Ich warf mir den Arbeitsmantel über, suchte zusammen, was ich an Plänen und Notizen über die »Neuraltron«-Serien bei der Hand hatte, und ging hinunter. Das Mädchen erwartete mich an der Tür.
»Bitte, treten Sie ein«, flötete sie. Ich kann das Flöten nicht vertragen, meine Laune besserte sich keineswegs.
Das Zimmer war erheblich größer, als ich gedacht hatte. Man hätte es auch als Werkstatt bezeichnen können. Überall standen Apparate, zwischen denen sich dicke Kabel schlängelten; interessanterweise nie auf dem Fußboden stets in zwei Meter Höhe. Als ob der Boden unbedingt frei gehalten werden müßte.
Etwas unschlüssig schaute ich mich um, wo in diesem Labyrinth Mr. Wilton sein Versteck hatte. Meine Führerin winkte mich in ein abgeteiltes Kämmerchen. Eine kleine Lampe strahlte auf die abmontierte Frontplatte eines Rechners und auf dessen »Innereien«, wie ich das nenne. Vor einem Schreibtisch saß der ominöse Wissenschaftler. Er drehte sich um, als unsere Schritte zu hören waren. »Ja?«
»Vater, das ist Mr. Hansen.« Und zu mir: »Mein Vater.«
»Angenehm«, murmelten wir beide gleichzeitig. Er war mir auf den ersten Blick unsympathisch. Gründe hätte ich kaum angeben können. Sein Gesicht war fett nicht dick, sondern schwabblig-weich die Augen darin blickten kalt und starr. Er gefiel mir gar nicht. Doch da sah ich, er saß in einem Lehnstuhl, an dessen Armlehnen mehrere Knöpfe blinkten. Ob das...
Der Mann mußte meinen Blick bemerkt haben. »Ja, junger Mann«, meinte er kühl. »Sie sehen ganz recht. Da ich mich nicht so zu bewegen vermag, wie ich möchte, muß ich mich halt so bewegen, wie ich kann. Eben per Motor. Hatte das Pech, mit dem Auto gegen einen Brückenpfeiler zu fahren.«
»Es tut mir leid«, gab ich pflichtgemäß zurück. Sehr aufrichtig klang es wohl nicht, wie ich seinem Blick entnahm.
Dann murmelte er etwas wie: »Nun ja, vorbei ist vorbei. Was war es denn eigentlich... Entschuldigen Sie«, fuhr er lauter fort, »ich würde Sie nicht behelligt haben, aber einer meiner Rechner ist entzwei. Meine Kleine wird Ihnen gesagt haben, was mit ihm passiert ist.«
»Zumindest hat sie es angedeutet. Darf ich den Schaden besehen?«
»Bitte.«
Er rollte mit seinem Stuhl beiseite. Ich schaute in die Maschine hinein, um mich zu orientieren. Aber das war doch gar nicht die Schaltanordnung des »Neuraltron«-Rechners! Irgend jemand hatte daran herumgebastelt. Verdammt!
»Das stimmt«, bestätigte der Alte auf meine diesbezügliche Bemerkung. »Ihre Maschine war etwas langsam, wir haben sie deswegen umgeschaltet, Charles Fairey und ich. Das Schema. .. wo liegt es denn bloß? Cora, wohin habe ich es gelegt?«
»Hier ist es«, erwiderte sie leise und reichte ihm einen abgegriffenen Bogen. Ich nahm ihn dem Wissenschaftler aus der Hand, besah die Schemata und verglich sie mit den Neuralfäden im Gerät. Es stimmte alles, und grundlegende Neuerungen waren es auch nicht; seine Abänderungen entsprachen ziemlich dem Stand der letzten Forschungsarbeiten. Freilich war es Unsinn, einen Rechner mühevoll umzuarbeiten, wenn es neue mit dem verbesserten Schema gab. Daß deren Produktion den Bedarf bei weitem nicht deckte, hatte allerdings auch ich gehört. Offenbar war das der Grund. Deshalb unterließ ich eine Bemerkung in dieser Richtung, nahm ein paar herumliegende Plastnadeln und schob die Neuralfaden beiseite, um den Speicher zu besehen. Schon bald entdeckte ich einen dunklen Fleck darauf.
»Überlastung. Zwei oder drei Zellen sind durchgeschmort. Haben Sie Ersatzstücke da?«
»Cora, haben wir Ersatz im Lager?«
Sie dachte einen Moment nach und verneinte.
