halbwegs erträgliche Temperatur erreicht hatte, griff er nach Seife und Waschlappen und begann sich gründlich abzuschrubben, obwohl er erst am Morgen geduscht hatte. Das tat er oft; manchmal zwei-, wenn nicht dreimal am Tag. Während seiner Rekonvaleszenz waren Hygiene und schon fast übertriebene Körperpflege lebensnotwendig gewesen, und er hatte diese Angewohnheit beibehalten. Bremer liebte es, manchmal eine Stunde unter dem dampfenden Strahl der Dusche zu verbringen, oder auch zwei oder drei in einer heißen Badewanne, wo er sich entspannen und ebenso gründlich abschalten und neue Kraft schöpfen konnte wie andere vielleicht bei einem ausgiebigen Spaziergang im Wald oder einem faulen Abend vor dem Fernseher.

Heute hatte er einen anderen Grund. Er fühlte sich schmutzig. Besudelt. Er war schmutzig. Aber es war ein Schmutz, der sich mit Wasser und Seife nicht so einfach abwaschen ließ. Er fühlte sich leer und unrein. Er hatte Rosen nicht einmal berührt, aber seine bloße Nähe schien schon ausgereicht zu haben, einen Teil seiner Seele zu besudeln; als hätte er in übelriechenden Teer gegriffen, der nun an seinen Fingern klebte, und den er einfach nicht abwischen konnte, ganz egal, wie angestrengt er es auch versuchte.

Bremer versuchte den Gedanken ebenso abzuschütteln wie alles andere zuvor, aber es gelang ihm nicht. Ganz im Gegenteil - er fühlte sich plötzlich in die Rolle des Zauberlehrlings versetzt, der die Geister, die er gerufen hat, nicht mehr los wird, sondern hilflos mit ansehen muß, wie sie zu immer beunruhigenderem Eigenleben erwachten. Das Wasser schien plötzlich wieder wärmer geworden zu sein und nun tatsächlich die Konsistenz von Teer zu haben. Ja, er glaubte es sogar zu riechen: jenen typischen, nicht einmal wirklich unangenehmen Geruch, der an einem besonders heißen Tag von der Straße aufsteigt, oder manchmal flüchtig durch ein Fenster hereinweht, wenn man an einer Autobahnbaustelle vorbeifährt.

Was möglicherweise daran lag, daß in der Badewanne kein Wasser mehr war.

Im ersten Moment fühlte er den Unterschied nur, nicht psychisch, sondern ganz banal körperlich. Das Wasser wurde wärmer, fühlte sich auf seltsame Weise ... schwerer an und veränderte seine Konsistenz.

Dann wurde es schwarz.

Bremer starrte ungläubig auf die zähflüssige, schwarzbraune Brühe, in der er von einem Sekundenbruchteil auf den anderen saß.

Nein. Nicht saß. Zu sitzen glaubte. Was er sah, war nicht real. Es konnte nicht real sein. Dinge verändern sich nicht von einer Sekunde auf die andere. Nicht so. Es war eine Halluzination. Die zweite an diesem Tag, und diesmal eine von einem ganz anderen, reichlich unangenehmen Kaliber. Es mußte so sein. Bremers Gedanken rasten, kreisten immer schneller und schneller und versuchten, mit dem hämmernden Rhythmus seines eigenen Pulsschlages Schritt zu halten. Er konnte kaum noch atmen. Auch die Luft im Bad hatte sich verändert. Sie roch jetzt schwer und süß, das brackige Aroma eines Modersumpfes, in dem Dinge starben und verwesten.

Bremer versuchte noch immer mit verzweifelter Kraft, die Bilder, Gerüche und Gefühle zu verleugnen, die auf ihn einstürmten. Es gelang ihm nicht. Die Logik, sein einziger Verbündeter in diesem aussichtslosen Kampf, kapitulierte kurzerhand. Es spielte keine Rolle, ob die groteske Veränderung seines Universums nun eingebildet war oder real, wenn die Einbildung so realistisch war, daß die Wirkung auf ihn gleich blieb. Seine letzte Verteidigungslinie fiel, und Bremer bäumte sich schreiend auf und versuchte, sich aus dem übelriechenden braunen Morast herauszuziehen, in dem er gefangen war.

Nicht einmal das gelang ihm. Der schwarze Morast hielt ihn fest, umschlang seine Glieder wie zäher, schon halb erstarrter Teer und verbrühte gleichzeitig seine Haut. Bremer strampelte verzweifelt mit den Beinen, suchte nach Widerstand, irgendeinem Halt, an dem er sich abstoßen konnte, aber da war nichts, und schlimmer noch: Er spürte, wie sich unter ihm, tief, unendlich tief unter ihm, etwas bewegte. Hysterie überschwemmte seine Gedanken. Bremer riß, mit der absoluten Kraft, die nur schiere Todesangst hervorbringen konnte, den rechten Arm aus dem Morast und versuchte sich am Rand der Badewanne festzuklammern. Seine Finger, glitschig vom Morast, glitten von dem glatten Emaille ab. Zwei, vielleicht drei seiner Fingernägel brachen ab, was entsetzlich weh tat, aber der Schmerz verschmolz in diesem Moment einfach mit der roten Lohe, die seine Gedanken überschwemmte. Seine Hand klatschte in den Morast zurück. Trotz der pochenden Schmerzen versuchte er sofort, sie wieder zu heben, aber diesmal gelang es ihm gar nicht mehr: Ein Gespinst schwarzer, gummiartiger Fäden umschlang seine Hand und die Finger, dünn wie Nervenfäden, aber so unzerreißbar wie Stahl. Seine Kraft reichte nicht, sie zu bewegen.

Der schwarze Morast über seinen Füßen begann zu brodeln. Kleine, kreisförmige Wellen bildeten sich, liefen nach außen und wurden ersetzt, bevor sie ganz verebben konnten, dann stiegen zähe Blasen an die Oberfläche des Morasts, zerplatzten, erschienen erneut und ... und etwas tauchte an die Oberfläche empor.