»Wir sehen deine Arbeit rasch und unfallfrei voranschreiten. Äliacum muß sparen.« Womit er unausgesprochen die Gerüchte über eine Verschwendung beim Bau abtat.
Der Architekt nickte. Doch welchen Sinn machte es, eine Aufgabe zu akzeptieren, die er nie... Halt! Es stand dahin, wann die Zeitbasis das Visier justiert hatte und ihn zurückholte. Womöglich erst lange nach Fertigstellung des Aquädukts. Er indessen mußte jederzeit Äliacum nahe sein. Ein Vorwand dafür war gefunden. Ob jene Brücke historisch belegt war, wußte er nicht auswendig wenn ja, dann gewiß nicht unter der Bauleitung eines Rabirius. Aber das war wohl kein Hindernis.
»Einverstanden«, sagte er bedächtig. »Die Modalitäten handeln wir demnächst aus, denke ich. Aber tut mir bitte einen Gefallen!«
»Jeden!« rief Caninius.
»Nur den, Oberst Crusius klarzumachen, daß nicht ich ihm den Auftrag weggegriffen habe.«
Die Duumvim lächelten. Ein Offizier hatte nicht nach Motiven eines Befehls zu fragen.
Sie traten wieder an den Tisch, und ihr Gespräch wandte sich Themen zu, bei denen auch die Frauen mitreden durften: der Mode, Kochrezepten und dem Wetter. Vor allem dem Nebel. Vom goldgleißenden Rom sprach man nur indirekt, drohte doch die Gefahr, beim Wiedererzählen der umgehenden Anekdoten das Kaiserhaus oder einflußreiche Persönlichkeiten zu verunglimpfen. Und wer wußte, ob nicht einer der Anwesenden nebenher dem Kaiserlichen Geheimbüro Nachrichten zutrug?
Rabirius war nicht bei der Sache. Wann handelte Salmo? Er schaute zur Wasseruhr. Die Sonne war seit drei Stunden hinter den Bergen versunken. Bald mußte es geschehen!
Er gewahrte Älius’ forschenden Blick und faßte sich rasch. »Etwas wollte ich schon früher fragen, Herr Bürgermeister«, wandte er sich an ihn. »Bist du mit jenem Älius verwandt, der dem Ort den Namen verlieh? Oder gar mit dem Prätorianerpräfekten Älius Sejanus?«
Der Duumvir wäre vor allem das letztere gern gewesen. Als Kommandeur der kaiserlichen Gardetruppen war Sejanus in Rom fast so mächtig wie Kaiser Tiberius. In vielem regierten er und seine Kreaturen allein. Älius mochte nicht zugeben, daß sich in der Ahnengalerie keine Querverbindung finden ließ. Er lächelte unbestimmt. »Es gäbe keinen Namen dafür. Ich wäre auch nie so vermessen, mich darauf zu berufen.«
Seine Frau staunte ihn an, begriff und nickte mehrmals.
»Meinen Glückwunsch, denn... Unter uns: Man munkelt von geheimen Untersuchungen. Ich bezweifle, daß er übers Jahr noch Präfekt der Prätorianer ist. Ein Verwandter sollte das wissen.«
Die Gesichter zeigten furchtsames Erstaunen. Wer hätte gewagt, so über den Großmächtigen zu reden! Sicher war Rabirius gut informiert andernfalls riskierte er das Leben.
Dabei wußte Rabirius nichts von einer solchen Maßnahme des Kaisers. Vielmehr stand im Geschichtsbuch, daß Älius Sejanus auf seinem Weg zur Alleinherrschaft demnächst über eine zufällige Aussage zu Tode stolpern würde. Aber er durfte die Quelle seines Wissens nicht preisgeben.
»Seine Kaiserliche Majestät tut stets das Beste«, versicherte der Duumvir beflissen. »Ich hatte nie Kontakt mit dem... fast Verwandten.«
Die anderen belächelten die Eleganz, mit der ihr Tischgenosse den Standpunkt wechselte. Nur die junge Caninia blickte hilflos drein.
Gerade wollte Rabirius weitere Details aus dem Wissen der Zukunft als angeblich interne Informationen ausbreiten, da geschah, was er erwartete. Das Zeitfeld brach zusammen.
Obwohl lautlos, war es wie der Nachhall eines fernen, aber ungemein heftigen Knalls. Die Luft bebte, in den Nerven zuckte es. Eine aufwartende Sklavin stieß einen Schreckensruf aus. Älius ließ den Löffel fallen, die meisten griffen sich an den Hals oder an die Stirn.
»Was war das?« Der hagere Caninius sah sich scheu um. »Habt ihr es auch gespürt?«
»Ein Schlag auf die Brust.«
»Das Silber brannte in der Hand.«
»Ein kalter Windstoß!«
»Als wenn... ein Gott vorübergegangen wäre«, sagte Caninia.
