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Angela lächelte. »Ich sehe sie mir nachher an«, sagte sie. »Du weißt ja, ich habe heilende Hände.« Sie verzog das Gesicht, betastete mit spitzen Fingern ihre geschwollene Unterlippe und drehte den Rückspiegel so, daß sie sich selbst darin betrachten konnte. Wenn sie jetzt noch einen Lippenstift aus der Handtasche zieht, dachte Bremer, dann wäre das typische Klischee von der Frau am Steuer perfekt. Statt dessen stieß Angela einen wenig damenhaften Fluch aus und knetete weiter ihre Unterlippe. »Verdammt, noch mal!« schimpfte sie. »Jetzt schau dir an, was der Kerl mit mir gemacht hat! Spätestens morgen früh werde ich aussehen wie der Glöckner von Notre-Dame! Ich hätte diesem Mistkerl noch ein paar Zähne mehr ausschlagen sollen!«

»Ich bin nicht ganz sicher, ob er noch welche übrig hatte«, antwortete Bremer. »Deine Hände können offensichtlich nicht nur heilen.«

»Ich habe ihn gewarnt«, sagte Angela. »Er hätte auf mich hören sollen. Einen schwachen Gegner zu schonen ist leicht. Er war nicht schwach.« Ihre Worte jagten Bremer einen eisigen Schauer über den Rücken, und für einen Moment sah er Angela wieder als das, was sie auch war: Ein ... Ding, das so schnell und gnadenlos töten konnte wie eine Spinne, die lautlos in ihrem Netz lauerte. Er verscheuchte das Bild. Es gefiel ihm nicht.

»Das, was du vorhin angewendet hast«, begann er vorsichtig. »Diese Kampftechnik. Was war das?«

»So etwas lernt man im ersten Semester auf der Schule für Schutzengel«, antwortete Angela spöttisch. »Nur für den Fall, daß man starrsinnigen alten Männern den Hals retten muß, die glauben, sich ganz allein mit dem Rest der Welt anlegen zu können. So etwas soll vorkommen, weißt du?«

»Ich meine es ernst«, sagte Bremer.

Angela sah ihn stirnrunzelnd an. »Warum interessiert dich das?«

»Ich habe früher einmal geboxt«, antwortete Bremer. »Und in meiner Jugend war ich ein großer Bruce-Lee-Fan. Ich kenne alle seine Filme auswendig, und die mit Chuck Norris auch. Aber so etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Und es hat dich beeindruckt«, vermutete Angela.

»Es hat mich erschreckt«, korrigierte sie Bremer.

»Weil es so effektiv war?«

»Weil es so grausam war.«

Angela seufzte. Sie konzentrierte sich weiter auf die Straße, aber Bremer sah, daß der Ausdruck von Spott auf ihrem Gesicht erlosch. »Du verwechselst Grausamkeit mit Kompromißlosigkeit«, sagte sie. »Wie die meisten. Was du gesehen hast, war nicht grausam. Es war konsequent.«

»Es war...«

»Du hast noch niemals wirklich gekämpft, habe ich recht?« unterbrach ihn Angela.

»Ich dachte, ich hätte dir gerade erzählt...«

»Daß du früher einmal geboxt hast, ja.« Daß sie ihn zum zweitenmal innerhalb weniger Sekunden unterbrach, sagte mehr über ihre Verfassung aus, als ihr vermutlich bewußt war. Von ihrem Lächeln oder gar dem Spott in ihrer Stimme war nichts mehr geblieben. »Das habe ich nicht gemeint. Das ist ein Spiel. Manchmal tut ihr euch dabei weh. Manchmal wird sogar jemand verletzt, aber es bleibt ein Spiel. Du hast niemals wirklich gekämpft, habe ich recht?« Bremer schwieg, und Angela sagte nach einer Sekunde noch einmal und in verändertem, bitterem Tonfalclass="underline" »Du hast niemals wirklich gekämpft. Du weißt nicht einmal, was das ist. Ich schon. Ich habe es gelernt. Du greifst an, der andere verteidigt sich, du greifst härter an. So einfach ist das. Es ist nicht wie in deinen Boxkämpfen. Und auch nicht wie in deinen Filmen, weißt du? Es geht nicht um Fairneß oder Anstand, sondern nur um Leben oder Tod.« Es hätte eine Menge gegeben, was er darauf hätte sagen können, aber er schwieg. Angelas Worte hatten ihn auf eine seltsame Weise berührt. Wäre sie nur ein paar Jahre jünger gewesen, hätte er sie einfach als lächerlich empfunden; genau die Art von pseudointellektuellem Geschwafel, mit dem man pickelgesichtige Fünfzehnjährige beeindrucken konnte. Wäre sie mehr als nur ein paar Jahre älter gewesen, dann hätten ihn diese Worte vielleicht beeindruckt. So ... verunsicherten sie ihn. Obwohl er noch das Gefühl hatte, einen Dialog aus einem billig heruntergedrehten und noch schlampiger synchronisierten Eastern zu lauschen, enthielten sie trotzdem ein Quentchen Wahrheit, das ihm unangenehm war.

