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Sie hatte auf diese Weise fast ein halbes Dutzend Türen geöffnet, als Angela endlich fündig wurde. Diesen Raum verließ sie nicht mehr, sondern trat mit einem zufriedenen Laut vollends hinein. Als Bremer ihr folgte, sah er, daß sie einen unordentlichen Schreibtisch ansteuerte, auf dem ein Computerterminal stand. Sie nahm rasch davor Platz, schaltete den Rechner ein und machte eine flatternde Geste in seine Richtung.

»Fünf Minuten«, sagte sie. »Such dir was zu lesen, oder nimm ein Bad.«

Bremer ersparte sich jede Antwort. Er hoffte, daß Angela auch wirklich fünf Minuten meinte, und nicht das, was Computerfreaks manchmal darunter verstanden, wenn sie sich an ihr Lieblingsspielzeug setzten und sagten, es dauere nur einen Augenblick.

Ziellos begann er im Raum auf und ab zu gehen und trat schließlich ans Fenster. Es führte auf die Rückseite des Gebäudes hinaus, und der Anblick unterschied sich radikal von dem, der sich ihm geboten hatte, als er das letztemal aus Alberts Fenster zwei Stockwerke höher auf den Garten hinausgeblickt hatte.

Es war nicht mehr völlig dunkel, sondern hatte zu dämmern begonnen. In dem grauen Licht, das sich wie eine träge Flüssigkeit über das Klinikgelände ergoß und alle Konturen aufzuweichen begann, konnte er erkennen, daß der Park von Menschen nur so wimmelte. Männer in den Kampfanzügen des SEK, uniformierte Polizisten, aber auch zahlreiche Männer und Frauen in weißer Krankenhauskluft oder Schlafanzügen und Morgenmänteln. Im ersten Blick begriff er nicht, was er da sah, aber dann sagte er: »Sie evakuieren die Klinik!«

»Die erste vernünftige Idee, die deine Kollegen heute hatten«, sagte Angela vom Computer aus. »Ich hoffe, sie schaffen es noch rechtzeitig.«

Bevor was geschieht! dachte Bremer.

Er sah Angela einen Moment lang nachdenklich an, dann drehte er sich wortlos wieder zum Fenster und blickte hinaus. Soweit er das beurteilen konnte, ging die Evakuierung zügig vonstatten. Eine Anzahl Krankenwagen und Mannschaftstransporter der Polizei war auf dem Gelände aufgefahren und nahm die Patienten auf, die noch immer in rascher Folge aus dem Gebäude gebracht wurden. Wenn die Räumung auf der anderen Seite ebenso rasch und reibungslos vonstatten ging, hatten sie eine gute Chance, die gesamte Klinik in wenigen Minuten zu leeren. Gottlob waren die wenigsten Patienten hier weder Liegendkranke noch transportunfähig.

Bremer hoffte nur, daß das, was er sah, nicht die Vorbereitungen für einen Sturmangriff waren. Nördlinger hätte so etwas Irrsinniges niemals getan, aber Nördlinger war tot oder zumindest nachhaltig außer Gefecht gesetzt, und er hatte keine Ahnung, wer an seiner Stelle die Leitung des Einsatzes übernommen hatte. Hoffentlich nicht Meiler, oder gar Vürfels. Diesem Idioten war jede Hirnrissigkeit zuzutrauen, wenn er die Chance sah, sich zu profilieren.

Die fünf Minuten, von denen Angela gesprochen hatte, waren noch nicht einmal vorbei, als sie aufstand und in triumphierendem Tonfall sagte: »Das war's. Braun, zieh dich warm an. Wir kommen!«

»Du hast das System überlistet?« fragte Bremer.

»Kein Problem«, antwortete Angela großspurig. »Programmierer sind Trottel. Sie lassen sich immer eine Hintertür offen, sogar wenn sie selbst nicht genau wissen warum. Wenn man weiß, wonach man zu suchen hat, ist es meistens nicht besonders schwer, sie zu finden.«

Bremer bedachte den Computer mit einem zweifelnden Blick. Er hatte ja schon erlebt, wozu Angela an einer Tastatur fähig war, aber es fiel ihm trotzdem schwer zu glauben daß ein so hochsensibles Projekt wie das Brauns so schlecht geschützt sein sollte.

