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Bremer erhob sich langsam und sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befanden, überraschte ihn. Er hatte so etwas wie ein Labor erwartet, vielleicht wirklich die moderne Ausgabe von Frankensteins Turmkammer, aber hier sah es eher aus wie in der Kommandozentrale eines supermodernen Unterseebootes. Die Wände waren mit Instrumenten und Monitoren in allen nur vorstellbaren Größen und Formen gepflastert, und der Raum dazwischen wurde fast vollkommen von einem halben Dutzend großer Pulte beansprucht, auf denen sich ebenfalls Instrumente und Computer türmten und zwischen denen nur schmale Laufgänge blieben. Auf der linken Seite schien es einen zweiten Raum zu geben, der im Gegensatz zu diesem nahezu leer war. In seiner Mitte stand etwas Großes, Dunkles, das Bremer nicht genau erkennen konnte. Die Kammer war offensichtlich einmal mit einer Glasscheibe abgetrennt gewesen, die jetzt aber zerbrochen und in Milliarden Scherben zersprungen auf dem Boden lag. Braun und ein zweiter Mann in einem blutdurchtränkten weißen Kittel lagen inmitten der Scherben. Bremer konnte nicht sagen, was mit dem anderen Mann war, aber Braun war mit ziemlicher Sicherheit tot. Eine handbreite Glasscherbe ragte aus seinem Bauch. Die Spitze war dicht neben seinem Rückgrat wieder herausgetreten.

Angela bewegte sich vorsichtig auf die beiden Männer zu. Sie schien nicht ganz so überzeugt von Brauns Tod zu sein, denn sie bewegte sich sehr langsam, und ihre Waffe deutete ununterbrochen auf Braun.

Bremer sah sich unterdessen erneut in dem vollgestopften Raum um. Etwas wie eine huschende Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah genauer hin und identifizierte es als das Flackern einer roten Ziffernkolonne auf einem Bildschirm. Langsam trat er näher.

Was er sah, war eine Zeitanzeige. Die beiden ersten Ziffern lauteten 09. Danach folgte eine 17 und als drittes eine Zahlengruppe, die so schnell kleiner wurde, daß er ihr kaum folgen konnte. Noch während er an den Bildschirm herantrat, wurde aus der 17 eine 16. Eine eisige Hand schien nach seinem Herz zu greifen und es ganz langsam zusammenzudrücken, als ihm klar wurde, was er da sah. Einen Countdown.

Und es war nicht besonders schwer zu erraten, was an seinem Ende geschehen würde.

»Angela«, sagte er.

Angela war mittlerweile zwischen Braun und dem zweiten Mann niedergekniet und untersuchte sie flüchtig. »Er ist tot«, sagte sie.

Bremer wußte nicht, ob sie Braun oder den Mann in dem weißen Kittel damit meinte, vermutete aber, daß es beiden galt. Angela hatte auf jedem Fall ihre Waffe eingesteckt.

»Vielleicht solltest du dir ... das hier einmal ansehen«, sagte er stockend.

Angela sah auf, runzelte die Stirn und kam dann mit schnellen Schritten zu ihm herüber. Ihre linke Augenbraue rutschte ein Stück weit ihre Stirn hinauf, als ihr Blick auf den Bildschirm fiel.

»O«, sagte sie.

»Könntest du dich ... darum kümmern?« fragte Bremer nervös.

»Kein Problem«, antwortete Angela. Aber auch sie klang eine Spur zu nervös, als daß Bremer ihr hundertprozentig glaubte. Vor allem nicht, als sie nach einer Sekunde hinzufügte: »Aber faß bloß nichts an, kapiert.«

Bremer hütete sich, irgend etwas anzurühren. Er hob erschrocken die Hände und machte Angela sehr hastig Platz.

»Okay«, sagte sie und fuhr sich nervös mit dem Handrücken übers Kinn. »Geh spielen oder tu sonst was. Ich ... mache das hier schon.«

Bremer hoffte es. Er hoffte sogar sehr, daß Angela wußte, was sie tat. Sie hatten jetzt noch acht Minuten und siebenundfünfzig Sekunden, bevor sie herausfinden würden, wozu dieser Computer eigentlich da war.

»Also, wenn ich diesen Computer programmiert hätte, dann hätte ich dafür gesorgt, daß es Bumm macht, sobald jemand die falsche Taste berührt«, murmelte Angela.

»Und welches ist die falsche Taste?« fragte Bremer.

