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Beim zweitenmal ertönte im Innern eine melodische Gongfolge.

Einen Augenblick später hörte ich an kurzzeitig lauter werdender Musik, daß eine Tür aufund wieder zugemacht wurde. Schritte näherten sich; dann öffnete sich die Wohnungstür, und Herr Krantz stand vor mir, augenscheinlich kaum überrascht, mich zu erblicken. Allerdings wußte ich, daß sein ledernes Gesicht selten Gemütsbewegungen verriet.

»Kommen Sie herein, Herr Meier«, sagte er nach der Begrüßung. »Es trifft sich gut, daß Sie mich hier aufsuchen.« Seine Mundwinkel zuckten.

Ich legte ab und folgte ihm ins angenehm warme Zimmer. Halblaute Musik klang mir entgegen, etwas Klassisches.

Zunächst erschien der Raum merkwürdig schlauchartig, rechts und links durch hohe, überfüllte Bücherschränke verengt. Ich begriff indes bald, daß die linke Front lediglich als Raumteiler fungierte und daß dahinter der Wohnteil des Zimmers begann.

Sobald ich die Ecke erreicht hatte, bot sich mir ein hübsches Bild. Ein Erker lockerte die Fensterfront auf, sämtliche Fensterbretter waren mit Schlinggewächsen vollgestellt eines

davon blühte in wächsernem Weiß, Davor stand der Schreibtisch, mit Papieren und Büchern bedeckt, in der Mitte die Schreibmaschine. Links an der Wand türmten sich Hefter und Mappen, zweifellos mit Manuskripten gefüllt. Krantz hatte wohl noch viel Grusliges in petto.

»Lilith, das ist Herr Meier«, erklärte der Hausherr plötzlich. »Wahrscheinlich wird jetzt er mit uns Zusammenarbeiten.«

Überrascht drehte ich mich um. Lilith?

Im toten Winkel, den der raumteilende Schrank und ein alter, graugrüner Kachelofen bildeten, standen Polstersessel um einen gedeckten Tisch. Eine junge Frau trat mir entgegen.

Aufrichtig gesprochen, ich hätte unserem Autor keine so hübsche Partnerin zugetraut. Stets war er still und kontaktscheu gewesen, bei den Verlagspartys saß er stocktrocken in einer Ecke und nun nannte er ein ausgesprochen schönes Mädchen vertraulich Lilith? Vielleicht ebendeshalb. Verheiratet war er zumindest vor einem halben Jahr noch nicht gewesen, ich wußte das von einer Werbe-Biografie des Verlags. Heutzutage bedeutete das freilich wenig.

»Und das ist Lilith, mein unbezahlbarer Schatz«, fuhr Krantz nach einer Pause unsicher fort.

Sie lächelte und streckte mir die Hand hin. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich habe schon eine Menge Gutes über Sie gehört.«

Wie soll ich Lilith beschreiben? Sie war ganz gewiß kein beschreibbarer Typus. Es ließ sich nur schwer in Worte fassen, was an ihr so faszinierte. Ihr schwarzbraunes Haar, mit sorgfältiger Nachlässigkeit gewellt, fiel auf ein seidig glänzendes Hausgewand. Dieses lose gegürtete Kleid mußte ein Vermögen wert sein. Es war dunkelblau und in hundert Farben bestickt: Orchideenblüten hingen an rankenden Zweigen. Sobald sich Lilith bewegte, sobald sie nur atmete, schienen die blütenschweren Zweige zu erbeben, als ob ein Wind durch einen

Tropenwald streiche. Ihr ebenmäßig geformtes, vielleicht zu blasses Gesicht wirkte beim ersten Anschauen schön, beim zweiten... Die Augen! Große und wohlgeformte Mandelaugen, durch dezente Kosmetik betont, schimmerten gelbgrün. Der Gedanke überkam mich: Wie eine Katze!

»Setzen Sie sich doch bitte. Möchten Sie einen Kaffee?« Sie deutete auf die Kanne.

Warum hatte ich einen fremdländischen Akzent erwartet? Er fehlte. »Wenn es Ihnen keine Mühe bereitet. Ich will nicht lange bleiben. Eigentlich kam ich nur vorbei, um einmal hereinzuschauen.«

»Bei diesem Winterwetter sollten Sie sich Zeit nehmen«, bemerkte Krantz. »Vorhin warnte der Rundfunk, es gebe Schneeregen, und Sie sind doch wohl mit dem Wagen da.«

Ich nickte.

»Ich hätte Ihnen sonst einen Kognak angeboten.« Er reichte das Geschirr aus einem Schrank. Lilith schenkte einen sehr starken, fast bitteren Kaffee ein und bot mir Zucker und Sahne.

