Noch einmal blickte der Römer ringsum. »Dein Name ist wohl etruskischer Abkunft. Dann kennst du vielleicht den Satz: >Ein treffendes Beispiel spricht klarer als eine Stunde Gerede.< Beginnen wir ein Spiel; nehmen wir einmal an, du gehörtest zu einer Geheimorganisation, die das Römische Imperium zugunsten eines etruskischen stürzen möchte. Unbesorgt, ich glaube das keinesfalls aber unterstellt, es wäre so...«
Tolumnius hatte zweimal die Farbe gewechselt. Er starrte zu Boden. »Ich will es versuchen.«
»Danke.« Sein Begleiter lächelte erleichtert. »Sicherlich gehören diesem Ring viele Leute an, erfahrungsgemäß in der Mehrzahl Jünglinge. Höchstwahrscheinlich existiert ein ausgeklügelter Plan, etliche Garnisonen zu überrumpeln. Ich zweifle nicht an seinem Gelingen; schon immer hatten Rebellen hervorragende Taktiker in ihren Reihen...«
»... und der Aufstand wäre siegreich!«
Mit welcher Begeisterung der Alte das ausrief! Betont verwundert schüttelte Servianus den Kopf. »Keineswegs. Freilich, Rom wäre in einer üblen Situation. In Italien stehen praktisch keine Feldtruppen.«
»Nun eben! Der Mißmut ist allgemein. Löhne, Steuern und Preise ruinieren die kleinen Leute. Die Schwäche des Kaisertums wird Tausende dem Aufstand zulenken.«
»Unruhe macht sich breit«, gab Servianus zu. Er kannte die Geheimberichte. Warum bestreiten, was offensichtlich war? »Desto trauriger für die Unbedachten, die sich euch anschlössen. Das sinnlose Blutbad würde unverantwortlich groß. Du zweifelst? Um ganz zu siegen, bedarf es eines tiefverwurzelten,
breitgestützten Aufstands. Sag bitte, wer soll rebellieren? Die Sklaven? Kaum einer wird mittun. Ein Etruskisches Imperium hilft ihnen nicht. Nur sie aber vermöchten die erforderlichen Heere zu bilden. Denke an Spartacus; dort oben auf dem Vesuv war seinerzeit sein Quartier. Wolltet ihr aber wie er damals den Sklaven die Freiheit anbieten, brächtet ihr die Reichen gegen euch auf. Römische oder andere Eltern wenn’s an den Besitz geht, sind die Kinder einig. Also, habt hättet ihr Verbündete?«
Tolumnius schluckte. So hatte er die Sachlage noch nie betrachtet. Zwar dachten sie alle an den Weg zum Sieg...
»Nun gut, ihr habt vorerst gesiegt! Wie wollt ihr die eroberten Regionen regieren? Nach welchen Prinzipien, welchem Programm? Wie Zufriedenheit für die Mehrheit schaffen? Wenn ihr das nicht verkünden könnt, ist auch der glänzendste Sieg wertlos. Die Sklaven müßt ihr abweisen, die Freien...«
Die ratlose Miene des Veteranen veranlaßte Servianus, die vage Hoffnung zu begraben. Ein Aufstand wie die vielen zuvor. Er würde ihn verraten und abwürgen.
»Die Freien also. Werden sich die Provinzen anschließen? Sie dürften sich hüten. Ihre Steuern hätten sie so oder so zu zahlen, nur daß eben andere sie verbrauchten. Die Handwerker, die Kaufleute, die Kapitalgesellschaften? Sie profitieren von einem intakten Imperium mehr als vom einträglichsten Bürgerkrieg, egal welcher Motivation er sei... Summa summarum: Anfangserfolge, aber kein Sieg.«
Langsam fand der Etrusker zu sich. Daß die Söhne des Feuers diesen Aspekt ungenügend durchdacht hatten, stand fest. Schmach und Schande! Der Römer würde das nie erfahren. Aber so dumm, wie dieser Kerl ihn wohl einschätzte, war er nicht.
»Eine sofortige allgemeine Erhebung schließe auch ich aus. Man hat zuviel Angst. Falls hingegen auch die herangeführten
Legionen in der ersten Schlacht geschlagen werden... beispielsweise von neuartigen Waffen...« Im selben Moment schimpfte er sich einen Tölpel, aber zu spät: Das Wort war ausgesprochen.
Der Römer winkte einigen Frauen auf einem Feld zu, er schien nichts bemerkt zu haben. In Wahrheit traf ihn das Wort, wie ein Pfeil. Dahinter steckte mehr, steckte womöglich ein Geheimnis. Geheimnisse interessierten ihn schon von Berufs wegen. Nachstoßen? Totale Narrheit. Ein Blick lehrte, wie hellwach der Alte war.
