Выбрать главу

Seine Kraft reichte nicht, sich sofort wieder zu erheben. Würgend stemmte er sich auf die Knie hoch - diesmal war er klug genug, seinen linken Arm nicht zu belasten - spuckte Wasser und Schleim aus und rang verzweifelt nach Luft.

Der Schmerz in seiner Schulter verebbte nur ganz allmählich und er konnte spüren, daß die Wunde nun sehr viel heftiger blutete. Stöhnend schloß er die Augen, wartete darauf daß die Dunkelheit hinter seinen Lidern aufhörte, sich wie wild im Kreis zu drehen, und versuchte sich gleichzeitig weiter aufzurichten. Sein Verfolger war noch immer hinter ihm. Wenn er ihn hier erwischte, mitten auf der Straße und in seinem momentanen Zustand, dann war es vorbei Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich zu wehren. Rosen öffnete die Augen, und sein Herz setzte für eine Sekunde aus.

Sein Gesicht spiegelte sich verzerrt und in tausend Streifen zerbrochen in der Pfütze, in der er vor Augenblicken noch fast ertrunken wäre. Darüber hätte der Himmel sichtbar sein müssen.

Aber das war er nicht. Der Verfolger hatte ihn eingeholt. Er stand unmittelbar hinter ihm. Seine Gestalt ragte als riesiger, grotesk verzerrter Schatten über ihm empor, viel zu groß für den eines Menschen und auf unheimliche Weise verdreht und mißgestaltet, wie etwas, das vielleicht ein Mensch hatte werden wollen, es aber nicht geschafft hatte, sondern in einer früheren, unfertigen Entwicklungsphase steckengeblieben war. Rosen fuhr mit einem Schrei herum, sprang auf die Füße und stolperte zurück, riß die unverletzte Hand vor das Gesicht und erstarrte zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden.

Er war allein. Hinter ihm war niemand.

Die Dunkelheit war ihm weiter gefolgt. Auch die beiden Lampen, an denen er gerade vorbeigelaufen war, waren jetzt erloschen, und er war nun sicherer denn je, daß sich etwas in dieser Finsternis bewegte, etwas Riesiges, Groteskes, das da in der Schwärze stand und ihn anstarrte. Es hätte ihn erledigen können. Er hatte mit Sicherheit zehn oder mehr Sekunden hilflos dagelegen, mehr als genug Zeit für dieses unfaßbare Wesen, ihn einzuholen und zu Ende zu bringen, was es begonnen hatte, aber es stand einfach nur da und starrte ihn an, wie ein schwarzer Dämon, der sich von seiner Furcht nährte.

Rosen begriff plötzlich die neue, vielleicht noch viel größere Gefahr, die er diesmal selbst heraufbeschwor: Indem er den schwarzen Umriß in der Dunkelheit Es nannte, verlieh er ihm eine Macht, die ihm nicht zustand. Es war kein Es, sondern ein Er. Irgendein Mistkerl, der gekommen war, um eine alte Rechnung zu begleichen - oder weil ihn jemand dafür bezahlte. Vielleicht nicht einmal das. Vielleicht war es einfach nur ein Verrückter, und er hatte das Pech gehabt, ihm im falschen Moment über den Weg zu laufen.

Der Schatten bewegte sich. Er machte nicht wirklich einen Schritt, sondern schien auf ihn ... zuzugleiten, wie ein körperloser Schemen, der ein winziges Stück über dem Boden schwebte, statt ihn zu berühren, und im gleichen Moment begann auch die Laterne unmittelbar neben Rosen zu erlöschen. Sie ging nicht einfach aus. Ihr Licht wurde blasser. Rosen konnte sehen, wie sich der warme gelbe Schein lautlos zurückzog, als fliehe er vor der Dunkelheit, die im Gefolge der unheimlichen Gestalt kam.

Eingebildet oder nicht, der Anblick war so entsetzlich, daß Rosen mit einem Schrei herumfuhr und davonstürzte. Seine Schulter reagierte mit einer neuen, wütenden Schmerzattacke auf die plötzliche Bewegung, aber er achtete gar nicht darauf. Hinter ihm kam die Dunkelheit näher, schnell und lautlos, und die Pfützen, an denen er vorbeirannte, waren voller verzerrter schwarzer Schatten.

Trotz der Gefahr, ein zweites Mal zu stürzen, sah er sich noch einmal nach dem unheimlichen Verfolger um. Die Schwärze raste heran, nicht ganz, aber doch fast so schnell wie er, und inmitten dieser Düsternis bewegte sich etwas Riesiges, Formloses, etwas, das eher zu flattern als zu laufen schien, und dessen bloße Anwesenheit Licht und Geräusche in eine Dimension der Dunkelheit verbannte, so als verlören die Gesetze der Welt ihre Gültigkeit dort, wo der Unheimliche entlangglitt.

