»Ach, du großer Äskulap!« murmelte ich.
Der Kutscher Syriacus war vor kurzem mit einem Wagenzug aus dem Süden Hispaniens gekommen. Natürlich war es die Seuche. Ich hätte darauf gewettet. Daß er sie nach Taltesa eingeschleppt hatte, lag auf der Hand. Was jetzt? Die Nachbarn waren längst angesteckt...
»Wir werden uns wappnen, meine Liebe. Ich habe in den letzten Tagen eine Menge fiebersenkender Kräuter eingekauft. Es wäre gut, wenn du von heute an sowenig wie möglich aus dem Haus gingest. Soviel wir Ärzte wissen, bekommt man solche Krankheiten in der Nähe von anderen Kranken.«
Sie pustete eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn und lächelte nachsichtig. »Und du bist gefeit, Sabinus? Nein. Ob die Götter unseren Tod wollen, wird sich zeigen. Aber jetzt müssen wir wohl den anderen sagen, daß du ein Arzt bist.«
Ich schwieg. Syriacus konnte an einer schweren Erkältung leiden, schlimmerenfalls war es die Malaria. Doch ich glaubte
es nicht. Gerade üble Befürchtungen pflegten sich zu bewahrheiten. Dennoch: Die perfekte Tarnung beiseite legen? Uns beide hoffte ich über Wasser zu halten. Wir waren gut genährt und würden nicht leicht von einem Leiden niedergeworfen werden. Überdies hatte ich reichlich Absud von Eisenhutwurzeln daheim, um die rasenden Fieberpulse zu besänftigen aber da waren die Freunde, die Nachbarn, die Stadt! Der dreimal verfluchte Eid des Hippokrates! Entweder galt ein Schwur immer oder überhaupt nicht. Ich wußte genau, ich könnte keinem Menschen mehr in die Augen sehen, wenn nicht...
»Bedenke, es wird uns höchstwahrscheinlich das Leben kosten, sobald jemand zu grübeln beginnt, warum ein Arzt sein Können so lange verheimlicht hat. Das Kaiserliche Geheimbüro besitzt tausend Ohren.«
Cassia strich mir übers Gesicht, wie nur sie es konnte. »Syriacus hat zwei kleine Mädchen. Sie fiebern und brauchen Hilfe. Wenn sie durch dich leben wäre es dann nicht so, als hätten wir Töchter?«
Darauf gab es keine Antwort. Wie gern hätten wir Kinder gehabt! Doch die Götter mißgönnten uns ein volles Glück, und alle meine Elixiere blieben wirkungslos.
Hilfe für die Kranken... Das Eisenhutpräparat war bestimmt nichts, was man einem Unwissenden in die Hand drücken konnte. Ein Tropfen zuviel führte in den Tod, einer zuwenig bewirkte nichts. Man mußte auf einem Grat entlangwandem. »Ich werde zu ihm gehen, Cassia.« Ich seufzte. »Zuallererst aber muß ich dem finsteren Durgal Bescheid geben. Er ist sozusagen ein Kollege. Vor allem braucht Marcus Verus diese Information. Jubeln wird er nicht.«
Der Tribun nahm die böse, noch unbestätigte Neuigkeit gefaßt hin. Offenkundig hielt er sie für aufgebauscht. »Ein Soldat ist das Fieber gewöhnt«, knurrte er. »Es kommt, schüttelt und geht. Gelegentlich niest und schnaubt man, dann gibt sich das.
Lebensgefahr? Ach, ihr Zivilisten! Nächstens haltet ihr eine Sumpfmücke für gefährlicher als einen germanischen Auerochsen!«
Ich versuchte die Warnung zu unterstreichen. Mehr lag nicht in meiner Macht.
Dann zwang ich meine Abneigung nieder und ging zu Durgal. Der Fremde schien meine unfeine Neugier vergessen zu haben. Er empfing mich so wie beim erstenmaclass="underline" freundlich im Inhalt seiner Worte, aber empörend gleichgültig in ihrem Klang. Ich berichtete ihm, was ich wußte und vermutete.
Er lauschte mir aufmerksamer als Marcus Verus und bemerkte dann: »Gewißheit tut not. Mit meinem Diener werde ich dich zu diesem Syriacus begleiten. He, Roba! Meine Tasche! Vielleicht kann man dem Mann helfen.«
Weil er das Wort Geld nicht erwähnte, stieg er in meiner Achtung. Das konnte ich diesem Marmorgesicht freilich um keinen Preis sagen. »Wenn es dir recht ist, gehen wir sofort, Herr Durgal.«
5
Syriacus’ Behausung stand zwar auf sorgsam fundamentierten Kellern und zwischen stabil gemauerten Pfeilern, war in allem anderen jedoch ebenso notdürftig zusammengezimmert wie alle Hütten der Ärmeren. Vor geraumer Zeit hatte dort ein reicher Halbrömer begonnen, ein Mietshaus bauen zu lassen. Noch während des Baus verstrickte er sich in die Wirren nach Cäsars Tod. Sein Vermögen wurde konfisziert, die Arbeiten daraufhin eingestellt. Niemand kümmerte sich mehr um die Baustelle. Also griff Syriacus zu und richtete sich in der viertelfertigen Ruine ein.
