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Erst nach langem Zaudern fanden sich die beiden dazu bereit. Den Anstoß gab letztlich, daß sie vor den anderen nicht als furchtsam erscheinen wollten; jene aber folgten dem ehemaligen Centurio ohne Zögern.

Das Resultat übertraf Grathas keimende Hoffnung. Keine Legionärsrüstung erwies sich als unbeschädigt. Bronzesplitter hatten die Brustpanzer aufgefetzt, ein Schild wies ein kieselsteingroßes Loch auf, ein Helm war gespalten... Das sprach überdeutlich.

»Und nun stell dir vor, Feldkatapulte schleudern solche Töpfe in die feindlichen Reihen größere vielleicht... Ein Onager katapultiert fünfhundert Schritt weit.« Der Alte hob ein abgesplittertes Schildstück auf.

Die Auswirkungen hatte sich der Etruskerführer soeben selbst ausgemalt. Er nickte, ungläubiges Hoffen im Gesicht.

»Schön, daß du mich nicht mehr für einen kindischen Greis hältst«, meinte Tolumnius mit beißender Freundlichkeit. Den Blickwechsel der beiden hatte er gesehen, verstanden und sich darüber geärgert. »Die Legionäre haben Mut, aber dieser Waffe werden sie erliegen. Zu Recht wird man uns Söhne des Feuers nennen.«

22. Augustus 832 a. u. c.

Während sie zu dritt dahinschlenderten, einem selten benutzten Graspfad am Fuß der Aqua Serino folgend, genoß Servianus allem Anschein nach die Sonne. Er blickte links hinüber auf die Felder, auf die Ulmenzeilen mit dem hoch-gerankten Wein, auf Büsche von Zentifolien und fragte sich, wie lange er seinen Aufenthalt ausdehnen sollte.

Langweilig, wie leicht sich alles nach dem bewährten Rezept entwickelte. Die arglose Tillia fast zufällig zu treffen und zu einem Spaziergang einzuladen, nun schön; jedes schüchterne Mädchen aus der Provinz würde in solch einem Fall den Onkel-Adoptivvater als Begleiter mitbringen. Man war ja nicht im sittenlosen Rom. Eben um diesen Mann ging es ihm letztlich. Nicht daß er Tillias Liebreiz ignorierte; im Zweifel aber hätte er auf sie zugunsten eines Kontakts mit dem Alten verzichtet. Oder nicht? Er spürte Unsicherheit.

Der alte Mann vermochte in manchem mehr als er: ein guter Grund, ihm zu mißtrauen. Gestern hatte er versucht, dessen harmlosem Spaziergang zu folgen. Bis zur Aqua Serino kam er unbemerkt nach; dann aber bemerkte er Aufpasser. Sich ihnen gegenüber zu verraten, war es entschieden zu früh.

Was trieb der ehemalige Centurio zwischen den Vorbergen des Vesuvs? Sicherlich nichts Legales. Er bewirtschaftete kein eigenes Bauerngut, sondern hatte seine Bodenabfindung verpachtet und lebte vom Ertrag. Für zwei Personen war das bequem, auch zeugte es von Verstand. Dennoch: Was wollte Tolumnius da oben? Traf er sich mit Verschwörern? Befand sich das langgesuchte Hauptquartier der Söhne des Feuers etwa im weglosen Bergwald? Schon Spartacus hatte sich dort versteckt und verschanzt. Doch es war unzweckmäßig, die Basis so weitab vom Brennpunkt Etrurien zu errichten.

Das Gespräch erreichte inzwischen das unvermeidliche Thema Rom. Wie wäre es in der Provinz möglich gewesen, nicht von der Hauptstadt zu reden; vom bestaunten Juwel des Imperiums! Die Sehnsucht in Tillias dunklen Augen verriet ihre geheimen Träume, die die Träume jedes jungen Menschen waren. Hätte man Veteranenkolonien noch deutlicher bevorzugt Rom stand über allem wie der Vesuv über Südcampanien. Stundenlang konnte man von den Wundem der Residenz reden, ohne sich zu wiederholen.

»... und ich muß sie verlassen«, endete Servianus seufzend.

»Wie das?«

»Ei, Mädchen! Was glaubst du, weshalb ich hier bin?«

»Wie alle Reichen: zum Vergnügen, Herr Servianus.«

»Laß bitte das >Herr< weg, ich bin ein Freigelassener. Und reich? Wollte Jupiter, ich wär’s. Nein, das ist eine traurige Geschichte. Ich benutze meine letzte Dienstreise, um nebenher nach einem Fleck auszuschauen, wo ich in Beschaulichkeit den Rest meines Lebens verbringen kann.« Ein müdes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, dann drehte er den Kopf beiseite.

Tillia lachte. »Du bist doch nicht alt!« Sie gestand sich gern ein: Dieser Mensch... In nichts glich er den jungen Leuten ihrer Bekanntschaft. Er war eben ein Mann von Welt jene nur unreife Kleinstadtburschen. Irgend etwas fehlte ihnen.