Taub stellen, weiterreden! Außerdem wußte sich Servianus in der besseren Position. »Erinnere dich, Tolumnius! Die Sklaven unter Spartacus siegten drei Jahre lang ununterbrochen, sie besaßen den größtmöglichen Zustrom und unterlagen letztlich doch. Warum wohl?«
»Warum?« wiederholte der Centurio in ehrlicher Unwissenheit.
»Die Sklaven wußten ganz genau, wogegen sie fochten; desto zerstrittener waren sie, wofür. Wofür wolltet ihr kämpfen?«
»Daß Roms erpresserischer Druck von den nichtrömi... Was soll das, Servianus?! Willst du mich zu verfänglichen Worten verleiten?«
»Nicht doch«, antwortete dieser sanft. »Wir hatten uns geeinigt, daß du den aufständischen Etrusker spielst. Ich weiß Wahrheit und Spiel voneinander zu scheiden. Wofür also ziehen diese... ich meine: du und deine Freunde in den Krieg?«
»Um die verdammten Steuerpächter zu verjagen, das Latifundienunwesen abzuschaffen, die Übermacht der römischen Bankiers...« Der alte Mann biß sich auf die Lippen. Er hätte mehr nennen können; in der Tat, sie stritten gegen eine Menge Dinge. Doch wofür? »In deinen Worten liegt Wahrheit«, murmelte er.
Eine lange Pause entstand.
Der Römer beobachtete ihn scharf. Keinen Fußbreit weiter durfte er gehen. Erkannte der Verschwörer im letzten Augenblick. ..?
»Demnach denkst du«, fuhr Tolumnius stockend fort, »daß jegliche Rebellion gegen das Imperium fruchtlos ist?«
Servianus lächelte rätselhaft. »So weit gehe ich denn doch nicht. Bietet eine Alternative, die der Mehrheit des Volkes ein besseres Los als das gegenwärtige zuteilt. Was weiß ich, welche! Spartacus’ Versuch war gut begonnen, aber weder vollkommen noch zu Ende gedacht. Sie waren ja auch bloß Gladiatoren wenn man wilclass="underline" Soldaten... nein: noch weniger, Preisfechter. Es stimmt, Unruhe herrscht. Der Boden wäre bereitet...«
Er wurde unversehens ernst. »Bei meiner Arbeit fand ich immer dasselbe: perfekte taktische Planungen, doch betreffs dessen, was danach kam, Phrasen oder Gedankenlosigkeit. Zwar muß ich den Mut und die Aufrichtigkeit dieser Menschen achten und doch war alles umsonst. Weil jeder Umsturz Meere von Blut kostet, ohne daß etwas Besseres an die Stelle des Bestehenden gesetzt würde, arbeite ich dagegen, mit aller Kraft.«
Seit einiger Zeit fragte sich Tolumnius mit wachsendem Unbehagen, weshalb der Römer dies alles vor ihm ausbreitete. Die einzig mögliche Antwort glaubte er nicht. Zufall? Gewiß nicht. Dann aber... Er raffte sich auf. »Und wenn eine Bewegung ein echtes Programm hätte... ?«
Servianus schwieg.
Der Alte blieb stehen, hob den Kopf und faßte den prüfenden Blick der kalten, graugrünen Augen. Da begriff er. »Was bist du nur für ein Mensch?«
23. Augustus 832 a. u. c.
Der vereinbarte Platz war ein verfallendes campanisches Heiligtum oberhalb der Straße. Wind und Wetter nagten am Ziegelbau, umgestürzt und zerschlagen lagen die Götterstatuen am Boden.
Mit der Konsolidierung des Imperiums war die anfangs weitherzige Religionstoleranz unmerklich auf die capitolinisehen Götter und auf ein paar orientalische Modekulte begrenzt worden. Zwar wurde niemand in den Kerker geworfen, wenn er oskischen Gottheiten anhing; doch die höchsten Posten blieben ihm verschlossen. Bei den Banken galt er nicht mehr als großkreditwürdig, die Prätoren und die Steuereinnehmer behandelten ihn schlechter... War es ein Wunder, daß zumal Karriere suchende zu Jupiter und den vergöttlichten Cäsaren beteten? Wer nichts dergleichen erstrebte, der beharrte, hatte aber kaum das Geld, um die morschen Tempel zu erhalten.
Die Armen hingen in der Regel Untergrundgottheiten an. Neros Christenverfolgung hatte gerade dem Kaiserlichen Geheimbüro gezeigt, woher jene Religion ihre Mitglieder bezog und wie tief dort die Wurzeln reichten; auf das dringende Ersuchen des Büros hin war kein zweites Mal gegen die Armut losgeschlagen worden. Unüberbrückbare Gräben wären in der Metropole aufgebrochen.