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Er blieb stehen und atmete in tiefen Zügen ein und aus. Was wollte, was sollte er hier?

Ein behagliches Gefühl breitete sich in ihm aus; war es Freude, war es die Ahnung, etwas Einzigartiges zu erleben? Unbestimmt, aber tief überzeugt empfand er: Jemand, der ihm wohlgesinnt war, erwartete ihn, hatte ihm den Weg freigegeben. Er wußte keinen Grund dafür, aber mußte es denn einen geben?

Zurück? Um keinen Preis! Nicht Neugier zog ihn weiter, sondern die Gewißheit: Selbst wenn das ein Traum war, es war der Tag. Der Höhepunkt seines Lebens, so unvermutet wie unermeßlich. Er würde dem Glück begegnen. Eine eigenartige Stimmung bemächtigte sich seiner, teils Neugier, teils Beklommenheit. Nie wieder, das wußte er, nie wieder würde sich ihm diese Tür öffnen.

Erwartungsvoll folgte er dem mannshohen Gang. Nahm er kein Ende?

Nach einem scharfen Knick mündete der Tunnel unvermittelt in eine Halle von fremdartiger, aber anmutiger Bauweise. Sie war leer, wurde von einem quellenlosen, diffusen Licht erhellt und öffnete sich zu einem breiten Portal aus gemeißeltem Marmor. In einer Säule sah er unbekannte Lettern, vom Zahn der Zeit zernagt. Er trat näher, konnte aber nichts entziffern.

Ein berauschender Duft streifte ihn, er wandte sich um.

Nein!

Draußen tiefe Nacht, warme Nacht, ein Garten. Es verblüffte ihn nicht. Er durchlebte jetzt die krönenden Minuten seines Lebens.

Er blickte hinaus. Ein rötlicher Vollmond hoch am Himmel und eine silberne Mondsichel dicht überm Horizont ließen den Sand zahlloser kurvenreicher Wege wie blutbesprengt glimmen. Funkelnd strahlten Sterne herab, ihre Vielzahl und ihr Farbenspiel verwirrten ihn. In majestätischer Schönheit erhoben sich reglose Pyramidenpappeln und Zypressen, zwischen ihnen weiße Statuen auf Quadersockeln. Alles glich nein, keinem Friedhof. Nur im ersten Blick ähnelte es ihm. Das war ein Garten, geschaffen für Götter zum lustvollen Wandeln. Ob er einem begegnete? Das wäre!

»Ist da jemand? Hallo!«

Sein Ruf verhallte. Der Hauch einer feuchtwarmen Tropennacht umwehte ihn, gemengt aus den Düften fremder Blumen, erhitzter Erde und dem Atem eines fernen Meeres. Eine Verlockung, der er sich nicht entziehen konnte.

Aller Last entledigt, trat er aus dem Portal auf den knirschenden Sand und sah sich im Halbdunkel um. Neben ihm...

Olaf sprang zurück. Da grinste zähnebleckend ein Skelett, in ein zerschlissenes Gewand gehüllt. Übelkeit quoll hoch, würgte ihn. Wenig fehlte, daß er sich übergab.

Im ersten Schock wollte er zurück, die Treppen emporhasten, die fatale Tür zuwerfen und alles vergessen. Doch nein, nie

würde dieser Anblick seinem Gedächtnis entfliehn. Da flüsterte ihm eine unsichtbare Stimme zu: »Bleib, dir droht keine Gefahr. Sieh es an als ein herbes Gewürz, das die Süße des Augenblicks unterstreicht.«

Er zauderte. Nicht falsch gesagt!

Ein Stöhnen riß ihn aus seinen Gedanken. Der Laut kam aus einer unbestimmten Richtung und erschreckte ihn mehr als der Tote. Rief da jemand? Er hob den Kopf und lauschte. Es blieb still.

Das konnte kein Traum sein. Nicht das! Suchend betrat er das Labyrinth der Heckenwege.

Nirgends regte sich ein Blatt, als wäre alles zu ewiger Stille verdammt. Auf den seltsam hell wirkenden Wiesen glichen die Büsche unheimlichen Gestalten, drohten mit wächsernen Kelchblüten voll bittersüßem Duft. Abgründe aus Schatten gähnten ringsum, und rötlich-silbern glänzte der feine Sand, wo ein Mondstrahl ihn berührte.

Olaf verlor das Zeitgefühl. In andächtiges Schauen versunken, wohlig erschauernd, wanderte er umher. In einer Wegschleife erblickte er die Mauer, die diesen verwunschenen Garten begrenzte, weißschimmernd und unvorstellbar hoch. Wieder schien es ihm, als ob ihn jemand beobachtete. Er verharrte, blickte forschend umher.

