»Was gab’s? Ein Unfall?«
»Nein. Gestern abend kam ein Transport, fünf frische Bausklaven. Du hast damals verfügt...«
»Exakt.« Rabirius nickte. »Ich werde sie mir ansehen und prüfen, wo sie eingesetzt werden können. Bringt ihr sie?«
»Jemand vom Begleitkommando. Er muß jeden Moment hier sein.«
»Klar. Wollt ihr derweil einen Bissen nehmen? Sagt ruhig ja. Ich kenne doch eure Legionskost.« Er klatschte in die Hände.
Sogleich trat die Sklavin ein. »Was befiehlst du, Gebieter?«
»Bring noch ein paar Schnitten, Astris! Und etwas Gutes zu trinken. Vielleicht einen Würzwein. Meine Freunde haben eine Nachtwache in den Knochen und den Nebel im Hals.«
»Jawohl.« Astris schlug den Blick ihrer großen Augen nieder und lief hinaus.
Bewundernd schaute Marcus hinterdrein. Legionäre bekamen solche Mädchen nur zu sehen, und auch das selten genug. In der Schenke der Sempronia tat man gut, die Dirnen nur flüchtig zu betrachten. Exklusive Häuser blieben simplen Soldaten verschlossen, selbst dort hätte Astris Aufsehen erregt. Marcus wußte vom Markt her, wie hübsch auch die andere Dienerin war. Eine Augenweide! Rabirius hielt die beiden hervorragend, gab sogar Silber für ihre Frisuren und Kosmetik aus. Viele Freie trugen schäbigere Kleider. Mancher Herr überließ seinen Haussklaven nur Lumpen, andere ergötzten sich daran, sie halbnackt einhergehen zu lassen. Der Römer dagegen... Sicherlich war ihm auch des Nachts an gepflegter Kost gelegen.
Rabirius war eben ein außergewöhnlicher Mensch.
Ein würgender Husten überfiel den Centurio. Als der Krampf endlich nachließ, war das Gesicht puterrot.
»Immer noch?«
Corellius seufzte. »Leider, Herr. Das will nicht aufhören. Wenn ich huste, reißt es mich in der Brust.«
Die ebenmäßige Stirn des Hausherrn furchte sich. »Blut?«
»Woher weißt du...? Stimmt, einmal, kürzlich. Aber seither nicht wieder«, setzte der Centurio hastig hinzu. Als er Besorgnis im Gesicht des Hausherrn gewahrte, fröstelte ihn. Einige Legionäre hatten sich zu Tode gehustet. Sollte auch er...? »Einmal, in Tarraco, habe ich den Legionsarzt gefragt. Der wußte keinen Rat.«
»Welcher Heilkundige von Format geht auch zum Heer! Hoffentlich wächst es zu. Schone dich, meide Anstrengungen, unterdrücke den Husten mit Macht!«
Astris kam zurück, teilte Teller und Gläser aus und servierte.
Auf die einladende Geste des Hausherrn hin nahm der Centurio Platz. Marcus wartete einen Befehl ab, stellte Schild und Lanze an eine Säule und setzte sich zu seinem Vorgesetzten auf die Bank. Beide langten zu. Die dürftige Kost der Legionsküche schmeckte stets fade, und viel Zeit zum Essen bewilligte man den Soldaten nie. Zartes Fleisch und Honigwein wie hier fehlten auf dem Küchenzettel. Überdies war Weingenuß während der Wache verboten.
»Die Sonderziegel für die Wölbung sind komplett, sind auch endlich exakt gearbeitet. Heute können wir den nächsten Bogen schließen«, sagte Rabirius kauend. »Hoffentlich spuren die Gerüstbauer besser als beim letztenmal. Bisher... Ja, Lydia?«
Die andere Dienerin kleiner als Astris, üppiger und schwarzhaarig knickste. »Ein Offizier steht mit fünf Sklaven vor deinem Haus, Gebieter. Er begehrt dich zu sprechen.«
»Sie sollen hereinkommen.«
Vier der fünf Sklaven waren mager, verschmutzt und zernarbt in ihren Gesichtern stand müde Hoffnungslosigkeit. Marcus
dachte einen Moment lang, daß Soldaten wenig anders dreinblickten, doch er verwies sich solche Gedanken.
Widerwillig erhob sich der Baumeister, nahm ein Notiztäfelchen zur Hand und betrachtete die Sklaven von nahem, einen nach dem anderen. Bevor er den blutjungen Decurio eines Blickes würdigte, stellte er den vieren Fragen: Woher? Wie alt? Welche Kenntnisse? Die Antworten schrieb er naserümpfend nieder.