Erst beim genießerischen Trinken gewann ich meine Fassung zurück. Vorsichtig begann ich: »Zu meinem Bedauern bin ich Ihnen bisher nie begegnet. Herr Krantz hätte Sie ruhig zu einer unserer Veranstaltungen mitbringen oder mit mir wenigstens von Ihnen sprechen können. Ich wäre dann weniger überrascht.«

Liliths Augenbrauen hoben sich. »Es ist schon gut so«, versetzte sie. »Eine traditionelle Rolle liegt mir fern. Ich möchte meine unabhängige Stellung erhalten.«

»Ich glaube zu verstehen, was Sie meinen Sie haben nicht geheiratet?«

»Nicht vor dem Gesetz«, bestätigte Krantz.

»Und ebensowenig vor dem Priester«, fugte Lilith hinzu. Ihre Augen glitzerten. »Ich bin gegen Formeln. Wir leben zusammen, lachen zusammen und weinen zusammen ganz ohne ein

gestempeltes Papier.« Sie blickte mich forschend an. »Sie haben das nicht erwartet?«

»Zwar bin ich konservativ, räume aber ein, daß diese Weitsicht weitverbreitet ist.«

Ein nachdenklicher Zug trat in ihr Gesicht. Für einen Atemzug irrte ihr Blick in eine unbestimmbare Ferne ab. Es war, als wäge sie einen komplizierten Plan ab.

»Vielleicht ist es sogar gut so«, sagte ich. »Sie könnten Herrn Krantz durch Ihre Anwesenheit dazu bewegen, gelegentlich freundlichere, farbigere und vor allem weniger dämonische Geschichten zu verfassen.«

Krantz verschluckte sich. »Dacht’ ich’s mir doch! Deshalb sind Sie hier.« Er lachte. »Glauben Sie mir nur, Herr Meier, Lilith hilft mir bereits! Eine Menge Ideen stammt genaugenommen von ihr.« Er deutete auf den Manuskriptstapel hinter sich. »Das meiste ist bloß noch nicht abgabereif.«

Sie krauste die Stirn. »Stört es Sie, wenn Walter von Zauberei und Zauberern schreibt oder von den Dämonen der Tiefe?«

Ich zuckte die Achseln. »Persönlich nicht, abgesehen davon, daß mich so ein Stoff privat nicht interessiert. Ich weiß, er verkauft sich gut. Die Grundfrage lautet aber doch so: Da es all das ja nicht gibt wozu derart umständlich vorgehen, um etwas Wirkliches auszusagen? Bekanntlich schreibt man Erzählungen nicht, um bloß zu erzählen. Darin steckt doch mehr, eine Aussage, eine Quintessenz, etwas Allgemeingültiges wenn Sie wollen: eine Lehre. Sobald sich der Weg dorthin verselbständigt, verliert der Leser das Ziel aus dem Auge.«

»So hoch zielt mein Anspruch nicht«, wandte Krantz ein. »Ich möchte bloß erzählen jedenfalls vorläufig. Wahrscheinlich werde ich... werden wir einmal einen Stoff ausgraben, der auch weiter und... und tiefer schürft. Aber vorderhand möchte ich einfach das in Worte fassen, was ich... sehe. Verstehen Sie?«

Mehr als er glaubte! Diese Auffassung war vielerorts zu hören. Mußte denn das Pulver zum zehntenmal erfunden werden? Ein Gedanke streifte mich: Sollte Walter Krantz zu jener Legion sogenannter Künstler gehören, die ihrer humpelnden Phantasie mit Rauschmitteln aufhalfen? Unmöglich war es nicht bei Gesprächen im Verlag hatte mich seit je seine erstaunliche Phantasiearmut befremdet. Doch das wog nicht am schwersten. Man kann viel und schlecht oder wenig und gut schreiben. Ein Verlag benötigt beides für verschiedene Leserkreise. Die ersten sind natürlich breiter. Die anderen...

Schlug jetzt die Stunde, da sich das Gruselniveau seiner Geschichten hob?

»Mein lieber Herr Krantz! Nichts gegen solche Erzählungen, die man liest, über die man sich freut und die man schließend weglegt! Es muß sie geben, solange es die Leser dafür gibt. Aber diese Geschichten zeigen nicht die Wirklichkeit. Stimmt es? Wirklich ist doch einzig etwas anderes, und nur das sollte man anstreben: das, was um uns und in uns vorgeht. Sämtliche bunten Abenteuer, all die Raumschiffe und Gespenster sind bloß Mittel zum Zweck.«

Lilith schenkte uns Kaffee nach und fragte interessiert: »Ich verstehe wenig von der Literaturtheorie. Aber gehört es denn nicht auch zur Wahrheit, jene... Mittel richtig zu beschreiben? In ihren Farben und detailgetreu.«

Ich konnte nur lächeln. »Selbstredend, schon um den Leser zu fesseln. Freilich nicht gleich so, daß man annehmen muß, Sie glaubten selbst daran!«