Es war nichts Geringes, des Mordes beschuldigt zu sein.
»Kommen Sie!« sagte der Anwalt.
Die Verhandlung war aufgehoben. Wir gingen hinaus, die Zuschauer gafften mich an, Reporter ließen die Kameras blitzen, im Hintergrund saß der mürrische Leutnant Davis von der City Police. Wie er sich ärgerte! Das gab mir Kraft. Freispruch mangels Beweis war auch ein Freispruch.
Auf dem Flur verabschiedeten wir uns. Was der Jurist jetzt wohl von mir dachte? In mancher Wendung hatte ich gespürt, daß er mich für schuldig hielt. Zum Teufel, ich hatte Jackie erschlagen; aber er bekam nicht wenig Geld dafür, mich herauszuhauen. Ebenso, wie mein Gesicht gehorchte und ein
zielbewußtes Politikerlächeln produzierte, konnte er gehorchen und den Verteidiger gekränkter Unschuld abgeben, Er hatte es getan, das Theater war beendet.
Ich verließ das Gerichtsgebäude, überquerte die Straße, betrat den Park. Ausgestanden! Haarscharf war das Beil des Verhängnisses vorbeigesaust. Vielleicht ein Wink des Schicksals. Ein minder gewitzter Anwalt, ein tieferschürfender Kriminalist und ich säße, ein Vierteljahrhundert lang. Ob meine Freunde unauffällig interveniert und auf flüchtigere Recherchen gedrängt hatten? Der Arm des Ringes reicht weit.
Doch jetzt war Zeit, mich um positive Gedanken zu bemühen. Es ging nicht an, daß meine Träume von der Erinnerung an jenen Abend gepeinigt wurden. Wäre schlecht für den Job! Soviel ich wußte, gab es Mittel gegen permanente psychische Belastungen. Vor dem Prozeß sich darum zu bemühen, wäre ein taktischer, Fehler gewesen. Wie, wenn der District Attorney davon erfuhr? Es hätte die Geschworenen gegen mich eingenommen.
Ich spazierte durch den Park, pfiff vor mich hin. Es bestand kein Grund zur Eile. Mein Auto war am anderen Ende geparkt, und für diesen Abend hatte ich noch keinen Termin mit meinen Partnern vereinbart. Wenn ich nämlich verloren... Aber ich war Sieger!
Es war ein Sommermittag, wie er in Virginia am Fuß der Blue-Ridge-Kette häufig ist: kaum windig, heiß, aber doch nicht lastend und nicht so feuchtwarm wie an der Küste. An gestellte aus nahen Bürobauten saßen auf den Bänken und genossen halb entkleidet die satte Wärme. Seit Tagen hatte es nicht geregnet, man drängte sich um die große Fontäne und ließ sich von Wischern übersprühen, juchzte, scherzte...
War das nicht Charles? Dort in einer Nische der Buschhecke! War er es wirklich? Doch, ja.
»Charles, hallo!«
Er blickte auf, schob seine Brille zurecht, ließ seine Notizpapiere sinken und grübelte merklich. Dann erhellte sich die Miene. »Tom! Thomas DeVito, nicht wahr, so lautete doch der Name? Eine Ewigkeit habe ich nichts von dir gehört! Daß du in diesem Nest geblieben bist! Wolltest du nicht hoch hinaus Frisco oder New York oder so?«
Keine Zeitungen gelesen? dachte ich. Der Name DeVito, mein Foto und das Bild der toten Jackie Wells füllten seit vierzehn Tagen die Frontseiten der Gazetten. Es galt, die Sauregurkenzeit zu überbrücken... Aber wohl möglich, daß ein Mann wie Charles die Massenblätter nicht las.
»Die Zeiten sind schlecht. Ich betätige mich als Makler, als Agent mehrerer Firmen ein besseres Mädchen für alles. Und du? Immer noch Elektropsychiater? Mit Marion?«
»Nein.« Das klang wie ein Schuß.
Ich schalt mich einen Tölpel. Warum erwähnen, was seinerzeit den Zwist auslöste? Vor fünf Jahren waren wir wegen dieser üppigen, olivhäutigen und schwarzlockigen Schönheit aneinander und auseinander geraten. Charles verargte mir, daß ich sie ihm ausspannte. Wenn schon, was war dabei? Wer zuwenig tut, verliert so ist nun mal die Welt.