Cassia war bereits an Ort und Stelle. Ich sah es besorgt, äußerte aber kein Wort des Vorwurfs. Sie hatte den Fiebernden den Schweiß abgewischt und flößte ihnen frischgekochte Kraftbrühe ein.
Daß die Situation bedrohlich war, erkannte ich auf den ersten Blick. Der Kutscher hielt sich noch einigermaßen, aber seine schmächtige, seit der Zwillingsgeburt kränkelnde Frau vermochte nichts mehr zuzusetzen. Sie erkannte uns nicht und phantasierte. In viele Decken gehüllt und dennoch zitternd, versuchten sich die beiden siebenjährigen Töchter, aneinander zu wärmen. Auch ihnen ging es sichtlich schlecht.
»Das ist Durgal, ein berühmter Arzt!« stellte ich meinen Begleiter vor.
Syriacus antwortete, doch drang nur ein unverständliches Krächzen aus seiner fieberheiseren Kehle. Wahrscheinlich sollte es ein Wunsch um Hilfe sein, und vermutlich bot er hohen Lohn an. Als Kranker mußte man sich so verhalten. Umsonst war im Römischen Imperium nur der Tod zu haben.
Obwohl ich daheim schon viel über den merkwürdigen Mann aus der Fremde erzählt hatte, war ich doch neugierig, wie Cassia reagieren würde, wenn er direkt vor ihr stand. Cassia verneigte sich sittsam und forschte in den gleichgültigen Zügen des anderen. Was Durgal nicht sehen konnte, erkannte ich: Sie war tief betroffen.
»Meine Gattin.«
»Ich bin geehrt«, sagte er monoton. »Verzeih, Dame Cassia, aber die Kranken gehen vor. Roba, frisches Wasser!«
Der Sklave ergriff einen Bronzeeimer und eilte davon. Es würde eine Weile dauern, bis er wiederkehrte. Der nächste Brunnen war ein gutes Stück Wegs entfernt.
Unterdessen hätte sich der Schreiber Rufus flugs verabschiedet, weil ja nun die Behandlung beginnen mußte; der Arzt
Sabinus Julius brachte das nicht über sich. Er war zu wißbegierig.
Durgal näherte sich Syriacus und betrachtete ihn aufmerksam, ohne zu erklären, wonach er suchte. Ich nahm an, er inspizierte die Augen. Bereits meine Lehrer in Pergamon hatten gesagt, daß man an ihnen genau erkennen könne, wie ernst es sei. Der Heilkundige legte dem Kutscher die Hand auf die Stirn. »Hebe bitte deinen linken Arm, mein Freund!« befahl er dann.
Verwundert gehorchte der Hausherr. Seine schweißnassen Finger zitterten.
Ah! dachte ich. Er glaubt, es könnte die Pest sein! Klug, aber die ist es nicht.
Durgal betastete kurz die Achselhöhle. »Ich verstehe. So, jetzt die anderen Familienmitglieder, damit ich sicher bin.«
Das Geschehen wiederholte sich dreimal.
»Den Göttern sei Dank, glücklicherweise haben wir nicht die Pest im Lande«, warf ich ein, nachdem Durgal die Zwillinge mit einer Sorgfalt wieder in ihre Decken gehüllt hatte, die mich verwunderte. »Das hätte sogar ich dir verraten können.«
»Es war mir bekannt, Herr Sekretär. Aber unter dem Arm kann man leichter und viel genauer spüren, wie schlimm das Fieber ist«, lautete seine Antwort. »Im übrigen habe ich das Gefühl, als ob du selbst einiges von der Heilkunde verstehst.«
Vor dem Arzt konnte ich mich nicht verstecken. »Ein wenig.«
»Wie ich die Dinge ansehe, wird Taltesa es nötig haben«, lautete sein lakonischer Kommentar.
Inzwischen war der Diener zurückgekommen und stellte den gefüllten Eimer ab. Demonstrativ wusch sich Durgal die Hände mit ägyptischer Natronseife, träufelte sogar aus einem winzigen Fläschchen ein intensiv duftendes Parfüm darauf, bis nichts mehr daran erinnerte, daß er soeben am Lager eines Todkranken gestanden hatte.