Da wiederholte sich der wimmernde Ruf, länger und diesmal nah. Die zauberhafte Stimmung zerriß. Olaf rannte drauflos.

Dichte Hecken und Baumgruppen, die Schatten der Zypressen verwirrten ihn. Unvermutet gelangte er auf einen Rasenplatz, an dem sich ein Dutzend Pfade vereinten. Ein Steinbassin voll schwarzem Wasser bildete das Zentrum des Wegstems, ringsum standen Bänke aus hellem Marmor. Auf einer lag ein Mädchen, ein Kind noch, keuchend, ächzend, augenscheinlich zu Tode ermattet.

»Du, was ist dir?« rief er. »Hast du dir weh getan?«

Das Kind wimmerte. Wirres dunkles Haar klebte ihr im Gesicht, ihre Arme krallten sich in den Leib, offensichtlich litt sie entsetzliche Schmerzen.

»Wie heißt du, wo wohnst du?«

Sie reagierte nicht; Olaf hatte den Eindruck, seine Anwesenheit werde ihr überhaupt nicht bewußt.

Etwas hatte sich jäh verändert. War es das Flimmern der Sterne, der Duft der Blumen, der Schein der Monde? Vorbei das Träumen im Traum jetzt wußte er, warum er in diesen Garten gerufen worden war. Eine Pflicht war zu erfüllen. Rasch zum Arzt! Von Medizin verstand er weniger als das Dürftigste. Aber das war unproblematisch. Es gab schließlich die Nothilfe, zumindest Doktor Wühler von nebenan. Freilich, ob der Nachbar einen derartigen Weg mitging? Die Zeit drängte, die Umstände hingegen...

Der Tote neben dem Portal! Auch die Polizei mußte her, das Gerippe nach kriminalistischen Regeln begutachten. Ein Glück, es gab Experten für alles und jedes; sie würden Licht in diese Spukszene bringen. In ihre Hände mußte er die Sache legen... Doch das Kind ging vor!

Olaf entschied sich rasch. »Komm, mein Kleines!« Er lud den zusammengekrampften Körper so behutsam wie möglich auf die Arme und schleppte ihn durch den Irrgarten der Pfade. Geraume Zeit narrte ihn das Labyrinth mit Schleifen und blinden Wegen; endlich öffnete sich der Wall der Büsche.

Er sah sich einem langgestreckten Gebäude gegenüber. Seine Architektur war mannigfaltig gegliedert, die Giebel verschwammen im Dunkel des sternbesäten Himmels. Wenigstens ein Dutzend Portale öffneten sich, einander sehr ähnlich, ohne identisch zu sein.

Frostiger Schreck überfiel ihn. Was nun? Wohin sich wenden? Zwar gab es charakteristische Details doch beim Hinaustreten hatte er nicht darauf geachtet, zumal nach dem Schock mit dem Gerippe.

Der Leichnam!

Er spähte umher. Das Skelett lag neben einem Säulenportal, als wolle es ihm in letzter Tat den Weg weisen.

Keuchend hastete er in die kleine Vorhalle und durch den düsteren Stollen. Welch ein Glück, es gab keinen Seitengang! Seine Last wurde immer schwerer, das Kind zuckte und stöhnte bisweilen würgend. Das Unerklärliche legte sich wie eine Starre auf sein Empfinden. Alles floß an ihm vorbei, ohne ihn zu berühren.

Noch dreißig Schritte! Die letzte Biegung, dann...

Vor ihm stand eine schimmernde Metall wand. Die Tür zum Wohnzimmer war zugefallen! Er trat mit dem Fuß dagegen, doch die Platte rührte sich nicht.

Kalter Schweiß brach ihm aus. Jäh begriff er. Was ihm zuvor rätselhaft erschien, enthüllte sich nun als erbarmungslose Falle. Er wußte, was ihm bevorstand. Das Mädchen, der Tote.

Klang da ein Hohngelächter? Oder bildete er es sich nur ein? Wie dem auch sei, er besann sich. Registriert hatte er es wohl, aber nicht bedacht: Die Tür besaß stählerne Schnappriegel, aber keinen Knopf und keine Klinke.

Olaf legte das wimmernde Kind nieder. Ruhe bewahren! Bei der Brandschutzübung hatte man das für alle kritischen Situationen anempfohlen. Nüchtern denken und handeln!

Gab es Lücken im tückischen Mechanismus? Vielleicht eine lösbare Schraube oder eine Schwachstelle im Stahl? Er folgte den Fugen mit dem Blick. He! Unten aus der Türritze schaute blaubedrucktes Leinen hervor. Sein Taschentuch! Hastig griff er in die Tasche: leer.

In kürzerer Zeit, als man braucht, um den Zusammenhang zu begreifen, erkannte er die vage Chance. Nur zugeklemmt! Er