»Oh, ich glaube durchaus daran. Das muß ich schließlich. Das Schreiben allerdings ist Walters Part in unserem Abkommen. Ja, Abkommen, so muß man es nennen. Ich liefere ihm Ideen und Bilder. Wenn er sie bloß beschreibt, mag er das tun. Falls er tiefer graben will ich würde ihm gern helfen, aber in dieser Hinsicht kann ich so gut wie nichts ausrichten.«
»Ich verstehe Sie nicht ganz.«
»Wie sollten Sie! Doch irgendwann müssen die Verhältnisse einmal klargelegt werden, Herr Meier. Meines Erachtens am besten jetzt. Wir hätten es schon bedeutend früher sagen sollen, beim >Schwarzen Traum« Herr Winterfeld war aber so eigen und auch nicht der Jüngste... kurz, wir verschoben es.
Walter hat mir seine und Ihre Briefe gezeigt und mir erklärt, woran Sie und Ihr Vorgänger gekrittelt haben. Wie gesagt, die literarischen Fragen kann ich nicht beantworten. Aber die Details der phantastischen Szenen sind mein Ressort und die waren richtig.«
Ich seufzte leise. »Richtig konnten sie nie und nimmer sein, es gibt sie ja nicht. Also bleibt nur die Frage, ob sie zweckentsprechend gewählt waren. Ich halte es aber für uneffektiv...«
Lilith stand auf und ging mit behenden Schritten zu den Fenstern. Sie öffnete ein Seitenfenster des kleinen Erkers. »Schau doch einmal herein, Bronto, ja?« rief sie hinaus.
Ich blickte ihr verblüfft nach. Hatte ich mich verhört? Hereinschauen? In ein Fenster im zweiten Stock?
Plötzlich gewahrte ich eine Bewegung. Ein schiefergraues Etwas schob sich träge durch die Fensteröffnung. Es war der ovale, aber knochige Kopf einer Schlange nein, einer Echse! Riesige schwarze Augen, von feucht schimmernden Schuppen umrahmt, ein Maul voller gelber, glatter Mahlzähne. Vom Scheitel über den endlosen Hals zog sich ein zackiger Homkamm. Faltige Haut schlappte über der Kehle und über den träge mahlenden Kiefern.
Der Kopf drehte sich langsam und wandte sich mir zu. Gute zwei Meter hing er nun schon im Zimmer. Das Ungeheuer starrte mich aus trüben Augen an. Ein kollerndes Geräusch drang aus dem Rachen, als er das Gebiß entblößte...
Ich erwachte auf dem Sofa neben dem Kachelofen. Walter Krantz nahm mir ein feuchtes Taschentuch von der Stirn.
»Gut, daß Sie zu sich kommen.« Die Unruhe in seinem Ledergesicht verminderte sich. »Ich fürchtete bereits, wir müßten einen Arzt anrufen. Lilith, das hast du entschieden zu grob angefaßt. Nicht alle Leute haben ein Gemüt wie Stiefelsohlen.«
»Es war ein Impuls.«
Jetzt erst entdeckte ich sie, am Tisch sitzend und bedachtsam ein Kognakglas füllend. Sie schaute herüber und lächelte betrübt. »Es tut mir wirklich leid.« Die Orchideen auf ihrem Kleid hingen erschlafft an den Ranken.
»Du lieber Himmel, was war denn das?« murmelte ich. Meine Stimme klang verzerrt. »Ich leide doch sonst nicht an Halluzinationen.«
»Das war auch keine«, versicherte Krantz. »Hier, trinken Sie erst einmal, das ist Medizin. Nachher werden Sie sich viel wohl er fühlen. So, ja!«
Der Alkohol rann mir mit milder Schärfe die Kehle hinab. Belebende Wärme breitete sich in meinen Adern aus. Doch schon keimten die ersten Fragen. Was hatte ich da gesehen? Keine Halluzination?
»Lilith, jetzt mußt du reden.« Der Hausherr sah mir meine Ungeduld zweifellos an. »Du kannst das besser.«
»Zumindest werde ich versuchen, es zu erklären. Sehen Sie, Herr Meier, mir stehen gewisse... Fähigkeiten zu Gebot. Ich nutze sie, um Walter zu helfen. Er soll genau beschreiben können, was er erzählen möchte. Ein Beispiel davon haben Sie gesehen Bronto, den Riesensaurier. Im Grunde ist es einfach: Aus jenem Fenster sieht man nämlich nicht auf den Hof, sondern in eine ferne Vergangenheit. Wie das funktioniert, könnte ich Ihnen freilich nicht befriedigend erklären.«
Mir schwindelte. Vorsichtshalber schloß ich schnell die Augen.
»Das kann nicht wahr sein«, stammelte ich fröstelnd. Der Kopf, die Zähne, dieser Hals!
