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Doch ich brauchte einen persönlichen Eindruck.

»Würdest du mich als Patienten annehmen? Selbstverständlich bezahle ich die Behandlung. Ich hatte in den letzten Wochen einen Haufen Verdruß und muß mich unbedingt davon befreien. Mit vierzehn Tagen Cocoa Beach oder San Diego ist es nicht getan. Schafft dein Apparat so etwas?«

Charles fixierte mich durch die eingefärbten Gläser der Nikkeibrille. Einen langen Atemzug hindurch herrschte unbehagliches Schweigen. »Ich denke schon, Tom.« Er zog ein Notizbuch aus der Hosentasche und blätterte das Kalendarium durch. »Vor Freitag nächster Woche ist kein Termin frei. Danach käme in Betracht der...«

»Der Freitag ist mir recht.«

»Okay. Ich behandle zweimal am Tag, weil mein Computer sonst überlastet wird vormittagsum neun oder nachmittags um halb vier. Was paßt dir besser?«

»Sagen wir, der zweite Termin.«

»Notiert.«

»Und ich bringe den Scheck mit. Wie teuer ist die Behandlung?«

»Für dich mache ich es ausnahmsweise kostenlos. Wir sind ja... Freunde. Halte dir den Abend frei. Du wirst der Ruhe bedürfen.« Er präsentierte mir eine kleine Geschäftskarte mit der Praxisadresse. »Bis dann!«

2

Der Steuerraum erinnerte nicht an eine Arztpraxis, sondern an ein physikalisches Labor. Tausend Meßgeräte bedeckten die Wände. Überall blinkten farbige Lampen, zitterten Zeiger, spielten Lichtstrahlen über Monitorschirme. Eine weißbekittelte Blondine blickte flüchtig auf, widmete sich aber gleich

wieder einem Protokollwälzer, in den sie Zahlenkolonnen übertrug.

»Miß June, meine Assistentin«, stellte Charles vor. Wurde er verlegen? Dachte er an Marion? »Mister DeVito.«

Sicherlich war sie für ihn mehr als Assistentin, dafür hatte ich einen Blick. Aber was ging’s mich an! Nicht mein Typ!

»Bitte, in diese Tür! June, warten Sie noch mit dem Zuschalten. Ich muß unseren Patienten erst instruieren.«

Ich trat voran in ein kleines Zimmer. Es war fensterlos und vollkommen mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Wie eine Todeszelle! Ich erschrak und verbannte den Gedanken aus meinem Gehirn. In der Tat, ich brauchte eine psychiatrische Behandlung! Wenn mich so meine Partner erlebten Abgekämpfte, müde Mitwisser wurden entbehrlich.

In der Zimmermitte stand ein wuchtiger Polstersessel, so dunkel wie alles ringsum. An etlichen Stellen glänzte Metalclass="underline" Schienen, Punkte wie Schraubenköpfe, eine merkwürdige verbogene Spirale.

»Nimm Platz, Tom!« Charles schloß die Tür und hockte sich neben den Stuhl. »Leg deine Handgelenke in die Führungsspangen! Sie haben einzig die Funktion, die Arme in der optimalen Lage zu halten; von Festschnallen oder anderen mittelalterlichen Methoden kann keine Rede sein. Dasselbe bitte beim Kopf... Ja, so ist es richtig.«

»Keine Kabelanschlüsse, keine Manschetten?«

»Fernmeßsonden sind zwar aufwendiger, dafür weniger anfällig gegen instinktive Bewegungen. Sie erwecken vor allem keine negativen Assoziationen. Gerade in diesem Ressort ist das wichtig.

Ich werde dir jetzt den prinzipiellen Ablauf schildern. Vielleicht möchtest du es wissen, außerdem verlangt es die Vorschrift so. Du sollst dich bis zuletzt frei entscheiden können.«

»Taktvoll.« Ich dachte bereits daran, wie später unerwünscht aussagende Zeugen unter die Apparate gefesselt würden.

»Das Elektronenhirn im Vorraum analysiert in der ersten Phase den Ruhezustand deiner Bioströme. Es berechnet, welche Tonkombinationen die inneren Sperren lockern.«

»Du arbeitest mit Musik?!« Mit Mühe verbarg ich meine Enttäuschung.

»Wie du weißt, löst jeder Klang bestimmte Reflexe und Assoziationen aus. Du spürst, sobald dich eine Melodie angenehm oder unangenehm berührt. Mein Verfahren ist, grob gesprochen, die Quintessenz dessen. Die Dauer dieser Vorbereitungsphase hängt von hundert Umständen ab. Aus technischen Gründen beträgt das Minimum zwei Minuten.

