Weshalb zögerte ich? Warten, bis die Leichenschändung vollzogen war? War es Angst? Nein, Furcht konnte ich niederringen, sonst wäre ich Cäsars treuer Leibarzt geblieben.
Nicht ohne Mühe erhob ich mich und trat vor. Ein Zweig knackte unter meinem Fuß. Die Überraschten fuhren herum.
»Was tut ihr hier?«
Einer von den vieren hob die Hand. Er stand zu weit entfernt, um mir schaden zu können, trotzdem blieb ich stehen und faßte nach meinem Dolch. Einen Atemzug lang rührte sich niemand. Dann zischte es leise, wie wenn Wasser in helle Glut spritzt. Mit einemmal umgab mich ein unbeschreiblich süßer, fremder Duft: Tausend unbekannte, berauschende Blüten öffneten ihre Kelche nur für mich: weiße, rosa, rote, dunkel purpurne...
7
Ein scharfer Geruch kroch mir in den Kopf und ließ mich niesen. Ich schlug die Augen auf Bei Jupiters Donner und Äskulaps Schlangenstab, wo befand ich mich?
Ich lag auf weichen, buntbezogenen Polstern in einem großen, fensterlosen, ungewiß erleuchteten Raum. Die verblüffend glatt verputzten Wände waren mit schreienden Farben bemalt. Fieberte ich?
»Du bist wach.«
Die Stimme kannte ich! Ich wandte den Kopf. Durgal, der Grab Schänder!
Ich sprang auf. »Was willst du von mir, Verbrecher?«
Seine Miene blieb unbewegt. »Du magst mich einen Verbrecher schimpfen«, sprach er gleichmütig, »aber du wirst hören müssen, was ich dir sage. Es wäre auch redlicher von dir, mich anzuhören, bevor du mich verurteilst.«
»Bin ich etwa dein Gefangener?«
»Über deine Zukunft werden wir zuletzt sprechen. Beantworte mir offen zwei Fragen. Danach werde ich dir ebenso freimütig erzählen, weshalb man dich hierherbrachte. Nun, Heilkundiger: Ist nicht die rettende Arznei oft gallebitter? Und muß nicht der Arzt manchmal lügen, um zu helfen?«
Ich kniff die Augen zusammen. Schwindlig war mir wie nach einem großen Schreck. Was sollten diese merkwürdigen Fragen? Vorsichtig erwiderte ich: »Das stimmt schon.«
»Es freut mich, daß wir gleicher Ansicht sind; denn nichts anderes taten und tun wir«, lautete seine Antwort. »Höre nun, was mir meine Brüder für dich auftrugen. Wir sind nämlich...«
»Meinst du deine Diener, Roba und die anderen? Ich wußte doch gleich...«
Er schüttelte den Kopf. »Laß mich der Reihe nach sprechen. Es ist ohnehin schwierig genug. Willst du dich derweil nicht
hinsetzen? Da drüben vielleicht? Möchtest du etwas zu essen, etwas zu trinken?« Er beantwortete meinen unausgesprochenen Einwand: »Unser Saft enthält weder Gift noch Schlafpulver.«
»Was hast du mir zu sagen? Mach’s rasch ab!«
Durgal erhob sich und begann auf und ab zu gehen. »Du befindest dich in unserer Hand, Arzt. Wir könnten dich spurlos verschwinden lassen. Während der Seuche würde kein Hahn nach dir krähen. Du weißt das selbst. Aber wir gehorchen dem Ethos. Damit du meine Worte ganz verstehst, muß ich erklären, wer wir sind. Ich heiße tatsächlich Durgal, aber ich stamme nicht aus Parthien. Ich stamme überhaupt nicht von deiner Welt.
Erinnere dich, am Nachthimmel leuchten zahllose Sterne. Hast du jemals darüber nachgedacht, was die Sterne in Wirklichkeit sind? Nun, es sind ebensolche Sonnen wie die eure, wenn auch unendlich weit entfernt. Nur darum scheinen sie dir winzig zu sein. Bei vielen Sternen gibt es Welten...«
Ich griff mir an den schmerzenden Kopf. War Durgal wahnsinnig geworden? »Laß doch diesen Unsinn! Was willst du von mir? Rede!«
Er zauderte lange. »Wie ihr von Küste zu Küste segelt, reisen meine Brüder und ich von Stern zu Stern. Wir tun es aus dem gleichen Grund: Können wir auf einem von ihnen leben? Auf solch einer Reise kamen wir her.«
Ein Gott? Ein Gott. Kalt kroch es mir den Rücken herauf. Hatte ich in Durgals Nähe nicht gleich etwas Abartiges gespürt? Ich müßte ihm jetzt die Füße küssen, aber mir versagten die Kräfte. Ich hatte ein höheres Wesen beleidigt. Die Strafe mußte furchtbar sein. »Was wirst du mit mir tun?« fragte ich heiser.
