»Wieso?«
»Ich meine... daß ich noch einmal Zeit vergeuden muß.« Er sagte es etwas zu hastig und blickte ringsum. »Hast du sonst noch deinen Mund aufzutun?«
»Nein.«
»Ist besser so.« Grußlos wendete der Präfekt das Tier, trieb es an und sprengte in leichtem Galopp nach Neapolis zurück. Eine Staubwolke verdeckte ihn bald.
Servianus krauste die Brauen. Nanu? Das Verhalten des Offiziers weckte Verdacht. Da glomm nicht bloß die übliche Feindseligkeit zum SOC, da schwelte mehr. Was lief da an ihm vorbei? Betraf es die Söhne des Feuers? Warum hatte Sulpicius Verus zum Geschehen in Präneste nur Stichpunkte und nicht wie im Fall des Cilnius Länas eine Protokollabschrift geschickt? Fünf campanische Adressen und die von Tolumnius fehlte, obwohl man ihn gerade auf die Spur der Leute dieses Namens gesetzt hatte! Das konnte Zufall sein, ebensogut aber auch etwas ganz anderes. Es gab noch einen Anlaß. Heute früh beim Amtssekretär der Duumvim, als er sich ausgepriesene Grundstücke bei Acerrä nennen ließ, hatte er gemerkt, daß dort jemand vorgesprochen hatte. Der Beamte, der seine Abneigung gegenüber dem SOC nicht verhehlte, deutete an, wonach jener gefragt hatte. Offensichtlich nicht nach Tolumnius, sondern nach ihm! Das stützte zwar die Legende des halbverbannten Senatsschreibers, hieß aber auch: Überwachung, Mißtrauen, Feindseligkeit.
Wollte sein Chef dasselbe Manöver veranstalten wie damals er gegen Senator Vescillus? Ihn in eine Falle locken und hinterher als Verräter präsentieren?
Wenn das zutraf, befanden sie sich alle in Gefahr: er, Tolumnius und sogar Tillia.
Besorgt lenkte er seine Schritte nordwärts.
24. Augustus 832 a. u. c.
Als die Sonne im Osten über die hirpinischen Berge stieg, standen sechs Männer, ein gutes Dutzend Maultiere und drei Pferde auf der Lichtung am Zugang zum Felsenlabyrinth. Gratha mochte keine Zeit verschwenden. In Pompeji hatte er die bestellten Waffen abgeholt und unter dem Schutz zweier Bundesmitglieder aus der Stadt vorausgeschickt. Um den bedeutsameren Transport des feuerspeienden schwarzen Pulvers wollte er sich mit ungeteilter Aufmerksamkeit kümmern können.
»Beginnen wir mit dem Aufladen, Tolumnius.«
Der Alte war nicht bei der Sache. Servianus’ Erläuterungen rumorten in seinem Kopf. Zwei durchgrübelte Nächte hatten ihn kaum weiser gemacht. Standen die Söhne des Feuers bereits auf verlorenem Posten? In einem hatte der Senatssekretär zweifellos recht: Niemand wünschte, daß zahlreiche Unfreie mittaten; es galt ja nur, Rom zu stürzen. Das siegende Etrurien würde wie einst auf Sklaverei bauen. Weshalb sollten die Unterworfenen angesichts dessen für die Rebellion eintreten? Sie aber bildeten die Majorität.
Letzte Nacht war eine Frage dazugekommen. Warum gerade Osker und Etrusker? Alte Alliierte, nun wohl. Warfen die letzten der im Bundesgenossenkrieg massakrierten Samniten etwa in anderer Lage? Allen Armen ging es so. Pro forma waren Reich und Arm als römische Bürger gleich. In der Praxis sah vieles anders aus. Was hatten die Söhne des Feuers unternommen, um diese Mitgekränkten zu gewinnen? Nichts. Ein böses Zeichen.
»Tolumnius, du träumst noch!«
»Wie? Ja... Ach so, ich habe doch die ganze Nacht in der Höhle gemischt, bin noch hundemüde. Fangen wir an!«
Die einen prüften den Zustand der Packsättel, die anderen verschwanden im Stollen. Sorgenvoll bedachte Gratha den Heimweg. Zwar konnte man seine gut gefälschten Legitimationsurkunden auch so interpretieren, daß er Lasttiere und Knechte mit sich führte. Wie aber, wenn ein Streifenführer unter dem Vorwand der Suche nach flüchtigen Sklaven alles Gepäck zu visitieren begehrte? Sein Kredit war für den Waffenkauf aufgebraucht worden; was blieb, reichte eben für die Reise nach Präneste, nicht für Schmiergelder. Eine Durchsuchung aber...Das schwarze Pulver und die vorbereiteten Bronzefäßchen mit ihren Lunten mußten einfach Verdacht wecken. Von da bis zur vorläufigen Festnahme war es ein verdammt kurzer Schritt... und in jedem Amt lag die außerordentlich präzise Personenbeschreibung des gesuchten Mörders Gratha.
