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Bremer überwand die restliche Entfernung mit wenigen, schnellen Schritten, beugte sich vor und drückte dem Mann das stumpfe Ende des Fettstiftes hinters Ohr. »Wenn ich Sie wäre, würde ich mich jetzt nicht mehr rühren, Freundchen«, zischte er.

Der Mann erstarrte tatsächlich; allerdings nur für eine knappe Sekunde. Dann drehte er den Kopf - so weit es der Druck hinter seinem linken Ohr zuließ - sah Bremer ärgerlich an und hob ganz langsam die rechte Hand ans Gesicht um einen Zug aus seiner Zigarette zu nehmen. »Donnerwetter«, sagte er. »So viel Mumm hätte ich dir gar nicht zugetraut.«

»Nicht bewegen, habe ich gesagt!« schnappte Bremer. Irgend etwas stimmte nicht. Der Mann war einfach zu cool. Niemand blieb so gelassen, wenn man ihm eine Waffe an den Kopf hielt.

Dann wurde es ihm klar: Der Sitz neben dem Fahrer war leer. Aber es waren zwei gewesen! Wo war der andere? »Du kostet mich eine Flasche Jim Beam, Bremer«, sagte der Mann übellaunig. »Wir haben gewettet, ob du den Mumm hast, herzukommen, und ich habe gegen dich gesetzt. Ich sollte eigentlich sauer auf dich sein.«

»Nicht bewegen, habe ich gesagt!« drohte Bremer. Seine Gedanken rasten. Wo war der zweite Mann?!

»Oder was?« fragte der BMW-Fahrer.

»Oder er schmiert dich mit Fett ein«, sagte eine Stimme hinter Bremer. Womit die Frage beantwortet war, wo sich der zweite Mann aufhielt.

Der Mann im Wagen lachte, griff hinter sich und nahm Bremer den Labello-Stift aus der Hand. Nachdenklich drehte er ihn in den Fingern. »Auch noch so ein billiges Ding«, sagte er kopfschüttelnd. »Ein Neunundneunzig-Pfennig-Sonderangebot, wie? Also allmählich überlege ich mir, ob ich ein bißchen beleidigt sein soll. Ich dachte, ich könnte wenigstens ein Mindestmaß an Respekt erwarten.« Er öffnete die Tür, wartete, bis Bremer einen Schritt zurückgetreten war und schnippte seine Zigarette davon, während er ausstieg.

»Es ist ein Kreuz mit euch Bullen«, seufzte er. »Ihr seid so berechenbar.« Bremer tat einen weiteren Schritt zurück und musterte den Mann aufmerksam. Er war einen guten Kopf größer als er, teuer, aber nicht besonders geschmackvoll gekleidet und von durchtrainierter, sportlich-schlanker Statur. Sein hellblondes Haar war streichholzkurz geschnitten, was seinen Kopf im Verhältnis zu den breiten Schultern unterproportional klein erschienen ließ, und mit Ausnahme der Daumen trug er an jedem Finger einen Ring.

Vorsichtig drehte er sich herum und musterte den zweiten Mann, der hinter ihm aufgetaucht war. Er war von ähnlicher Statur, aber noch größer, und hatte längeres dunkles Haar. »Jetzt sei nicht so unfreundlich zu unserem Gast, Cremer«, sagte er. »Immerhin hat er mir zu einer guten Flasche Scotch verholfen. Aber Sie hätten sich ruhig ein bißchen beeilen können, Bremer. Es ist arschkalt, wenn man hier draußen rumsteht und wartet.«

»Woher ... wußten Sie...?« fragte Bremer zögernd. Seine Gedanken überschlugen sich. Er versuchte unauffällig nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten, aber es gab keinen. Cremer stand keinen Meter hinter ihm, und der Langhaarige vor ihm, und die beiden sahen ganz so aus, als ob sie die hundert Meter in weniger als zehn Sekunden laufen könnten: und das so oft hintereinander, wie sie wollten.

Der Langhaarige grinste und schwenkte ein Instrument, das wie eine Mischung aus einem Feldstecher und einer Polaroidkamera aussah. »Es lebe die Technik«, sagte er fröhlich. »Mit diesem Spielzeug hier kann man zwar leider keine Musikvideos empfangen, aber dafür prachtvoll sehen. Selbst bei vollkommener Dunkelheit. Sie hatten Glück, wissen Sie das? Sie wären in dem Nebel da drüben fast in ein Loch gestürzt. Cremer und ich haben schon geknobelt, wer Sie rausholen muß.« Bremer war ziemlich wütend auf sich. Daß die Männer, mit denen er es zu tun hatte, stets mit der allerneuesten Technik ausgerüstet waren, hatte er schließlich gewußt. Wieso zum Teufel war er denn nicht einmal auf den Gedanken gekommen, daß sie auch über etwas so Simples wie ein Nachtsichtgerät verfügten?