»Ich sagte schon, zu deiner Zukunft kommen wir zuletzt«, versetzte er. »Unterwegs fanden wir eine Welt, in der wir nicht zu leben vermögen... aber ihr könntet es! Verstehst du? Es gibt
dort Pflanzen und Tiere, aber keine Menschen. Zwischen den Sternen gibt es zuwenig bewohnte Welten, das ist nun einmal so; aber wir möchten Raststätten haben, Schüler, Freunde. Ich nenne einen zweiten Grund, obwohl ich zweifle, daß du ihn ermessen kannst. In ferner Zukunft wird es keine Kriege, keine Feindschaften, keine Bedrückungen und keine Armut mehr geben. Der Weg zu diesem glücklichen Zeitalter ist aber lang und dornig. Manche straucheln und gehen zugrunde. Eventuell kann euch unsere Hilfe vor Schlingen, Fallgruben und Umwegen bewahren. Vielleicht findet ihr sogar Abkürzungen, von denen wir nichts ahnen... Aber ich sehe, du verstehst mich nicht. Wie solltest du auch! Es traf sich gut, daß unser Heimweg wieder an jener Welt vorbeiführt; das vereinfachte vieles. Wie dem auch sei, wir berieten und entschieden, Menschen dorthin zu bringen. Kolonisten. Euch.«
»Wohin?« stammelte ich.
»Ich möchte dir den Stern gern zeigen, aber er ist so unglaublich weit entfernt, daß du ihn von hier aus nicht einmal zu sehen vermagst. Ihr Menschen würdet noch in hundert Generationen nicht dorthin gelangen. Darum helfen wir euch ja, denn jene Welt ist schön. Woher die Kolonisten nehmen? Keiner von euch ginge freiwillig. Die Angst wäre viel zu groß. Oder etwa nicht? Jemand zu betrügen oder zu zwingen, das erschiene uns unmoralisch. Bei euch regieren noch Gewalt und Betrug, leider. Wir sind über diese Epoche längst hinaus. Darum suchten wir eine abgelegene Provinz des Römischen Imperiums, in der eine todbringende Seuche wütete. Selbstverständlich eignete sich nicht jede Krankheit die Pest beispielsweise nicht. Du wirst auch einsehen, wie wichtig es war, weitab von Rom zu sein. Euer Kaiserliches Geheimbüro ist neugierig. Es hätte uns behindert.«
Wer begriff das besser als ich?
»Der für alles verantwortliche Arzt bin ich. Ich sah, daß der Heiße Tod nach Nordhispanien kam. Für unsere Mission war das der rechte Ort. Was wir taten, hast du möglicherweise bereits erraten: Wir gaben jedem, der nach eurem medizinischen Wissen ohnehin gestorben wäre, einen besonderen Trank. Das Elixier ließ ihn in einen Scheintod fallen. Man bestattete ihn; nachts gruben wir ihn wieder aus und schafften ihn hierher. Verstehst du?«
Es schien wie ein böses Possenspiel abzulaufen. »Dann ist das der Keller deines Hauses?«
»Nein.« Durgal berührte einen Farbfleck, und wie eine riesige Schiebetür glitt die ganze Wand raschelnd beiseite. Dahinter gähnte ein schwarzer Abgrund voller Lichtpunkte wie ferne Fackeln oder...
Plötzlich begriff ich. »Nein!« Meine Knie gaben nach, ich sank auf das Lager nieder.
»Du hast also verstanden. Ich war dir die Wahrheit schuldig. Befürchte nichts, dir droht keine Gefahr. Wir zwingen und foltern und töten niemand. Sobald die Kolonisten auf jenem Stern sind, werden wir davonfliegen und nie wiederkommen, jedenfalls auf lange, lange Zeit nicht. Wir suchen weiter, denn der Himmel ist groß. Schau nur!«
Unzählbar viele Sterne füllten den schwarzen Abgrund. Trotz meiner hervorragenden Augen, und obwohl ich besser rechnen konnte als die meisten Bewohner Taltesas, war es mir unmöglich, die Sterne zu zählen. Als erstes Sternbild erkannte ich den Orion. Wie hell und wie ruhig er leuchtete!
»Sprechen wir von dir, Sabinus Julius!« sagte Durgal. »Du hast unsere Arbeit entdeckt und könntest sie verraten. Du wirst einsehen, daß wir dich nicht davongehen lassen konnten auf dem Friedhof in Taltesa. Trotzdem wird dir kein Leid zugefügt werden. Im Gegenteiclass="underline" Wir lassen dir selbst die Wahl, was geschehen soll.«
Ich erbleichte: Er kannte meinen richtigen Namen! Was wußte er noch von mir?
»Die erste Möglichkeit: Du bleibst in unserem Gewahrsam, bis die Zahl der Kolonisten voll ist ein paar Wochen noch. Vor der Abreise bringe ich dich wieder nach Taltesa oder sonstwohin, ungekränkt und unverletzt. Du kannst Gold und Silber als Schmerzensgeld bekommen, wenn dir daran liegt. Ihr Menschen strebt doch danach...« Etwas wie ein Lächeln erschien auf dem starren Gesicht, aber das war wohl Täuschung.