Aus keinem anderen Grund als dem, das Thema zu wechseln, räusperte er sich ein paarmal und fragte dann:

»Woher wußtest du überhaupt, wo ich bin?«

»Ich wußte es nicht«, antwortete Angela offen heraus »Ich habe dich beschattet.«

»Die ganze Zeit?« Er hatte nichts davon bemerkt, was bedeutete, daß sie sich zumindest nicht allzu ungeschickt angestellt hatte.

»Beinahe die ganze Zeit. Nachdem du in der Kirche verschwunden warst, habe ich die beiden Kerle in dem BMW beschattet. Was hattest du eigentlich vor?«

»Vor?«

»Wenn es dir gelungen wäre, sie zu überrumpeln.«

Bremer hob die Schultern. »Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. So weit habe ich nicht geplant.«

»Ich verstehe«, grummelte Angela. »Du legst dich immer mit hochtrainierten Profischlägern an, ohne einen Plan zu haben.«

»Kein Plan ist oft der beste«, antwortete Bremer verärgert. Angelas Überheblichkeit ärgerte ihn - vor allem, weil sie berechtigt war. »Eigentlich solltest du das wissen, wo du doch so auf fernöstliche Kampfkunst stehst. Keine Strategie übersteht den ersten Kontakt mit dem Feind.«

»Also ist es nur konsequent, erst gar keine zu haben.« Angela schüttelte seufzend den Kopf. »Wie alt bist du eigentlich?«

»Auf jedem Fall alt genug, um dein Vater sein zu können«, sagte Bremer zornig. »Was soll das?«

»Oh, nichts«, antwortete Angela achselzuckend. »Ich frage mich nur, wie du mit dieser Einstellung so alt geworden bist. Die beiden hätten dich fertiggemacht, selbst wenn du eine richtige Waffe gehabt hättest.«

»Woher weißt du das?« fragte Bremer rasch.

»Was?«

»Daß ich keine richtige Waffe hatte. Du warst nicht einmal in der Nähe!«

»Deine Pistole liegt immer noch in deinem Schreibtisch«, antwortete Angela. »Und ich glaube nicht, daß dir Vater Thomas mit einer Schußwaffe aushelfen konnte. Also mußtest du bluffen. Was hast du benutzt? Einen Stock?«

»Einen Labello-Stift«, gestand Bremer. Er glaubte ihr kein Wort. Ihre Erklärung klang einleuchtend und logisch, und trotzdem überzeugte sie ihn nicht.

Das Telefon schrillte. Bremer hob ganz automatisch die Hand, um danach zu greifen, aber Angela schüttelte rasch den Kopf und schaltete das Gerät aus.

»Warum hast du das getan?« fragte Bremer.

»Man kann die Dinger anpeilen«, antwortete Angela. »Ich hätte gleich daran denken sollen. Meine Schuld ... oder erwartest du zufällig einen dringenden Anruf?« Bremer runzelte ärgerlich die Stirn. Angelas Stimme hatte wieder den flapsigen Ton angenommen, den er von ihr gewohnt war. Aber jetzt, wissend, wozu sie in der Lage war, funktionierte er einfach nicht mehr. Wahrscheinlich würde er sie nie wieder so sehen können, wie er es bisher getan hatte.

»Also gut«, sagte er. »Jetzt, nachdem wir dafür gesorgt haben, daß uns niemand aufspüren kann: Wohin fahren wir?«

»Keine Ahnung«, antwortete Angela. »Ich bin nur das mobile Einsatzkommando. Du bist der Pfadfinder.«

Und damit war er wieder so schlau wie vor einer Stunde.

17

Das Heulen der Krankenwagensirene war in den letzten Minuten beständig lauter geworden, ohne wirklich näher gekommen zu sein. Hinter zahlreichen Fenstern auf beiden Seiten der Straße war Licht angegangen, und ein- oder zweimal hatte sich sogar eine Tür geöffnet, ohne daß allerdings irgend jemand herausgekommen wäre. Selbst die Schatten hinter den Fenstern waren nur manchmal zu sehen, fast als spürten die Menschen, daß unten auf der Straße noch mehr war als die beiden reglosen Gestalten, die ausgestreckt im Scheinwerferlicht des mit laufendem Motor dastehenden Fiat dalagen; etwas Gefährliches, womöglich Tödliches, dessen Nähe sie besser mieden.