Es blieb erschreckend still im Zimmer.
»Natürlich greifen wir auch prophylaktisch ein und steuern die Träume nach gleichem Verfahren. Da das bisher nichts bewirkte, begann die neue Etappe meine Mission. Das ist zwar ungenau beschrieben, aber bessere Worte finde ich nicht. Ich bin schwach im Erklären.«
»Darf ich das so interpretieren, daß Sie via Herrn Krantz abschreckende Visionen deshalb publizieren, damit sich die Menschheit bessert?« erkundigte ich mich ungläubig.
Die Orchideenranken schwankten wie unter einer Berührung. »In einem sehr weiten Sinne ja. Verstehen Sie aber bitte mein Ja richtig. Das ist so ähnlich, als wenn ich auf Ihre Frage >Wieviel ist zwei und zwei?< antworte: >Eine reelle und nicht negative Zahl« Ich bin weder weit genug eingeweiht noch autorisiert, Ihnen dazu Verbindliches zu sagen. Was Sie vermuten, was Sie daraus schlußfolgern...«
Den Vergleich kannte ich. Krantz hatte ihn im »Schwarzen Traum« benutzt. Zu seinem Denkschema paßte er, zu ihrem weniger. Offenbar war ihr abstraktes Denkvermögen schwach ausgebildet. »Wäre Ihnen und Ihrem, sagen wir: Auftraggeber nicht am besten gedient, wenn Sie Ihr Programm verkündeten?«
Sie lächelte müde. »Walter hat das auch schon gefragt damals. Die Antwort lautet nein. Vordergründige Aktionen schaden mehr, als sie nützen abgesehen von Unglaube und Zweifel. Hier muß man ganz unten anfangen und möglichst alle Menschen erreichen.«
»Alle werden Herrn Krantz kaum lesen«, warf ich ein. »Das Profil dieser Edition erfaßt einen gewissen Personenkreis, ein paar tausend oder zehntausend Leser...«
»Glauben Sie, die Meinen hätten lediglich mich entsandt?« Sie lächelte spöttisch.
Wieder wurde es still. Atemnot bemächtigte sich meiner, das Herz schien unregelmäßig zu klopfen. Was kam da auf uns zu?
Leise tickte die Wanduhr. Im Schweigen war sie gut zu hören. Erst jetzt war mir klar, daß die beiden das Radio bei meinem Eintreten abgeschaltet hatten und ich war so sehr an stete
Hintergrundmusik gewöhnt. Die Stille lastete dadurch doppelt.
- Unwillkürlich sah ich zur Uhr: schon halb sieben. Allerhöchste Zeit, heimzufahren! Bei der Jahreszeit und dem Zustand der Straßen würde das zwei bis drei Stunden dauern. Ich wollte nicht erst tief in der Nacht zu Hause ankommen. Was gab es mehr zu bereden? Eigentlich nichts. Über teuflische Visionen zu debattieren ist fruchtlos; man nennt den Bösen ja den Herrn der Alogik.
Praktisch: Kein Kritiker nimmt solch eine Motivkette ernst. Als Aktionsliteratur auch nicht. Zu irreal! Reine Horrorgeschichten erreichen sowieso nur ein begrenztes, beschränktes Publikum meist Leute, die nie nach Hintergründen fragen.
Ein Entschluß kam auf mich zu. Der Verlag! Mir blieb nichts anderes übrig als...
Da öffnete sich hinter mir eine Seitentür. Ein spärlich bekleideter junger Mann trat ein, verneigte sich tief. »Dürfte ich die gnädigen Herrschaften ergebenst daran erinnern, daß das Mahl bereitet ist und gleich serviert werden kann?« Er verbeugte sich abermals, ohne mich zu beachten.
Ich starrte ihn an.
Lilith erbarmte sich meiner. »Er sieht Sie nicht, Herr Meier. Für ihn sind Sie nicht existent, es sei denn, ich wollte es; für ihn sieht dieses Zimmer ganz anders aus, für ihn befinden wir uns im antiken Rom, und dies ist eine Villa an der Via Flaminia, eine Stunde von der Mulvischen Brücke. Wenn Sie wollen – ein Höllenspuk. Sie bleiben doch zum Essen, nicht wahr?«
Ein flaues Gefühl breitete sich um meinen Magen aus. Noch
eine solche Lektion hätte mein bißchen Fassung vollends zerstört. »Ich habe Sie schon zu lange aufgehalten. Nein, wirklich nicht.«
Die beiden schauten sich eine Weile an, und wieder trat ein nachdenklicher Zug in Liliths Gesicht. »Nun, wenn Sie meinen.« Sie wandte sich dem Burschen zu. »Wir rufen dich, Servius.«
Es schien, als ob er den Wortwechsel nicht wahrgenommen hatte. Schweigend verschwand er im Nebenraum. Während die Tür aufklappte, sah ich marmorbekleidete Wände und einen Säulengang, der in einen Sommergarten führte. Hell und heiß strahlte die Mittagssonne auf ein Meer subtropischer Blumen... Ich faßte mich an die Stirn. Spuk!