Angela zuckte mit den Schultern und sah stirnrunzelnd auf den Computer herab. »Die Frage ist glaube ich eher, welches ist die richtige.«

Warum hatte er auch fragen müssen. Bremer drehte sich mit einer nervösen Bewegung wieder herum und entfernte sich ein paar Schritte.

Fast ohne sein Zutun fiel sein Blick wieder auf den dunklen Umriß hinter dem leeren Fensterrahmen. Er hatte eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, worum es sich dabei handelte, und er wollte im Grunde nichts auf der Welt weniger, als jetzt dort hinüberzugehen und dieses ... Ding aus der Nähe zu sehen...

Aber schließlich waren sie aus keinem anderen Grund hier heruntergekommen. Und nicht nur, um es anzusehen.

»Ups!« sagte Angela hinter ihm.

Bremer fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und starrte den Monitor an. »Was ist passiert?«

»Nichts.« Angela deutete grinsend auf den Schirm. Die Zahlen hatten aufgehört, sich zu bewegen. »Ich habe die richtige Taste gefunden, glaube ich.«

Bremer stieß hörbar die Luft zwischen den Zähnen aus. »Manchmal habe ich Mühe, mich an deine Art von Humor zu gewöhnen, weißt du das?«

»Das kommt schon noch.« Angela drückte die ENTER-Taste, und der Countdown auf dem Schirm lief weiter; und wie es Bremer vorkam, deutlich schneller. Bevor er auch nur wirklich Zeit fand, zu erschrecken, berührte sie irgendeine andere Taste, und der Countdown hielt wieder an.

»Ach, so funktioniert das«, sagte sie.

»Was ... was machst du da eigentlich?« fragte Bremer nervös.

»Ich versuche, dieses Ding zu entschärfen«, antwortete Angela. »Es bringt nicht viel, den Countdown nur anzuhalten und darauf zu warten, daß irgendein Dummkopf hereinkommt und auf den falschen Knopf drückt. Ich fühle mich erst sicher, wenn er ausgeschaltet ist.«

Das sah Bremer ein. Aber der Anblick der rotleuchtenden Ziffern machte ihn nervös. Der Countdown war bei 06:43:12 stehengeblieben. »Also gut. Aber ... versuch es nicht zu oft, ja?«

»Ich werde mein Bestes tun«, versicherte Angela. »Du bist der erste, der merkt, wenn ich einen Fehler mache.«

Bremer ging endgültig.

Mit fast schleppenden Schritten näherte er sich dem Raum hinter der zerborstenen Glasscheibe.

38

Wie jeder Mensch hatte sich auch Braun schon die Frage gestellt, wie es sein mußte, zu sterben. Und wie jeder Mensch hatte er versucht, es sich auf die eine oder andere Art vorzustellen, auch wenn er tief in seinem Inneren davon überzeugt war, daß es schließlich doch vollkommen anders sein würde.

Wenigstens in diesem Punkt hatte er recht gehabt. Es war anders.

Es war durch und durch entsetzlich. Braun war noch zu einem winzigen Teil bei Bewußtsein. Er hatte unbeschreibliche Angst, und noch unbeschreiblichere Schmerzen. Sein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen, wobei die Wunde, die Grinner ihm zugefügt hatte, noch fast am wenigsten schmerzte. Er starb, aber er wollte nicht sterben, denn noch mehr Angst als vor dem Vorgang des Sterbens an sich und dem, was danach kommen mochte oder auch nicht, hatte er vor dem Gedanken, versagt zu haben. Es durfte nicht umsonst gewesen sein. Sie waren dem größten aller nur denkbaren Geheimnisse auf der Spur gewesen, und sie hatten es gelöst, verdammt noch mal. Es konnte nicht scheitern. Nicht so kurz vor dem Ziel!

Seine linke Hand bewegte sich. Die Finger auch nur den Bruchteil eines Zentimeters zu heben, kostete ihn schon unvorstellbare Anstrengung, aber er zwang seine Hand, sich weiter zu bewegen, Millimeter für Millimeter, so langsam, daß selbst jemand, der ihn in diesem Moment beobachtet hätte, die Bewegung nur mit großer Mühe überhaupt registriert hätte. Aber er zwang sie weiter, Zentimeter um Zentimeter, Stück für Stück, bis sie schließlich in seine Tasche kroch und das schmale Kunststoffkästchen erreichte, in dem die drei Glasphiolen waren. Dreimal Leben. Dreimal Unsterblichkeit.