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wuchtete seinen Körper gegen den Stahl, zweimal, dreimal. Mißmutig quietschend fügte sich die Tür und schwenkte auf.

Wieder meinte er einen Laut aus unbestimmter Ferne zu hören, ein Bedauern vielleicht. Nicht darauf achten, es gab Wichtigeres.

Den Fuß vorangestellt, damit ihn der schwere Flügel nicht behinderte, hob er das Kind auf und trug es ins Zimmer. Als es jammernd, die Hände in den Bezugsstoff krallend, auf das Sofa glitt, erklang hinter seinem Rücken ein dumpfes Klicken. Die Stahlriegel! Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er war der Falle entkommen!

Olaf stürmte zur Wohnungstür. Gegenüber wohnte Doktor Wöhler.

Ich hatte den Erzähler zunehmend mißtrauisch beobachtet. Zwar wies in Gestik und Rede nichts auf eine Geistestrübung hin, nur auf eine außergewöhnliche Erregung doch das bewies wenig. Das fast verhungerte Mädchen dagegen war ein Fakt. Es gab wohl keinen Zweifel, daß sie nicht freiwillig gehungert hatte, daß also ein Verbrechen an ihr begangen worden war. Fakt Nummer zwei. Und Fakten zählten.

Gedankenlos griff Hartmann nach der Bourbon-Flasche, ich zog sie ihm schweigend aus der Hand. In solch einer Situation war Alkohol das verkehrteste Mittel.

Er blickte auf und sah mich offen an. Mit jedem Atemzug gewahrte ich deutlicher, wie tief ergriffen er war. Schock? Mehr? Sollte man weiterreden? Brauchte er ein Beruhigungsmittel? War es gar ratsam, ihn in der Klinik unter Beobachtung zu stellen? Seine fahle Haut, der unstete, vielleicht schuldbewußte Blick, die flackernden Lider und die zittrigen Hände gaben mir zu denken.

Trotz meines Schweigens verstand er mich. »Ich schwöre, Doktor«, sagte er, »ich habe ihr kein Haar gekrümmt. Im Gegenteil, sie verdankt mir vermutlich ihr Leben. Sie wird doch durchkommen?«

»Nach menschlichem Ermessen ja. Falls nicht infolge der Erschöpfung das Herz versagt oder innere Verletzungen vorliegen.«

»Zum Teufel, ist mir wohler. Sobald sie sich erholt hat, wird sie jedes Wort bestätigen.«

Das sprach eigentlich zu seinen Gunsten. Aber warum hockte er sich auf die Sessellehne, den Kopf in die Hände gestützt, und starrte vor sich hin?

»Sie erzählen äußerst anschaulich«, sagte ich skeptisch. »Aber in Ihrer Darstellung sind viele logische Ungereimtheiten.« Fast hätte ich das Wort »Spukgarten-Story« gebraucht, ich verschluckte es rechtzeitig. »Was mir als erstes einfällt das Taschentuch, wie kam es ausgerechnet in die Türritze?«

Er lachte krampfig auf, erhob sich und blickte aus dem Fenster in den dunkelnden Nachmittag, in das trübe Meer der Stadtlichter. »Das ist solch ein Zufall, daß ein Unbefangener mir nicht glauben kann. Sehen Sie her, mein Trainingsanzug ist knapp geschnitten. Folglich besitzen die Taschen die peinliche Eigenschaft, sich nach einiger Zeit umzustülpen und zu entleeren. Man gewöhnt sich daran. Bevor ich in den Gang eindrang, wischte ich mir die Stirn ab und habe das Tuch hernach, scheint’s, nur flüchtig eingesteckt. Gott sei Dank!« Er warf einen Blick auf die gesplitterte Täfelung an der Außenwand. »Die zugleitende Tür klemmte den Knäuel zum Glück so ein, daß die Schnappriegel nicht einzurasten vermochten.«

Wie sollte der Arzt Edwin Wöhler darauf reagieren? Rationalisierung von Halluzinationen nannte man so etwas. Die Realität blieb davon unberührt. Fakten hatte Hartmann nicht erbracht. Sollte ich daran kratzen? Es reizte mich. »Und wo ist die ominöse Tür jetzt?«

Hartmanns Gesicht zuckte. »Vorhin, während Sie mir nachkamen, wollte ich die Geheimtür demonstrativ öffnen. Weil mein Bericht andernfalls märchenhaft bliebe. Ich löste die Täfelung ab, mühsam, wohlgemerkt. Das Resultat? Sie sehen es. Eine blanke Mauer, Spinnweben und eine Menge Staub. Von Treppe und Gang keine Spur...« Er hieb sinnlos auf die Holzfläche. »Sie erwarten wohl nicht ernstlich eine wissenschaftlich exakte, widerspruchsfreie Erklärung. Das ganze Geschehen ist phantastisch, geradezu absurd.«

Niemand sprach in den nächsten Minuten.