Wenn auch! Das Resultat lohnte höchsten Einsatz. Dieses Pulver würde dem Aufstand zum Sieg verhelfen.
Der erste Sack wurde aus der Kluft herbeigeschleppt, man hob ihn auf ein Maul tief. Noch verzurrten zwei Männer die Last, als ein Bursche den Pfad von der Aqua Serino herauf gerannt kam. »Legionäre auf dem Weg durch die Obstplan tage!«
Nervöse Finger nestelten bereits an den Schwertern.
»Noch kein Grund zur Sorge«, erwiderte Gratha bleich. »Geh zurück und beobachte, ob man über den Aquädukt hinweg vordringt. Womöglich ist es bloß eine Übung. Du spähst, ob der Weg nach Herculaneum frei ist!« bedeutete er einem zweiten Halbwüchsigen.
Die beiden verschwanden im Unterholz.
»In dem Gestrüpp findet uns niemand!« meinte ein Älterer.
Das beruhigte den Etruskerführer nicht. Mochten sich die Leute verbergen sobald die Römer die Pferde und Maultiere fanden, wurde Alarm ausgelöst und das Gelände durch kämmt.
Fast gleichzeitig kehrten beide Späher zurück. »Überall streifende Legionäre!«
Einer hatte auf einer Felsnase hoch über ihnen gestanden, er sprang herab. »In der Bucht kreuzen Kriegsschiffe.«
Damit war alles klar. Man entblößte die Klingen und suchte geeignete Plätze für den letzten Kampf. Bei den Verhältnissen konnte der Ausgang nicht zweifelhaft sein. Wenigstens sollten soviel Feinde wie möglich den Pfad zur Unterwelt säumen.
»In die Höhlen!« empfahl Tolumnius.
»Dort säßen wir wie Mäuse im Loch, davor die Katze«, erwiderte Gratha, dem vor einer neuen Wanderung ins Dunkel graute.
»Zugegeben. Aber wissen wir, wonach die Legionäre suchen? Es kann doch sein, sie freuen sich, stehlen die herrenlosen Tiere und machet} sich davon. Ein kleines Opfer um hohen Gewinn!«
Verrat! urteilte der Mann aus Tarquinia im stillen. Wäre es sonst möglich, daß die Römer ausgerechnet unseren Schlupfwinkel einkreisen? Wer ist der Schuft? Doch es war ohnehin nichts mehr zu ändern. »Du hast recht, Tolumnius. Vorwärts, zeig uns den Weg! Ihr jagt die Tiere bergab die Legionäre sollen sie nicht gerade hier aufgreifen!«
Der Pulversack wurde wieder abgeladen. Einer nach dem anderen drängten sich die Rebellen in die Kluft hinter dem Strauchwerk. Hundert Schritt weiter verschwanden sie im Stollen. Als letzter zog Tolumnius den Block vor die Öffnung. Er glaubte bereits das Rasseln und Knirschen von Rüstungen zu hören...
Nur wenige Verschwörer bewahrten kühles Blut, während sie im Schein von Fackeln und Öllämpchen durch den Tunnel krochen, überflüssigen Lärm vermeidend. Die geistergläubigen Etrusker scheuten das Dunkel.
»Vorsicht mit dem Licht!« sagte Tolumnius, als sie im Natursaal waren. »Wenn Feuer an die Säcke mit dem losen Pulver kommt, geht’s uns ans Leben. Legt die Packen in den Gang zum Bach! Tut ein paar große Steinplatten davor besser ist besser, auch ein paar darauf, zur Tarnung. Wir müssen uns in acht nehmen. Wie denkst du, Gratha?« fragte er gedämpft.
Gratha zögerte. Dann überwand er sich unmöglich konnte dieser alte Mann der Verräter sein. »Wir stehen wohl auf verlorenem Posten, Bruder. Ein Zuträger muß den Legionären unsere Spur gewiesen haben. Vermutlich wissen die Römer, daß wir hier sind. Sie werden warten, bis uns Hunger und Durst aus dem Höhlenversteck.« Er kam nicht zu Ende. Schwefliger Dampf drang aus den Spalten und ließ ihn unter quälendem Husten verstummen. Obwohl der Vulkan nur einmal atmete grenzenloser Schrecken hatte fast alle erfaßt.
»Raus und im Licht sterben!« schrie einer.
»Lieber mit dem Schwert in der Hand umkommen als hier verrecken!« rief ein anderer.
»Ruhe! Verdammt, Ruhe! Bei Phersus Macht, still! Niemand wird zugrunde gehen, wenn wir jetzt nur aushalten!« überbrüllte Tolumnius sie alle. »Kein Römer kennt diese Höhlen. Wir haben Zeit und werden einen Fluchtweg finden.«