Alsdann schaltet sich der Computer auf Behandlung um. Er synthetisiert aus den zuvor errechneten Sequenzen ein Heilprogramm. Je nach den Primärreaktionen deiner Nerven korrigiert er fortlaufend nach, bis ein Optimum erreicht ist und sich die Bioströme stabilisiert haben.«

»Wie lange dauert das?« Ich wollte ihm nicht ins Gesicht lachen. Mit Musik heilen was für eine Kurpfuscherei!

Charles wiegte den Kopf. »Das hängt von der Psyche des Patienten ab. Im Durchschnitt eine volle Stunde. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß dir während der Behandlung das Zeitgefühl schwindet. Noch etwas: Habe ich dich schon darauf hingewiesen, daß du anschließend eine Ruhefrist von mehreren Stunden brauchst?«

»Hast du. Ich kann notfalls zu Bett gehen. Ich wohne nicht weitab.«

»Es wird das beste sein. Manchmal glaubt man, eine schwere Arbeit getan zu haben.«

Charles trat an die Wand und drückte einen Knopf. Mit leisem Surren hob sich einen Meter vor mir ein Podest aus dem

Fußboden. Darauf schillerte eine große Kristallkugel in roten Tönen.

»Blicke bitte dorthin, Tom. Du wirst spüren, wenn das Programm einsetzt und endet. Hast du noch Fragen?«

»Sucht dein Apparat aus einem Archiv fertige Stücke aus?«

»Er steuert einen Satz Tongeneratoren, nenne ihn meinetwegen eine elektronische Orgel. Sie spielt das, was der Computer eigens für dich komponiert.«

»Okay, ich bin bereit.«

Vermutlich würde das Gerät meine Lieblingsmelodien herausfinden und mir vorklimpern. Weiter nichts. Enttäuscht, weil ich eine Chance gewittert hatte, wo keine war, andererseits beruhigt, weil ich keinen Cent verschwendete, lehnte ich mich zurück.

Nun, wann ging es los?

3

Das Licht verblaßte. Nur der Facettenkristall blieb hell wie zuvor. Unwillkürlich konzentrierte sich mein Blick. Ich atmete ruhig und entspannt, der unerschütterliche Thomas DeVito.

Irgendwann klangen von fern her Töne wie von Geigen gespielt. Weder vermochte ich eine Richtung auszumachen noch die Melodie zu benennen. Freilich, sie erschien mir vertraut. Zunächst eine Variation von sechs Tönen, ein undeutliches Summen im Hintergrund überstrahlend. Immer mehr Instrumente fielen ein, und alle nahmen das Thema auf. Etwas Klares, Sieghaftes lag in ihm. Wie ein Marsch, wie ein Ruf, Besonderes zu vollbringen. Wie mein Leben.

Der Gedanke traf mich unvorbereitet. Auch ich war einmal ausgezogen, ein berühmter Mensch zu werden ein Lincoln oder Sherman oder Armstrong. Wer träumt nicht davon? Doch

schon das Kind stolperte über die Realität, verfitzte sich in den Maschen heimtückischer Gesetze und wurde dem Verhängnis entgegengehalten wie eine im Netz gefangene Fliege. Jetzt begann ich auch zu spüren, was zu denken ich mir nie erlaubte: Das Ende kam in Sicht die Spinne.

Eine verwirrende Melodik überwucherte die simple Melodie, umstrickte sie in langatmigen, nebeltristen Passagen, bis das Thema seine Kraft einbüßte. Schwächer klangen die sechs Töne des Motivs; verzerrt, gefesselt ordneten sie sich endlich den fremden Instrumenten unter und taumelten mit in deren unschönen Klängen.

>Nein! Laßt mir das Lied! Es ist doch mein Lied!<

Rief ich? Wie gebannt hing mein Blick an den unruhigen, manchmal auch rhythmischen Lichtspielen im glitzernden Kristall.

Diese Musik belastete mich. Sie erinnerte mich an die Illusionen des jungen Thomas DeVito wie Steine in der Brandung, Tag auf Tag, Jahr auf Jahr, waren sie zerschellt. Dunkle Tonfluten trugen mich davon; ich verlor den Boden unter den Füßen und tat, um nicht zu ertrinken, was vorher meinen Abscheu erregt hatte. Lüge, Betrug, Diebstahl, Vertuschung. Was war von mir geblieben?

Dissonanzen nagten an den Melodien, traten zuerst versteckt, dann offen zutage. Ich ahnte das Übel, sah es noch nicht wie ich es stets zu spät gesehen hatte. Quälend peitschte das Tonmeer gegen die rissigen Dämme meines Ichs, bis sie erbebten und leise und trauernd im Hintergrund mein Lied: weinend, weil es nicht mehr durchdrang!