»Exakt so«, murmelte Rabirius und schenkte dem Mädchen für das Stichwort einen dankbaren Blick.
Das Gespräch flackerte eine Zeitlang um ähnliche Ereignisse. Aber keiner fühlte sich mehr wohl; und als Caninius’ Frau vorschlug heimzukehren, stimmte Rabirius sofort zu.
Sie standen noch im Atrium, als man eilige Schritte nahen hörte. Ein Legionär stürmte herein und grüßte atemlos. »Ihr Herren, der Sklave Salmo ist verschwunden.«
»Entflohen? Das langt! Setzt ihm nach, laßt die Spürhunde los!« befahl der Architekt betont schroff.
»Schon geschehen. Sie fassen keine Spur. Niemand versteht das. Tribun Crusius bittet dich zu sich, Herr Baumeister!«
»Keine Spur?« Rabirius blickte Caninia an. »Götterwerk? Als wenn du es geahnt hättest. Gehen wir. Schickt meine Mädchen derweil heim!«
Das Haus des Bürgermeisters Appius Älius stand nur hundert Schritt entfernt vom Wachgebäude. Fackeln, Hundegebell und lautes Hin und Her verrieten schon von weitem den Alarmzustand.
Septimus Crusius wartete am Tor und grüßte wie ein vor Hunger wütender Luchs. »Eine unsagbare Schweinerei!«
»Erst exakt untersuchen, Tribun!«
Der Hof, vielleicht zehn Schritte im Geviert, war von Mauern umgeben, die nur ein afrikanischer Affe erklettern konnte. Am übermannshohen Gatter standen Wachen, ratlos. Legionäre leuchteten mit Fackeln jeden Fußbreit Boden ab.
In der Mitte war eine knietiefe Mulde ausgehoben und die Erde so glatt gestampft worden, als wollte jemand eine Schale schaffen. Einen Sinn hatte es offensichtlich nicht, und Rabirius fragte scheinbar verwirrt: »Was ist das?«
»Weiß ich’s? Dein Schützling hat uns das eingebrockt.«
»Was sagt die Wache?«
»Ein Knall, als wenn Bretter aufeinanderschlagen, dann Stille. Man sah vorsichtshalber nach, fand niemanden, schlug Lärm. Ich kam gerade zurück. Aber erst zu dir: Was wolltest du abends bei Salmo?«
»Erfahren, was geschah. Ich pflege beide Seiten zu hören. Er behauptet, die Bestandslisten seien gefälscht worden; er habe den Sekretär dazu befragt. Der habe ihm aufgetragen, zu mir zu eilen und plötzlich »gewaltsame Flucht! < geschrien.
Ob es stimmt? Wort gegen Wort; ich forderte deshalb die Götter auf, über Recht und Unrecht zwischen ihm und Faustus zu entscheiden. Wer bleibt, war im Recht. Wo ist der Sekretär?«
»Mit der Amtskasse entflohen«, knurrte Crusius. »Ich habe die Fahndung schon veranlaßt. Was wurde aus Salmo?«
»Frage die Unsterblichen. Du siehst doch, daß das hier kein Menschenwerk ist. Offenbar trugen beide Schuld.«
Corellius trat zu ihnen, den Blick argwöhnisch und dennoch bewundernd auf den Baumeister gerichtet. Was dieser Mensch alles vermochte! »Setzen wir ein Kopfgeld aus«, empfahl er. »Wenn Salmo bloß entwischt ist, muß er irgendwann auftauchen. Solch ein Gesicht fällt auf.«
Crusius fand die Idee gut, verzichtete aber darauf, Beifall zu spenden. »Ich werde deine Centuria Wachsamkeit lehren!« fauchte er davongehend.
»Weshalb ich kam, Herr: Deine Sklavin Astris steht draußen. In deinem Haus würde es nach Rauch riechen, es wäre aber nichts zu finden. Du möchtest rasch heimkehren.«
»Du großer Gott! Sage es dem Tribun, falls er nach mir fragt.« Er rannte schon. Auf Corellius’ hinterhergerufene Frage, ob er ihn begleiten solle, winkte er ab.
Es verstieß gegen seine Würde, zu rennen, aber er allein wußte, was geschehen sein konnte. Angstschauer schüttelten ihn.
Lydia wartete an der Haustür. Sie brauchte nichts zu sagen, brandiger Geruch kroch ihm schon im Atrium in die Nase. Eindeutig, er kam aus dem Gang zwischen Eßzimmer und Küche.
»Der Keller, Herr. Schon als wir heimkamen. Du hast ihn abgeschlossen...«
Eiskalt wurde ihm. Schneller, als er seine Ahnung in Worte fassen konnte, stand er an der Fallklappe. In der Tat, durch die Ritzen drang ein brenzliger Geruch. Um Himmels willen! Dort unten lagen seine Geräte!