Am Rande meines Gedächtnisses tanzte eine Erinnerung. Konnte ich eine Assoziation...? Weg! Nichts. Wohl ein Irrtum. Ich kehrte in die Realität zurück. Was nun tun? Hartmann bedurfte der Behandlung, er litt eindeutig unter einem Halluzinationskomplex. Immerhin, eine bemerkenswerte innere Logik. Doch die andere Seite des Geschehens? Wie hing das mit dem kranken Mädchen zusammen? Wo hatte, er sie wirklich gefunden?

»Die Szene im nächtlichen Garten...« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich jetzt zurückdenke, erinnert sie mich irgendwie an Kino. Verstehen Sie? Sehr auf Effekt gemacht. Aber nicht eigentlich schlecht. Was für Eindrücke bittersüß ist vielleicht das treffendste Wort und ungemein wirkungsvoll.«

»Hatten Sie das Gefühl, eine Rolle zu spielen?«

Jetzt lächelte er, wenngleich mühsam. »Die Tür zwischen Spiel und Ernst ist unsichtbar. Wäre sie hinter mir zugefallen...«

Es klingelte.

Er warf mir einen wissenden Blick zu, kniff die Lippen ein, stieß sich vom Fensterbrett ab und ging hinaus in den Flur. Nach einem Wortwechsel an der Wohnungstür, von dem ich

nichts verstand, geleitete er einen jungen Mann mit dünnem Blondhaar herein. Zufällig kannte ich den Kriminalisten vom Sehen er gehörte zu jener Sektion, die bei ungeklärten Unfällen in Erscheinung trat.

»Leutnant Putze. Mir scheint, wir kennen uns bereits, Doktor Wöhler«, sagte, er. »Das Krankenhaus Nord leitete uns Informationen zu, die zu Fragen an Herrn Hartmann Anlaß gegeben haben. Sie verstehen das gewiß.«

»Zweifellos die gleichen Fragen, die ich ihm schon stellte. Doch als Arzt müßte ich gegen eine Vernehmung Bedenken anmelden. Sie sehen selbst, er sollte einem Mediziner vorgeführt werden. Die Schocksymptome sind meines Erachtens deutlich.«

Putze fixierte den Hausherrn, zögerte zwei Atemzüge lang. Seine Geste war wohl ein Nicken. »Dies ist nur eine informative Befragung, rechtlich irrelevant. Sie könnte beispielsweise hier unter Ihrer Assistenz stattfinden. Sofern Herr Hartmann nichts gegen Ihre Anwesenheit einzuwenden hat... Gut. Ich schlage vor, Sie erzählen zunächst einmal unbefangen und zusammenhängend, was vorgefallen ist. Ich werde stenografieren und später um Klarstellungen und Ergänzungen bitten, sofern das nötig ist. Vielleicht beginnen Sie damit: Wer ist das Mädchen, wann und wo begegneten Sie ihr zum ersten Mal?«

Das Telefon summte. Mit einer um Nachsicht bittenden Geste erhob sich der Hausherr, nahm den Hörer ab und meldete sich.

»Sie werden verlangt, Herr Leutnant«, sagte er tonlos und trat beiseite.

Putze schloß seinen Stenoblock und ging zum Telefon. »Neuigkeiten in der Ermittlungssache Hartmann?« Sein Gesicht verriet plötzlich Überraschung. Mehrfach fragte er: »Tatsächlich, kein Irrtum?« Schließlich sagte er: »Das ist ausgeschlossen, recherchiert weiter! Sie kann nicht vom Himmel gefallen sein. Wir müssen das Signum identifizieren. Macht auch eine Faseranalyse von der Kleidung, ermittelt die Produzenten, die Färber, die Schneider!«

Er legte den Hörer auf die Gabel und wandte sich uns zu, auf den Lippen kauend, Verdruß im Gesicht. »Seltsam, in der Tat. Die Ärzte erklären, das Mädchen sei seit fünf, sechs Tagen ohne Nahrung. In dieser Spänne läge eine Vermißtenmeldung bei uns. Wir haben sämtliche vorliegenden Fälle überprüft, leider ohne Erfolg. Auch als wir den Radius ins Überregionale erweiterten, enthielt der Computer keine Daten Sie haben es eben gehört. Dabei scheint es so einfach zu sein. In ihren Pulli genäht ist ein Streifen mit gestickten Hieroglyphen. Wohl das Zeichen des Herstellers. Man kann leicht beweisen, daß es ihr Kleidungsstück ist doch kein Kind mit dieser Beschreibung wird vermißt. Wir lassen jetzt die Fälle mit der größten Ähnlichkeit prüfen.«

»Sieh an«, sagte ich, mit den Gedanken weitab. Im Dunkel meiner Erinnerung begann es zu dämmern. Gab es nicht eine Geschichte...?

»Ihr Polizeifall kompliziert sich?« Hartmanns Miene wies kaum Erleichterung aus, weit eher stand darin Sorge, daß die Unterredung erst noch beginnen würde. »Sind Sie überzeugt, daß es überhaupt ein Polizeifall ist? Ich weiß doch, daß ich nichts Schlimmes getan habe.«