Rosen begriff, daß er in Gefahr war, erneut zu stolpern, und wandte sich hastig wieder nach vorne. Das Ende der Straße war immer noch unendlich weit entfernt, und auch dahinter lag nichts als weitere Dunkelheit. Das hell erleuchtete, pulsierende Herz der Stadt schien unendlich weit entfernt; Lichtjahre, wie es ihm vorkam. Er hatte keine Chance, es zu erreichen. Und selbst wenn - was, wenn das unheimliche Ding ihm auch dorthin folgte, einfach alles Licht und jedes Leben auslöschte, bis er in einem Universum aus Schwärze und Leblosigkeit gefangen war?

Rosen rief sich in Gedanken ein zweites Mal zur Ordnung, und obwohl er selbst kaum damit gerechnet hatte, gelang es ihm tatsächlich, die Panik noch einmal niederzukämpfen. Seine Lage war auch so schon schlimm genug, ohne daß er seinem Verfolger übernatürliche Kräfte zusprach. Der Schmerz in seiner Schulter war zu einem hämmernden Pochen im Rhythmus seiner Schritte geworden, und der Blutverlust begann nun spürbar an seinen Kräften zu zehren. Selbst wenn er vor Entkräftung nicht einfach zusammenbrach, würde er das Tempo nicht mehr lange durchhalten. Er brauchte ein Versteck. Wenn der Kerl ihn einholte, war er tot. Er war nicht in der Verfassung, sich gegen einen auch nur halbwegs ernst gemeinten Angriff zu verteidigen.

Sein Blick irrte über die Häuser vor ihm. Auf der linken Seite erhoben sich nur gleichförmige, rotbraune Ziegelsteinmauern. Die wenigen Fenster, die er sah, waren vernagelt oder auf andere Weise verschlossen. Der Anblick auf der rechten Seite unterschied sich kaum von dem auf der linken, aber in dreißig oder auch vierzig Meter Entfernung entdeckte er ein rostiges Tor aus Wellblech, das einen Spalt offenstand. Er wußte nicht, was dahinter lag, aber alles war besser als diese unendliche, deckungslose Straße, auf der ihn die Dunkelheit verfolgte.

Rosen mobilisierte noch einmal alle Kraft seines geschundenen Körpers, steuerte eines der Gebäude auf der linken Straßenseite an und änderte seinen Kurs dann abrupt um fast neunzig Grad nach rechts. In einem letzten, verzweifelten Spurt raste er auf das Tor zu. Er wagte es nicht, hinter sich zu blicken - wie er sich selbst einredete aus Angst, möglicherweise gerade dadurch den einen entscheidenden Sekundenbruchteil zu verlieren, der zwischen Tod und Rettung lag, in Wahrheit aber wohl eher weil er den Anblick der flatternden Dunkelheit nicht mehr ertrug, denn sie weckte eine uralte Furcht in ihm, die alle Barrieren aus Logik und Willenskraft einfach mit sich fortriß.

Er hatte sich getäuscht. Das Tor stand zwar eine Handbreit offen, war aber mit einer massiven Kette und einem Vorhängeschloß von der Größe einer Untertasse gesichert. Er rannte trotzdem weiter, so schnell er konnte, spielte eine halbe Sekunde lang mit dem Gedanken, über das Tor hinwegzuklettern und entschied sich dann dagegen. Mit seiner verletzten Schulter hatte er keine Chance, dieses Kunststück zu schaffen, ganz abgesehen davon, daß ihm vermutlich nicht einmal genug Zeit dafür blieb. Die Dunkelheit war hinter ihm. Nah. So entsetzlich nah.

Rosen setzte alles auf eine Karte, drehte sich im letzten Moment zur Seite und rammte die unverletzte Schulter mit der ganzen Kraft seines Anlaufs gegen das Tor.

Die linke Hälfte seines Körpers explodierte einfach. Der Schmerz war nicht einmal so furchtbar, wie er erwartet hatte, aber er spürte, wie nunmehr auch noch der letzte Rest von Kraft aus seiner Schulter und dem Arm wich. Das Tor dröhnte wie ein riesiger, falsch gestimmter Gong. Rosen wurde zurückgeschleudert und fand nur durch Glück sein Gleichgewicht wieder, und ein winziger, verbliebener Rest seines Selbsterhaltungstriebes ließ ihn noch einmal nach vorne und auf das Tor zutaumeln.