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Auf jeden Fall konnte ich entweder hier auf einer morschen Bank Sitzenbleiben oder aber einmal beim Wasser nachsehen. Vielleicht war doch ein bißchen Wahres an dem Geschwätz. Dieses Geschehnis auf dem See, was immer es sein mochte, sprach dafür.

Das Landhaus am Teich erwies sich bei näherem Hinsehen als noch weit baufälliger, als ich es vermutet hatte. Schon seit Jahrzehnten mochte niemand einen Finger gerührt haben; nunmehr bröckelten die Mauern, bestand das Dach nur noch aus verfaulten und lockeren Balken. Die letzten Besitzer hatten die Innenausstattung mitgenommen, außer blanken Wänden und kniehohen Schuttbergen befand sich nichts mehr im Haus.

Ich betrachtete alles, ohne mich allzu tief hineinzuwagen. Womöglich fiel mir einer der wackligen Balken auf den Kopf, und ob Calin etwas unternehmen würde, um mich hier zu finden, war fraglich. Er schien nicht sehr mutig zu sein.

Draußen kläffte ein Hund. Ich verließ die Ruine und sah, daß auf der anderen Seite des grasbewachsenen Fahrwegs eine Schafherde aufgetaucht war. Der wachhabende Hund kam auf mich zu, beschnupperte mich, zog den Schwanz ein und kehrte wieder um.

Der Schäfer, ein ältlicher Mann ohne den obligatorischen langen Stab, sah mich und grüßte freundlich herüber. Ich ging zu ihm hin.

»Guten Tag! Bei dem schönen Wetter muß es doch Freude machen, die Schafe zu hüten.«

»Normalerweise ja. Hier nicht, werter Herr. Die Tiere sind unruhig und wollen nicht fressen.«

»So? Ich möchte mir die Landschaft ansehen, wissen Sie. Hübsche Gegend! Bloß ein bißchen einsam, wie es scheint.«

»Sie sind also mit der Bahn gekommen«, stellte der Schäfer fest. Überhaupt schien er weniger wortkarg zu sein, als man sich Schäfer gemeinhin vorstellt. »Ich habe den alten Calin vorhin vorbeifahren sehen. Armer Mann!«

»Wieso arm? Es geht mich ja eigentlich nichts an...«

»Lungenkrebs«, erwiderte er kurz und betrachtete die Herde. Ich fand keine geeignete Antwort. Ja, Krebs, das war immer noch die Krankheit, an der ärztliche Kunst scheiterte. Armer Mann, in der Tat!

»Er hat mir einige Schauergeschichten erzählt«, knüpfte ich an, »und da will ich mir den Schauplatz des Dramas anschauen.«

»Sie... Sie haben es auch... gesehen?«

»Na ja, so ein bißchen. Aber es kann eine Täuschung gewesen sein. Die Luft ist ziemlich heiß, sie flimmert, da könnte es geschehen, daß man wer weiß was sieht.«

Er schüttelte den Kopf und pfiff dem Hund, der träge den Kopf wandte, sich aber nicht weiter um den Pfiff kümmerte. Das Schaf, das er wieder zur Herde holen sollte, kam indes von selbst zurück.

»Wenn Sie mich fragen, irgend etwas ist dran aber keiner weiß es genau. Niemand will es glauben, obwohl schon viele gesehen haben, wie die Frau in den See geworfen wurde.«

»Hm.«

»Und wieso wollen die Tiere das saftige Gras direkt oberhalb des Teiches nicht fressen? Dicht am Ufer ist der Boden zu naß, das Gras sauer, zugegeben aber oben ist es erstklassig. Doch die Schafe scheuen, als ob das Kraut giftig wäre.«

»Haben Sie es untersuchen lassen? Für alle Fälle.«

»Ein schlechter Schäfer, der das nicht täte. Da gibt es nichts Absonderliches. Nur die wollen es eben nicht fressen.«

»Das ist tatsächlich seltsam«, pflichtete ich ihm bei. Wie aber können Tiere einer Halluzination unterliegen? fügte ich für mich hinzu. Das ist doch undenkbar!

»Kommen Sie, treten wir ans Ufer. Nero paßt derweilen schon auf meine Schutzbefohlenen auf.«

»Er sieht abgekämpft aus. Vielleicht die Hitze, was?«

»Ja, die verträgt er gar nicht. So, nehmen Sie Platz.«

Von hier aus konnte ich den See bequem übersehen. Früher hatte sich an diesem Platz wohl so etwas wie ein Bootssteg befunden. Eventuell waren es auch Reste einer Badestelle. Jetzt lagen nur noch einige Bretter herum, die meisten von Gestrüpp überwuchert.

»Einsam hier«, äußerte ich aus meinen Gedanken heraus.