Ich griff also zu einem scharf geschliffenen Spezialplastmesser Metall ist als Leiter wegen der Schwachströme viel zu gefährlich, es eignen sich nicht einmal alle Plastarten! und begann die beschädigte Stelle herauszuschneiden. Das Abtrennen der haardünnen Fäden erforderte ein gewisses Fingerspitzengefühl, denn die Nachbarelemente mußten unbeschädigt bleiben. Neuronische Schaltungen sind in dieser Hinsicht extrem empfindlich. Es dauerte zehn Minuten, bis ich mit dem Minisauger die beschädigte Gruppe herauszog und mit dem Unikleber die verbliebenen Elemente verband. Die Speicherkapazität hatte sich nun um ein, zwei Millionstel verringert im allgemeinen war so etwas bedeutungslos. Ob hier... Was ging’s mich an! Ohne Ersatzteile gab es keinen anderen Weg.
»Das wäre es.«
Ich legte den Deckel wieder auf und schraubte ihn fest. Bei einer Testrechnung erwies sich, daß alles in bester Ordnung war. Ich nickte zufrieden und legte das Werkzeug beiseite.
»Vielen Dank«, sagte der Wissenschaftler, rückte den Rollstuhl an die Maschine und legte mit irgendwelchen Rechnungen los. Meine Anwesenheit hatte er offenbar schon wieder vergessen.
Gewiß ist niemand von uns geradezu auf Dankbarkeit angewiesen, aber etwas freundlicher hätte auch ein Mr. Wilton sein können. Wie es schien, gehörte er zur Kategorie Rauhbeine Art: besonders unausstehlich!
Cora schaute mich betreten an, sagte aber nichts. Vielleicht schämte sie sich für ihn.
»Herr Wilton!« Ich genoß es, ihn zu stören. Da ich schon einmal hier war, wollte ich gleich alles klären. »Herr Wilton!«
»Was gibt’s denn noch?« fragte er, ohne sich umzudrehen.
»In Ihrer Werkstatt befindet sich eine Störquelle! Ist Ihnen das noch nie aufgefallen?«
Er zuckte mit den Schultern und rechnete weiter, als ob ich mich in Luft aufgelöst hätte. Nun langte es mir.
»Ich möchte diese Quelle jetzt gleich ausfindig machen. Vielleicht haben Sie die Güte, mir dabei zu helfen. Oder interessiert es Sie nicht, ob andere Leute mit ihren Geräten Ihretwegen Ärger haben?«
Jetzt schaute er auf und musterte mich abschätzend. »Es interessiert mich in der Tat nicht. Aber wenn Ihnen soviel daran liegt... Charles wird sich darum kümmern.«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat doch Urlaub! Lieber gleich! Sie könnten es vergessen, und wenn ich schon hier bin...«
»Von mir aus«, knurrte er. »Schauen Sie sich um. Kann mir nicht denken, daß etwas nicht in Ordnung ist. Aber der Teufel holt Sie, wenn etwas kaputtgeht!«
Ich machte mich ans Werk. Cora schaute mir neugierig zu. Sie schwieg die ganze Zeit ein wenig tat sie mir leid. Mit so einem Menschen zusammen zu leben... Ich würde mich dafür bedanken.
Der Schuldige fand sich bald, ein ungenügend abgeschirmter Schalter einer Biobatterie. Natürlich ist an solch einem Ding nichts Besonderes, aber bei der Arbeit strahlt das Biest nun mal hochfrequente Wellen ab. Ein bißchen Metallfolie half sofort und gründlich.
Mr. Wilton murrte währenddessen laut und unfreundlich. Cora schlug die Augen nieder und schwieg wie ein verschüchtertes Tier.
Natürlich, jetzt wird mir das klar. Ich muß geradezu blind gewesen sein. Selbstverständlich, welcher Automat dürfte seinem Herrn widersprechen?
Indes scheint es, als ob gerade mein Widerspruch so naheliegend er auch war! Cora beeindruckt hat. Sie war nur an stillen Gehorsam gewöhnt, so daß jemand, der dem Alten entgegentrat... Hm, so könnte es gewesen sein. Mr. Wilton konnte niemandem gefallen, und auf die Dauer mußte das Cora gegen ihn aufbringen.
Aber das heißt doch, daß sie vielleicht damals begann, sich aus der Abhängigkeit zu lösen. Oder daß sie es versuchte.
Könnte es so gewesen sein?
Immer wenn ich ins nächstgelegene Einkaufszentrum ging, erkundigte ich mich nach den Wiltons. Aber das, was ich herausbekommen wollte, wußte niemand recht ob der Mann immer so unfreundlich gewesen oder es erst durch den Unfall geworden war. Manche kannten ihn mehr oder minder flüchtig.
Früher war er noch selbst unterwegs gewesen, die Lähmung mußte sich erst in der letzten Zeit verschlimmert haben; aber auch damals mochte man ihn nicht. Er hatte an allem und jedem etwas auszusetzen und führte sich unausstehlich auf.