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»All ihr Götter, was ist das?«

Tillias Schrei löste den Schock. Nun vermochte Servianus wieder zu denken. Er blickte sich um. Ringsum flüchteten die Bauern oder bargen sich in den Häusern. Zusehends füllte die schwarze Wolke den Himmel. Wie die Hand eines zürnenden Gottes senkte sie sich, um die Welt zuzudecken. Es heulte und krachte. Gleich Bailistengeschossen kamen Steine herabgeflogen und schmetterten in die Erde, auf die Straße, in die Bauwerke, in die Bäume. Heiße Asche regnete nieder und sammelte sich rasch in den Falten der Toga. Ein schweflig-brandiger Geruch breitete sich aus. Fauchend schlug ein Stein zehn Schritt entfernt in einen Reisighaufen. Alsbald stieg Rauch empor, Flämmchen züngelten. Ein zweiter Stein schleuderte alles auseinander.

Dichter und dichter fallend, hemmten die grauschwarzen Ascheflocken Blick und Atem. Zwischen den Zähnen knirschte es, Geschmack und Geruch erregten Übelkeit.

Ein Schauer hagelschloßengroßer Steine prasselte auf sie nieder. Unwillkürlich riß Servianus Tillia an sich und schützte sie mit dem Körper vor den schmerzhaften Schlägen der heißen

Steine. »Wir müssen nordwärts, dem Wind entgegen, nach Acerrä, vielleicht noch weiter, solange wir laufen können.«

»Ich muß den Onkel suchen!« Tillia schüttelte die Asche vom Kleid und hustete.

»Keine Sekunde dürfen wir verlieren, komm!«

»Onkel Tolumnius braucht mich.«

»In diesem Chaos findest du ihn nie. Womöglich weilt er längst unter den Toten. Sieh doch!«

Eine Salve rotglühender Steine heulte herab und donnerte in den Vicus. Dächer stürzten prasselnd ein, Mauern barsten und fielen in sich zusammen. Flammen schlugen in den stumpfschwarzen Himmel.

»Das Ende der Welt ist da!«

Aus dem brennenden Obstgut wankte waffenlos ein Legionär. »Zu Hilfe!« ächzte er. »Bringt mich ins Freie! Ich kann nicht mehr.« Würgender Husten unterbrach ihn.

»Wie sieht’s im Wald aus?« schrie Servianus.

»Alle tot, alle...« Der Soldat griff sich an die Kehle, ein verzweifeltes Atemsuchen ließ den muskulösen Körper erzittern, dann brach er vornüber und rasselte zu Boden. Schon bedeckte eine schwärzliche Schicht seinen Leib.

Ein Donnerschlag übertönte das raschelnde Rauschen des Ascheregens. Wieder prasselten glühende Steine nieder, doch keiner traf sie. Tiefer, stumpfer und erstickender wurde die Finsternis. Es war, als ständen sie in einem fensterlosen Raum.

»Komm!« Servianus blickte sich besorgt um.

»Hast du denn kein Herz im Leib, daß du so dastehst?« schrie sie und wollte zum Bauernhof rennen.

Mit rascher Bewegung hielt er sie fest. »Gerade mein Herz befiehlt mir, dich nicht ins Verderben laufen zu lassen. Wir wollen leben!« Er umklammerte ihren Arm und zog die Schluchzende mit sich.

Die Straße entlang war es wohl am sichersten; und irgendwo mußte die Nachtdecke ein Ende finden... Eine Meile, zwei, fünf.

Kein Blick galt dem in schwarzem Nebel verschwundenen Berg.

Ich wette, dachte Servianus, daß das mit der neuen Waffe zu tun hat, von der Tolumnius sprach. Wenn ich bloß wüßte, was und wie! Ist sie das gar selbst? Dann hat das Feuer die eigenen Söhne gefressen. Womöglich ist es das beste. Um diese Welt zu verbessern, bedarf es nicht neuer Waffen, sondern neuer Ideen.

Und ausgerechnet der Mörder und Verräter Servianus entkommt? Moment! Niemand weiß das! Für das Geheimbüro bin ich tot wie die vielen. Ich kann also leicht den Weg des Servianus verlassen und irgendwo anders wieder Primus Marcisus werden mit Tillia auf einem neuen Weg gehen. Ist das Geschehene gar ein Wink der Götter, daß meine Forderung nach besserer Planung berechtigt ist? Daß meine Suche dereinst Erfolg haben wird?

Tillia wehrte sich jetzt nicht mehr, sie ging stumpf mit.