»Nein«, wiederholte der Arzt. »Sie rutschte ab. Weißt du es tatsächlich nicht? Bald nach eurer Trennung geriet Marion in Rauschgiftkreise und wurde im Jahr darauf verhaftet und verurteilt. Was aus ihr wurde... Keine Ahnung.«
»Oh, sorry.«
Gut, daß mich meine neutrale Miene maskierte. Geahnt hatte ich es, gewußt nicht. Jedermann sollte wissen, wo er aufhören muß. Ich hatte mit dem Zwischenhandel von Heroin viel Geld verdient, hatte es aber nur einmal benutzt. Nicht einmal für mich ihr hatte ich etwas gegeben, als sie am ersten Abend allzu kühl war. Sobald mir bewußt wurde, daß sie danach
gierte, trennten wir uns. Mein Beruf verträgt keine Schwachstellen.
Rasch wechselte ich das Thema. »Und du?«
»Immer noch Elektronik zur Psychoanalyse und Behandlung. Meine Resultate in der Steuerung innerer Konflikte sind beachtlich. Aber das wird dich kaum interessieren.«
Wahrlich nicht... Halt! So etwas konnte ich vielleicht brauchen. Doch keineswegs als Versuchskaninchen! »Das gibt es schon lange. Autogenes Training, Hypnose und diese Tabletten...«
Ein Lächeln stahl sich in sein müdes Gesicht. Sicherlich dachte er jetzt, daß ich ja eher Laie war, »Psychopharmaka haben immer Nebenwirkungen. Mein Verfahren ist vollkommen anders.«
»Gibt es Erfolge?«
»Durchaus. Je stärker ein Charakter, desto nachhaltiger die Heilung. Lediglich labile Menschen werden nur zeitweilig...
regeneriert.«
Ich war ein selbstsicherer Typ mit einer Härte, wie man sie den Texanern nachsagt, und mit der ruhigen Souveränität, wie sie in Virginia als groß gilt. Hätte ich sonst den Mordprozeß durchgestanden, ohne aus der Rolle zu fallen? »Und das machst du... elektronisch? Habe noch nie davon gehört.«
»Du müßtest eben die >Advanced Medicine< lesen und nicht den >City Reporten, oder wie die Gazetten heißen. Aber die fasse wiederum ich nicht an.«
Gott sei Dank! dachte ich. »Erzähle!«
»Der innere Konflikt wird lokalisiert. Anhand der dabei ermittelten Psycho-Daten beginnt die Therapie. Gestern gelang es meinem Apparat, ein zerstrittenes Ehepaar zu versöhnen. Er war ein Hysteriker, sie an der ewigen Wiederholung seiner Probleme desinteressiert. Beide gingen in bestem Einvernehmen heim.«
»Charles, das ist doch unlogisch. Wurden ihre Konflikte gelöst? Der Zwist wird alsbald aufleben.«
»Gegen die Umstände kann die Medizin nicht kämpfen, insoweit hast du recht. Das vermochte sie noch nie. Aber erinnere dich an die Redensart von der Mücke, die zu einem Elefanten wird. Meine Methode rückt die Maßstäbe beider Seiten zurecht, so daß sie kompromißfähig werden. Die Betrachtungsweise bedeutet viel.«
Dagegen ließ sich nichts einwenden. Hundert andere Menschen hatten derselben Chance gegenübergestanden wie vor Jahren ich. Ich aber schob die Bedenken beiseite und griff zu. Es war lediglich eine Frage des Standpunkts. Wer sich von Skrupeln einzäunen läßt, kommt nicht vorwärts. Nicht die Moralgläubigen haben Amerika groß gemacht.
»Die kurzfristige Wirkung ist immens«, schwatzte Charles weiter. »Ich behalte die Patienten nach Möglichkeit im Auge die langfristige darf ich daher mit gut fünfzig Prozent ansetzen. Ein abschließendes Urteil kann man natürlich noch nicht sprechen. Ich bastele noch an Finessen meines Programms.«
»Ach so!« Also doch Versuchskaninchen. Besten Dank.
»Ich möchte es perfektionieren, um dann ein Patent einzureichen. Hast du nie bedacht, daß mit einem solchen... Psychomaten« er grinste gequält »auch Mißbrauch getrieben werden kann? Dem muß ein verantwortungsbewußter Arzt beizeiten steuern. Deshalb.«
Zum Teufel, er hatte recht. Da ließen sich Millionen verdienen. Wie, wenn ich mich in das Geschäft hängte? Es gab Leute, die an Charles’ Erfindung interessiert werden konnten. Vielleicht ließ sich solch ein Apparat auch benutzen, um Zeugenaussagen zu steuern, um Geschworene und Polizisten umzustimmen. Welch eine Chance für den Beschaffer Thomas DeVito!