Er kam nicht dazu, eine entsprechende Frage zu stellen, denn Angela verließ das Zimmer bereits wieder und eilte zum Aufzug zurück. Als er sie einholte, hatte sie den Knopf bereits gedrückt, und die Türen glitten auf. Angela trat in die Kabine, wartete ungeduldig, bis Bremer ihr gefolgt war, und drückte den Knopf für das Kellergeschoß. Die Türen schlossen sich, und die Kabine setzte sich summend in Bewegung.

Bremers Blick saugte sich an der Leuchtanzeige über der Tür fest.

Der Lift erreichte das Kellergeschoß, und die entsprechende Anzeige leuchtete für einen kurzen Moment auf und erlosch dann wieder.

Sie sanken weiter in die Tiefe.

36

Braun war verletzt. Er hatte keine allzu starken Schmerzen, aber sein rechtes Bein blutete stark; das Biest mußte seinen Wadenmuskel erwischt haben, denn sein Bein hatte immer größere Mühe, das Gewicht seines Körpers zu tragen. Schwer atmend ließ er sich gegen die Labortür sinken und schloß für einen Moment die Augen. In seinen Ohren gellten noch immer die Schreie der Männer, und sein Herz jagte so schnell, daß er fast Mühe hatte, zu atmen. Es war nur Einbildung. Die drei Agenten waren längst tot. Die Bestie war wie aus dem Nichts aufgetaucht und mit Klauen und Kieferzangen über sie hergefallen, mörderisch und so unvorstellbar schnell, daß nicht einer von ihnen auch nur Zeit gefunden hätte, seine Waffe zu ziehen. Und selbst wenn einer von ihnen noch am Leben sein sollte, so hätte die halbe Tonne Stahl, an der er lehnte, zuverlässig jeden Laut verschluckt.

Braun war hier drinnen in Sicherheit. Der Angriff des Dämons hatte nicht ihm gegolten, sondern ihn wahrscheinlich nur ganz aus Versehen getroffen. Braun nahm mit ziemlicher Sicherheit an, daß er der letzte auf seiner Liste war. Es würde ihn umbringen, o ja, ganz gewiß, und der Tod, den es ihm zugedacht hatte, war mit Sicherheit qualvoll und langsam, aber er war erst dann an der Reihe, wenn auch der letzte seiner Agenten tot war; und vermutlich auch Grinner und sämtliche Forschungsassistenten und Techniker, die an diesem Projekt beteiligt gewesen waren. Braun hatte mittlerweile eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was die kranke Ausgeburt von Haymars Hirn tat.

Sie nahm Rache. Der Dämon tötete gnadenlos jeden, der irgendwie mit dem fünfjährigen Martyrium seines Schöpfers zu tun hatte. Es waren eine Menge Leute. Die Bestie würde im Akkord morden müssen, und er, Braun, war zweifellos der letzte auf ihrer Liste.

Aber so weit würde es nicht kommen. Er brauchte zwei Minuten, plus noch einmal zehn, um einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen sich und diesen Keller zu bringen.

Braun biß die Zähne zusammen, zwang sein schmerzendes Bein, sich zu bewegen und humpelte auf eines der computerbestückten Pulte zu, die dem Labor das Aussehen einer futuristischen Filmkulisse verliehen.

Als er es fast erreicht hatte, hörte er ein Stöhnen und blieb wieder stehen.

Aufmerksam sah er sich um. Sein Herz klopfte. Der Laut wiederholte sich nicht, und soweit er das erkennen konnte, war er auch allein im Labor. Seine Nerven spielten ihm einen Streich. Das war ja auch kein Wunder.

Braun humpelte weiter, erreichte das Pult und stützte sich schwer mit beiden Händen darauf. Sein Puls jagte. Von seinem verletzten Bein tropfte Blut zu Boden, und er brauchte all seine Willenskraft, um überhaupt die Hand zu heben und den Computer einzuschalten.

Während er darauf wartete, daß das Programm das Sicherheitsprotokoll durchlief, glitt sein Blick über die Glasscheibe im hinteren Teil des Büros. Grinner hatte das Licht in der Isolierkammer brennen lassen, so daß er den schwarzen Stahlsarkophag darin deutlich erkennen konnte. Schatten schienen sich an der Wand dahinter zu bewegen, wie körperlose Wesen aus einer anderen Dimension, die gegen die Mauern der Wirklichkeit anrannten, ohne sie vollends überwinden zu können. Er fragte sich, ob Haymar wußte, was gleich geschehen würde. Wahrscheinlich nicht. Nein: Ganz bestimmt nicht. Allein die Tatsache, daß Braun jetzt hier stehen konnte und sich diese Frage stellte, war ein unwiderruflicher Beweis dafür.