»Also?« fragte er. »Was wollt ihr von mir?«

»Wir?« Der Langhaarige legte übertrieben die Stirn in Falten. »Aber ich dachte, Sie wären zu uns gekommen.« Sein Lächeln erlosch übergangslos. Er warf das Nachtsichtgerät schwungvoll an Bremer vorbei in den Wagen deutete zugleich mit der anderen Hand in dieselbe Richtung.

»Jemand möchte Sie sprechen, Herr Bremer. Steigen Sie ein.«

»Und wenn ich nicht will?«

»Steigen Sie trotzdem ein«, antwortete der Langhaarige ernst. »Nur wird es dann etwas unangenehmer für Sie.«

»Dann habe ich wohl keine andere Wahl«, seufzte Bremer. Und trat mit voller Wucht nach hinten aus.

Er wurde mit einem schmerzerfüllten Grunzen belohnt, verlagerte sein Gleichgewicht auf das andere Bein und schoß gleichzeitig eine blitzschnelle rechte Gerade auf das Kinn des Langhaarigen ab. Er war ein wenig erstaunt, wie leicht es ihm fiel; als hätte er nicht vor Jahren, sondern erst gestern seine letzte Trainingsstunde gehabt. Es gibt eben Dinge, die man nie verlernte.

Der Langhaarige machte einen fast behäbigen Schritt zur Seite, hob die linke Hand und fing Bremers Faust damit auf. Seine Finger schlossen sich mit unwiderstehlicher Kraft um Bremers Hand und drückten zu. Bremer keuchte zwar vor Schmerz, schickte aber gleichzeitig einen Schlag mit der Linken hinterher, und der Langhaarige machte eine Bewegung, die noch beiläufiger aussah, und fing auch seine andere Hand auf. Bremer versuchte ihm das Knie zwischen die Beine zu rammen, und der andere vollführte eine blitzschnelle Drehung in den Hüften, so daß Bremers Stoß ins Leere ging, sein eigenes Knie aber Bremers Oberschenkel traf und das Bein nahezu lähmte.

»Ich hatte gehofft, daß Sie das tun«, grinste der Langhaarige. Seine Hände preßten Bremers Fäuste immer stärker zusammen. Bremer keuchte vor Schmerz, sank langsam auf die Knie und krümmte sich, aber der furchtbare Druck auf seine Finger nahm nicht ab, sondern ganz im Gegenteil immer noch weiter zu. Er glaubte, seine eigenen Knochen knirschen zu hören. Der Schmerz war schlimm, aber noch schlimmer waren die Erniedrigung und das Gefühl der Machtlosigkeit.

»Hör auf, Reinhold!« sagte Cremer. »Willst du ihm die Hände brechen? Braun will ihn in einem Stück!«

»Davon hat er nichts gesagt«, antwortete Reinhold, trotzdem ließ er Bremers Hände endlich los, packte jedoch praktisch im gleichen Sekundenbruchteil seine Handgelenke und riß ihn grob in die Höhe. Als er schwankend wieder auf eigenen Füßen stand, boxte ihm Cremer hart in beide Nieren.

Eine Welle von mit Übelkeit gemischtem Schmerz breitete sich explosionsartig in Bremers Körper aus, seltsamerweise von seinem Magen ausgehend, nicht von seinen mißhandelten Nieren. Er spürte, wie alle Kraft aus seinen Beinen wich, brach hilflos in Reinholds Armen zusammen und kämpfte verzweifelt gegen schwarze Schleier der Bewußtlosigkeit, die seinen Geist vernebeln wollten. Es war sinnlos, sich zu wehren, aber gleichzeitig hatte er auch panische Angst davor, in Ohnmacht zu fallen, weil er nicht wußte, was sie ihm antun würden, wenn er hilflos war.

»Das reicht jetzt wirklich«, sagte Reinhold. »Schaff ihn in den Wagen.«

»Der Dreckskerl hat mir einen Zeh gebrochen«, wimmerte Cremer. »Wenn Braun mit ihm fertig ist, will ich ihn wiederhaben!«

Bremer fühlte sich gepackt und herumgerissen. Er öffnete die Augen, sah den Wagen auf sich zufliegen und konnte gerade noch schützend die Hände vors Gesicht reißen, ehe er mit der Dachkante kollidierte.