»So könnte ein Mensch aus Alt-Babylon sprechen, wenn er vor einem Farbfernseher stände; Sie sollten das nicht tun. Sobald Sie sich wieder wohl fühlen im Moment offenbar nicht, wie? -, können Sie selbst hinausschauen. Ich zeige Ihnen meine... Welten gern. Schön sind sie selten, aber immer interessant. Es gibt viele, sehr viele.«
Mühselig richtete ich mich so weit auf, daß ich wieder saß. Es machte einen zu erbärmlichen Eindruck. Was für Welten? Wovon sprach diese Frau? War sie noch normal, oder glomm in ihren Katzenaugen eine Art Irrsinn?
»Wer sind Sie?«
Ihr Lächeln hatte etwas Nachsichtiges. »Lilith heiße ich, das wissen Sie doch. Haben Sie nie gehört, daß Lilith der Name eines Höllengeistes ist?«
Es schoß mir frostig durch die Adern. Kein Wort brachte ich heraus.
Sie lachte, die Orchideenranken bebten. »Sie brauchen nichts zu befürchten, Herr Meier. Ich will Ihnen kein Leid zufügen. Als Walter die Wahrheit erfuhr, war er ebenso besorgt, aber ich tue ihm nichts. Im Gegenteil.
Übrigens, wenn Ihnen das zu mystisch klingt, können Sie sich auch vorstellen, ich wäre die Abgesandte einer anderen Welt. Jemand von dort draußen zwischen den Sternen oder jemand aus einer anderen Dimension. Das klingt wissenschaftlicher und macht Ihnen meine Hilfsmittel gewissermaßen rational begründet. Aber nach unser beider Verständnis bin ich ein Kind der Hölle.«
Krantz kümmerte sich um die Kaffeemaschine. »Sie sollten sich erst einmal von dem Schock erholen. Ich weiß noch, wie mir damals zumute war, als sie mir erstmals ein leibhaftiges Gespenst vorstellte«, sagte er. »Ja, in früheren Zeiten hätte man
behauptet, ich wäre dem Teufel verschrieben. Übrigens ist das keineswegs nachteilig. Nachher kann Lilith Sie in ihre Schrekkenskammer blicken lassen.«
»Ja, nachher. Nachher gern«, murmelte ich. Frostschauer überliefen mich. Nur nicht gleich! Atem schöpfen!
Der ausgezeichnete Kaffee wärmte mich nicht auf. Die Unruhe blieb. Scheu blickte ich bisweilen in Liliths forschend auf mich gerichtete Augen. Ich befürchtete, daß gleich etwas namenlos Schreckliches eintreten könnte. Aber nichts geschah.
Beim Kaffee und einem Teller Kuchenschnitten erzählte Krantz weitschweifig das Sujet einer längeren Erzählung, an der er gerade arbeitete. Sie sollte in einer mittelalterlichen Burg angesiedelt sein und hatte mit der Inquisition, mit Poltergeistern unschuldig Verbrannter und sonstigem Spuk zu tun. Ich hörte zerstreut zu, nickte bisweilen und versuchte mich mühsam zu sammeln. Ob die beiden meine Unaufmerksamkeit gewahrten, blieb offen. Vermutlich übergingen sie sie diskret.
Schließlich aber war die gläserne Kaffeekanne leer. Meine Besorgnis potenzierte sich.
»Wollen Sie mir folgen, Herr Meier?« fragte Lilith. »Mein Wort darauf, Ihnen geschieht nichts. Sie werden bloß etwas sehen.«
Nur sehen? Das erste Sehen hatte mir schon genügt. »Wieder so einen Saurier?« fragte ich tastend.
»Einige der Welten, wie sie Walter beschreibt, und die Sie nicht als realistisch akzeptieren wollen. Kommen Sie doch!«
Sie hatte etwas merkwürdig Bestimmendes an sich. Der Forderung ihrer Augen konnte ich nicht widerstehen. Ich stand also auf und ging behutsam mit Krantz zu den Fenstern.
Zunächst war nirgends etwas Merkwürdiges. Diffuses Licht stand hinter beschlagenen Scheiben, wie es die Jahreszeit und die Stunde geboten.
Dann aber, als ich vielleicht einen knappen Schritt von den Scheiben entfernt war, verschwand all das wie ein aufgezogener Vorhang. Durch das linke Erkerfenster starrte ich in eine tropische Welt voller Palmen, Schlinggewächse und Wiesen. Phantastische, massige Tiere bewegten sich träge durch schmatzenden Sumpf, nie gesehene Riesenvögel kreisten flatternd am klaren Himmel. Im Hintergrund dehnte sich unter der glastenden Sonne ein Meer, auch darin quirlte fremdartiges Leben.