Servianus paßte ohne Schwierigkeiten ins Amtsgewand eines Duumvirs, das Format hatte er. War er jung oder alt? Darüber mochte man streiten. Seine wettergebräunten Züge entbehrten jeglichen Zeichens von Alter. Dreißig? Vierzig? Jünger gewiß nicht. Auf jeden Fall stand ihm sein Lachen gut, es erhellte sein Gesicht merklich. Tillia dachte, dieser Mann müsse selten Gelegenheit gefunden haben, sich aufrichtig zu freuen, und ahnte nicht, wie sehr sie damit untertrieb.

»Bist du vielleicht kränklich?« forschte sie.

Unwillkürlich machte Tolumnius eine abwehrende Geste. Er vernahm das Gespräch mit Verdruß. Viel zu sehr wandte sich die Adoptivtochter einer Welt zu, die er aus tiefstem Herzen ablehnte. Sollte er geradezu einschreiten? Er zauderte.

»Meines Wissens nicht. Die Verhältnisse liegen recht kompliziert«, erläuterte Servianus zögernd. »Ihr kennt Rom wohl zuwenig... Aber einen Versuch ist’s allemal wert. Ich bin vorläufig noch Sekretär beim Senat.«

Betroffen verhielt das Mädchen den Schritt und blickte den Blonden scheu an. »Welch ein hohes Amt! Verzeih, wenn ich irgendwie...«

»Hoch? Meinesgleichen gibt es hundert. Vom Lohn kann man auskömmlich leben, das stimmt; aber reich wurde unsereins dabei nie. Doch solche Stellen werden nun mal nicht auf Lebenszeit vergeben...«

Tolumnius schwieg verdrossen. Einen zweiten Spaziergang würde er untersagen. Daß sich Tillia nicht schämte, einen leichtfertigen Römer anzuhimmeln! Einen Unterdrücker. Er hatte freilich versäumt, ihr die Zusammenhänge beizubringen; weshalb eigentlich hatte er das für unnötig gehalten? Andererseits der Römer nannte sich Senatssekretär... Ergab sich unversehens eine Gelegenheit, Neues aus dem Lager der Feinde zu erfahren? Daß er ein Sohn des Feuers war, konnte sein Gegenüber keinesfalls ahnen.

»Welcher deiner Freunde mißfiel dem Kaiser?« fragte er knapp.

»Woher weißt du das?« Die Verblüffung war nur zum geringeren Teil gespielt. Soviel Weitsicht hatte Servianus dem Alten nicht zugetraut. Insgeheim ordnete er ihn hoch in der Hierarchie der Rebellen ein. Selten fanden sich in deren Reihen Menschen, die hinter das Nächstliegende zu blicken verstanden. Das konnte bedeuten... Aber er scheute übereilte Schlüsse.

Da seine Gegenfrage unbeantwortet blieb, erzählte der Spion des langen und breiten, was ihm angeblich zugestoßen war. »Der Mann, der mir mein Amt vermittelte, hing dem Exkaiser Vitellius an und wurde nach dessen Sturz wie viele seinesgleichen aus Italien verbannt. Seit neuestem entfernen die Ressortleiter sämtliche Leute, die nicht seit alters für das Flavische Kaiserhaus einstanden, aus ihren Positionen. Ihrer Ansicht zufolge gehöre ich zu den anderen. Es ist besser, freiwillig zu

gehen, bevor man einen Prozeß zusammenkonstruiert und mich...« Er schnippte mit den Fingern.

»Reizende Zustände!« Tolumnius lächelte sarkastisch. »Was für eine Zeit, daß man von heute auf morgen um nichts aus dem Amt gejagt wird? Wie nennst du das, Tillia?«

»Sieh es objektiv!« wandte Servianus ein. »Der Kaiser muß sich unter allen Umständen auf seinen Beamtenapparat verlassen können. Unsichere Leute sind allemal gefährlich. Überdies müßtest du deine Tochter zugleich fragen, was sie von einer Zeit hält, wo selbst ein armer Römer unentgeltlich Speisung erhält wenig und unregelmäßig, aber immerhin!«

»Tillia ist nicht mein Kind. Ihr Vater Aulus Tillius starb in Germanien in meinen Armen und vertraute mir ihr Wohl an.«

Das hatte Servianus längst anderweitig erfahren, er zeigte aber Überraschung und deutete eine entschuldigende Verbeugung an. Auch wollte er endlich zu seinem Thema, der Rebellion, kommen. Nur wie? »Wenn du glaubst, ich haßte die anderen warum, da ich sie verstehe? Übrigens ist meine Lage keineswegs hoffnungslos. Ich könnte sogar in Rom bleiben und Schreibarbeiten annehmen. Doch Leute wie ich sind Wechselgeld für die Mächtigen; und wer weiß schon, wie tief das Mißtrauen meines Nachfolgers verwurzelt ist!