Schließlich wandte er sich dem fünften zu. Der stand abseits; die Abneigung seiner Gefährten war offenkundig. Keine fünf Fuß maß die Gestalt und wie sah sie aus! Die Brust eingefallen, der krumme Rücken unverhältnismäßig breit, die Hüfte dick wie bei einem Weib, die Gliedmaßen verbogen. Schieferfarbene Flecke waren über den fast nackten Leib verstreut. Noch ärger wirkte das zur Grimasse geratene, nasenlose Gesicht mit seinen pferdehaften Ohren. Zweifellos war all dies das Werk eines Unfalls. Die Götter hätten wohlgetan, ganze Arbeit zu leisten und das Scheusal aus dem Leben zu tilgen, urteilte Marcus.
Während Rabirius den Sklaven taxierte, schaute dieser ihn fast frech an. In seinen nachtfarbenen Augen glomm es kornblumenblau auf, doch als der Architekt nur neugierige Abwehr zeigte, erlosch das Leuchten wieder.
Rabirius pfiff durch die Zähne. Jetzt wandte er sich an den Wachoffizier. »Salve, Decurio! Nun sag mir bloß: Wer hat uns den da zugeschanzt? Sieht so ein rechter Arbeiter aus? Was denkt sich die Provinzialbehörde? Wieder mal nichts? Die Flecken da sind doch bedenklich.«
Der Angesprochene zog es vor, die Fragen zu ignorieren. Dort hörte ein Centurio zu... Um Geringeres wurden Legionäre an die Rheingrenze strafversetzt. Niemand wollte der nächste sein.
»Herr Baumeister, wir nennen den da den Verrückten. Sein Irrsinn ist aber gutmütig. Er behauptet, Salmo zu heißen und schiffbrüchig zu sein. Den Akten nach wurde er im Küstenstreifen bei Olisipo[1] aufgegriffen nach dem Erdbeben, von dem du sicher weißt. Wegen seines Irreredens wollte man ihn erst totschlagen. Aber wenn der Kerl mal bei Verstand ist, redet er gescheit. So was braucht man beim Bau, dachten sie. Darum...« Er zuckte die Achseln und fügte unschlüssig hinzu: »Krank ist er wohl nicht.«
»Wohl nicht«, wiederholte Rabirius ironisch. »Welch eine exakte Antwort! Hat der Sekretär Faustus so entschieden?« Er; wartete die Antwort nicht ab, die ohnehin nie kommen würde, und wandte sich dem Sklaven zu. »Du nennst dich Salmo?«
»Gewiß.« Die Stimme hatte einen aparten Klang, am Latein war wenig auszusetzen.
Corellius runzelte die Stirn. Roms Gesetze geboten, daß Sklaven jede Antwort mit »Herr« abschlossen. Wer es unterließ, schmeckte Hiebe. Rabirius überging den Verstoß.
»Kannst du einigermaßen lesen und schreiben?«
»Gewiß.«
»Beim capitolinischen Jupiter, das ist nicht selbstverständlich! Kräftig... hm. Kannst du noch etwas?«
Marcus beobachtete den Sklaven. Hatte sich dessen Augenfarbe wieder verändert? So etwas paßte zu Dämonen. Fort mit dem da in den Orkus!
»Rechnen.«
»Tatsächlich? Für die Lagerverwaltung sehr geeignet. Zu anderem taugt er nicht. Gembala kann bloß bis zehn zählen, der war seit je ein Notbehelf... Decurio, bring die vier übrigen zum Sklavenquartier. Der Oberaufseher soll sie den Kolonnen zuteilen und der Koch fortan fünf Portionen mehr ausgeben. Ab morgen arbeiten sie. Die Formalitäten erledigen wir dann.«
Der Decurio befahl den Sklaven, sich hinauszuscheren. Er verabschiedete sich so höflich, wie es einem Halbgebildeten möglich war, und folgte den vieren.
Weil es nicht anging, daß der Kerl unbewacht im Raum stand, winkte der hustende Corellius seinen Untergebenen neben den Sklaven. Marcus gehorchte ungern, ihn ekelte vor dem gefleckten Scheusal. Außerdem lagen auf dem Tisch noch ein paar belegte Brote. Ein Legionär hatte stets Hunger.
»Inwiefern >verrückt<, Salmo?« fragte Rabirius. »Mir scheint, du hast meine Fragen exakt und klug beantwortet, allerdings ungehörig.«
»Die Deinen verstehen mich manchmal nicht.«
Der Architekt musterte ihn nachdenklich. »Interessant. Ich glaube zu begreifen. Hochinteressant. Meines Erachtens kannst du recht ordentlich rechnen, vielleicht besser als... andere.«
Wie verabredet, schauten sich die beiden Soldaten an. Ganz Äliacum hätte gewußt, wem die Anspielung galt: Tribun Crusius und Sekretär Faustus.