»Sie entschuldigen mich jetzt, Frau Lilith und Herr Krantz!«
Wir erhoben uns gleichzeitig.
Schon stand ich an der Ecke des raumteilenden Schranks, da tauchte ein Gedanke empor. Ich drehte mich um. »Sie wollen einen Roman verfassen? Schreiben Sie ihn, erzählen Sie darin die Geschichte eines weiblichen Höllengeistes, der mit einem geheimnisumwobenen Auftrag auf Erden weilt. Über die Akzente Ihrer Mission können Sie ja so viel Nebel breiten, wie es Ihnen beliebt. Statten Sie jenen... Dämon mit hinreichenden phantastischen Attributen aus Ihrem Reservoir aus.« Ich deutete auf die beschlagenen Zauberscheiben der Fenster. »Zum ersten würden Sie viel erzählen können. Es hätte auch literarischen Wert, weil dann ja wirkliche Probleme tangiert würden: Ihre und Ihre, Herr Krantz. Und für Ihre... Mission wäre das von größerem Nutzen. Nicht wahr?«
»Eine großartige Idee!« rief Krantz. »Daß wir nicht früher darauf kamen! Geradezu genial. Natürlich, die Konflikte zwischen dem Auftrag und der Wirklichkeit, dazu die Situation... Sie haben recht! Darüber werden wir schreiben, Lilith, gleich heute abend fangen wir an.«
Die junge Frau hatte die Augen niedergeschlagen. Die bunten Blüten ihres Kleides schwebten in einer Windstille, so reglos stand sie. »Vielleicht ist das ein Weg«, sagte sie zaudernd.
Obwohl Krantz sogleich des breiten schildern wollte, wie das Sujet seines Erachtens anzulegen sei, ließ ich mich auf keine
Verzögerung ein. Freilich hätte es im Verlagsinteresse gelegen, Zeit zu gewinnen und einen Teil der ohnehin fälligen Debatten mit dem Autor vorwegzunehmen. Doch meine Nerven... Noch einen Spuk? Um keinen Preis! Wir verabschiedeten uns im Flur, in beinahe unfreundlicher Hast. Liliths nachdenklicher Blick haftete auf mir, und ich fürchtete mich. Mein Aufbruch ähnelte einer Flucht.
Ich stolperte die Treppe hinab, so schnell, wie es die trüben Glühlampen erlaubten.
Erst zwei Straßen weiter, im Auto, hinter dem vertrauten Lenkrad vermochte ich wieder zu atmen. War all das wirklich geschehen? Hatte ich nicht nur geträumt? Saurier, Dämonen, die gelbgrünen Augen einer Hexe...
Ich fuhr langsamer als sonst, da meine Gedanken immer wieder abirrten und mich Schauer überliefen. Sicher wäre es gescheiter gewesen, in einem Hotel zu übernachten; ich meinte aber, soviel Meilen wie möglich zwischen sie und mich bringen zu müssen.
Kurz vor der Autobahnauffahrt Dell Stadt-Süd stand eine Anhalterin am Straßenrand. Ihr hellgrüner Anorak ließ sie aus dem Schneeregen des Abends hervortreten, als sie in die Scheinwerferkegel meines Wagens geriet. Ich stoppte und lud sie ein. Sie nannte sich Cynthia und wollte zufällig auch nach Ebbelingen. Ein Glücksumstand.
Noch hatten wir wenige Worte gewechselt, da erschrak ich. Hatte die junge Frau nicht das Gesicht, das ich in Liliths dämonischer Schaufensterwelt erblickt hatte?
Vielleicht starrte ich sie zu aufdringlich an; als sie fragend herübersah, wurde mir bewußt, daß die Ähnlichkeit doch nur vage bestand. Ich war überreizt.
Wir kamen ins Plaudern, zumal sich herausstellte, daß wir zwei Parallelen besaßen. Zum einen arbeitete sie als Illustratorin und Gutachterin beim Regenbogen-Verlag; darüber hinaus
berührten sich unsere Interessen: klassische und romantische Malerei. Nicht daß wir anderthalb Fahrstunden lang nur über Bilder und den zeitlosen Schönheitsbegriff gesprochen hatten, unsere Unterhaltung sprang auf angrenzende Themen über.
Die unverbindliche Übereinstimmung färbte die bedruckenden Eindrücke um und löste die Verkrampfung. Dem Geschehenen stand ich nun ruhiger gegenüber. Ich war Cynthia aufrichtig dankbar.
Daheim bestätigte ich nach reichlichem Überlegen jenen Entschluß, den ich bereits bei Krantz gefaßt hatte. Ich schrieb die