Der Schäfer hatte sich inzwischen ebenfalls hingesetzt. Er stimmte mir zu. »Sehen Sie«, sagte er nach einer langen Pause, in der wir die Ufer des Teiches betrachtet hatten, »im vorigen Sommer hat Doktor Winter sich der Sache angenommen. Er war Rechtsanwalt und verstand sich auf so etwas noch am besten. Alle Bibliotheken und Archive wurden durchsucht, er hat jedem von uns die Seele aus dem Leib gefragt. Aber in diesem Haus ist nichts Seltsames geschehen. Der letzte Besitzer war ein General, der mit seinem Hubschrauber abgeschossen wurde. Anschließend verfiel es, da niemand es haben wollte.«

»Was hat das Haus mit der Sache zu tun?«

»Es gab da einige Mutmaßungen... jedenfalls vermochte auch Doktor Winter nichts zu finden, was mit der Erscheinung zu tun hatte. Gleich gar nichts kann man dazu sagen, daß jeder dieses Phänomen nur einmal sieht.«

»Ich hätte einen Fachmann hinzugezogen!«

»Hat er damals versucht, der arme Doktor Winter. Sie haben ihn und uns für verrückt und wichtigtuerisch erklärt. Wir würden uns dumme Witze erlauben, um der Sensation willen.«

»Das war nicht gerade die höflichste Art«, gab ich zu. »Ich kann mir denken, wie das auf Sie gewirkt haben muß. Aber was halten denn Sie von alledem? Sie haben doch sicher auch eine Meinung.«

»Sie werden lachen... ich bin gewiß altmodisch... Ich halte das für wahr.«

»Bitte, inwiefern für wahr? Da draußen ist doch niemand.«

»Aber da war einmal jemand. Dort wurde ein Mord begangen; und der Geist der Toten ersteht auf, um nach Rache zu rufen. Sehr wahrscheinlich ist die Tat nie geklärt worden daher die Ruhelosigkeit der Ermordeten.«

Etwas sehr mystisch, dachte ich. Aber war nicht auch das Geschehene oder treffender: das Gesehene reichlich seltsam? Ungewöhnliches kann man nur mit Ungewöhnlichem vergleichen und erklären.

Der Teich lag immer noch schweigend im hellen Licht des Sommemachmittags. Von fern zwitscherten die Vögel, die Schafe blökten leise; Nero meldete sich heiser zu Wort, wohl, um für Ordnung zu sorgen. Es hätte überall so sein können. Doch etwas stimmte hier nicht. Der Frieden war nur vorgetäuscht. Eine furchtbare Tat hing noch jetzt über allem. Sogleich rief ich mich zur Ordnung. Nächstens würde ich wohl noch selbst an solchen Unsinn glauben.

»Hat man den See abgesucht?« fragte ich.

»Ja, aber der Grund ist derart schlammig, daß dort wer weiß was liegen kann, ohne daß es jemand bemerkt. Sie haben ein paar Topfscherben aus der Steinzeit gefunden.«

Dann kann das unmöglich ein Badestrand gewesen sein, ich korrigierte meine erste Mutmaßung. Im übrigen änderte das nichts an dem Merkwürdigen. Abgesehen vom Unsinn mit den Seelen sollte tatsächlich etwas Reales dahinterstecken? Nicht einfach eine Täuschung? Täuschungen sind oft schwerer zu erklären als Tatsachen.

»Natürlich glauben Sie nicht an Geister«, sprach der alte Schäfer inzwischen weiter. »Wie denn auch! Ich erwarte es von niemandem. Wer glaubt heute noch an irgend etwas? Aber wie wollen Sie sich das Geschehene anders erklären? Es hat viele Erklärungsversuche gegeben; bei manchen hätten wir wesentlich Schlimmeres glauben müssen als bloß an Geister. Statt unentwegt nach Gespenstern zu suchen, können Sie auch ebenso unentwegt nach rationalen Lösungen suchen. Im Prinzip ist eins wie das andere!«

Dem konnte ich ganz gewiß nicht zustimmen, aber aus Höflichkeit widersprach ich nicht.

Der Schäfer erhob sich seufzend. »Na, ich will denn mal weiterziehen. Viel Glück beim Suchen, junger Mann! Sie werden Glück brauchen. Alle, die sich um dies Geheimnis bemühten, wurden irgendwie vom Verderben verfolgt. Denken Sie an Calin und seinen Lungenkrebs! Doktor Winter verbrannte in seinem Auto bei einem Unfall, seine Sekretärin wurde ermordet... Passen Sie auf sich auf! Außerdem werden Sie nichts finden, solange Sie sich so an den nächstliegenden Lösungen festklammern.«