Hinter den Fliehenden tobte der Vesuv und breitete sein aschenes Leichentuch über Pompeji und dessen Umgebung.

HEUTE?

Die Kündigung

Herrn Direktor S. Krueger

im Hause       Ebbelingen, am 25. Februar

Der formellen Kündigung beiliegend, soll dieser Brief etwas zu begründen suchen, was andernfalls seltsam erschiene.

Sehr geehrter Herr Krueger!

Mein Ersuchen muß Sie befremden, zumal wir noch vor kurzem einvernehmlich das mittelfristige Qualifikationsprogramm Unterzeichneten und einige Profilkorrekturen des Verlags besprachen. Die Lage der Dinge verbietet mir indes jeden anderen Weg als den der fristgerechten Kündigung.

Äußerlich ist Herr Walter Krantz die Ursache. Selbstredend ist mir bewußt, daß sein Horrorroman »Der schwarze Traum« und ein Dutzend Erzählungen gleichen Geistes sehr gut verkauft wurden. Ein Verlag muß darauf achten. Nicht, daß ich derartige Themen ablehne. Bereits zu Lebzeiten meines Vorgängers Winterfeld hatte ich die meisten eingehenden Manuskripte gelesen. Manches von Herrn Krantz Geschaffene fand ich sogar apart, anderes akzeptabel, alles ausreichend für erfolgversprechende Aufbauarbeit. Nicht dies ist der Anlaß meiner Kündigung.

Vielmehr sehe ich mich prinzipiell außerstande, mit Herrn Krantz zusammenzuarbeiten. Dies wäre in meiner Position unvermeidlich. Mir ist bewußt, daß aus einer kommerziell betrachteten Verlagshaltung wenig Verständnis für meine

private Abneigung zu erwarten ist. Innerhalb des Lektorats ergibt sich wie Sie und ich wissen auf mittlere Sicht keine Tauschmöglichkeit. Darum ziehe ich die Konsequenzen und kündige.

Um freilich die inneren Ursachen aufzuhellen, muß ich weiter ausgreifen und geordnet berichten. Die Sympathie, mit der Sie mich bisher beobachtet haben, ermutigt mich dazu; ich möchte auch in diesem Augenblick der Trennung nicht Ihre Achtung einbüßen. Daß meine Bitte um eine vertrauliche Behandlung des Schreibens berechtigt ist, werden Sie dem Folgenden entnehmen.

Bis zum Vierten des Monats dauerte bekanntlich die diesjährige Verlagskonferenz in Riegitz. So kam es, daß ich auf der Rückfahrt am zeitigen Nachmittag Dellstadt passierte und mich entschloß, die Gelegenheit zu nutzen und mich sozusagen amtlich bei Herrn Krantz vorzustellen. Es ist wohl unnötig zu berichten, daß wir uns bereits kannten häufig genug war ich zugegen, wenn er Herrn Winterfeld aufsuchte, nicht zu reden von den Verlagspartys. Aber nach meinem Avancement zum Bereichsleiter Aktionsliteratur erschien mir eine solche Vorsprache sinnvoll. Überdies drängte es mich, verschiedenen Fragen nachzugehen, die sich aus vorliegenden Manuskripten ergaben.

Der Stadtplan verwies mich in eine enge Straße direkt unterhalb der Burgruine von Dellstadt. Ich suchte mir einen Parkplatz und fand bald die Adresse. Es war ein altes Mietshaus.

Der Bau stammte spätestens aus der Gründerzeit und besaß ein schlecht beleuchtetes Treppenhaus mit linolbelegten Holzstufen und mit einem Geländer, dem verschiedentlich die Stützstreben fehlten. An einer Wand zog sich eine Furche durch den rissigen, ölübermalten Putz: In ihr hatte man eine

Rohrleitung provisorisch verlegt. Ich begriff weder, weshalb sie in Schlangenlinien verlief, noch, warum sie nicht zugegipst worden war. Die Fenster, einst mit bunten Ornamenten verziert, hatten Schaden genommen, doch zum Ersatz hatte einfaches oder milchiges Glas gedient.

Wie denn, hier wohnte ein gutverdienender Autor?

Zum Glück brauchte ich nicht weit zu steigen. Bereits in der zweiten Etage verriet links ein Schild: KRANTZ, 2mal klingeln. Das war amüsant, weil offensichtlich sonst niemand in der Wohnung untergebracht war, dem ein einfaches Läuten gelten konnte. Was ging’s mich an? Gehorsam drückte ich zweimal auf den Knopf.