Von der Tochter dagegen wußten alle, daß sie recht, hübsch sei manche Frauen sagten das auffällig gedehnt oder betont gleichgültig aber die meisten nannten sie durchtrieben und verdorben. Man habe schon ein knappes Dutzend Freunde oder Verlobte gezählt. Ihr Männerverschleiß sei unvorstellbar. Aber bei ihrem Aussehen fände sich immer wieder ein Ahnungsloser, der sich blenden lasse. Sie stelle ihre Figur ja reichlich unbekümmert zur Schau.
Auf dem Rückweg nach einem Einkauf traf ich sie zufällig. Sie kam von einer anderen Ecke, benutzte aber dieselbe Straße.
Vermutlich hätte ich sie nicht bemerkt; sie aber erkannte mich und rief mich an.
»Hallo!« Sie winkte mir zu und kam herüber.
Ich grüßte zurück. Sehr begeistert klang es wohl nicht.
»Man sieht Sie ja gar nicht«, behauptete Cora, als sie heran war. Ich ging nicht darauf ein, bot ihr aber an, das Netz für sie zu tragen.
Daß sie daraufhin ablehnte, war mir ausgesprochen heb. Ich schleppe auch nicht gern.
»Ich bin stark!« versicherte sie und reichte mir nachträglich die Hand zum Gruß.
Ich hatte einige Mühe, nicht herauszuplatzen. Erstens war sie schmal und zierlich gebaut, und zweitens sahen ihre Arme nicht so aus, als ob sie an Lasten gewöhnt seien. Hätte ich es damals wörtlich genommen...!
Was sie angezogen hatte, nahm ich erst später zur Kenntnis Die neueste Mode stellte es nicht dar, immerhin: Der rote Pullover aus halb durchsichtigem Stoff damit man nichts übersah! fehlte ebensowenig wie der mit leichtem Flimmerglanz verspiegelte Rock von allerhöchstens Knielänge. Diese Kleidung war unverwüstlich und auch sehr behebt. Man sieht es der Folie auf dem glasklaren Gewebe nicht an, daß sie nur hauchdünn ist. Ihre Elastizität ist erstaunlich hoch.
Über allem die langen goldblonden Locken, die in der Sonne glänzten. Zweifellos, zahlreiche Frauen beneideten sie darum, denn das Blond war echt.
Wimpern und Brauen hatte sie diesmal kaum nachgezogen. Nur die Lippen waren meiner Ansicht nach zu sehr korallenrot, um naturfarben zu sein. Geschmacksache.
»Nun, sind Sie fertig mit der Besichtigung?« Sie lächelte offensichtlich hatte sie meine Blicke bemerkt.
Ich zog es vor, ihre Frage zu überhören, und erkundigte mich, wie es ihrem Vater gehe, ob seine Forschungen erfolgreich
seien, und was man derartiges mehr fragen kann, wenn sonst kein Thema zur Hand ist.
»Tun Sie mir den Gefallen, und lassen Sie die Elektronik beiseite«, murmelte sie gereizt. »Ich kann es schon nicht mehr hören. Immer nur forschen und entwickeln und probieren und nichts weiter und nie etwas anderes!«
Ich schwieg betreten. Nach einer Weile entschuldigte ich mich.
»Sehen Sie«, sagte Cora, als wir in unsere Straße einbogen, »ich beschäftige mich wirklich gern mit der Technik. Aber ständig dasselbe... Das hielte selbst das beste Gehirn Ihrer Firma nicht aus und die sind ja besser als die natürlichen.«
»Besser gewiß nicht, nur schneller. Kein Kunsthim kann je das menschliche ersetzen. Das ist viel zu universell.«
»Mag sein, mag sein. Aber mir fehlt einfach die Abwechslung. Mein Vater Sie haben ja selbst gesehen, daß er an nichts anderes denkt als an seine Rechnerei. Und ich bin für ihn nur die Assistentin.«
»Gehen Sie spazieren!« schlug ich vor.
»Wozu?«
»Um auf andere Gedanken zu kommen.«
»Damit wäre wenig geholfen. Ich würde währenddessen doch nur an Vaters Rechner und seine Experimente denken. Das habe ich schon oft probiert.«
Wir standen an der Gartentür. Ich öffnete und ließ sie hinein.
»Dann versuchen Sie es mal mit dem Stereokino! Schauen Sie sich ein paar aufregende Filme an! Es gibt doch so viele. Und wenn das auch nicht hilft, dann... verlieben Sie sich mal!«
Sie errötete. »Lassen Sie das bitte!«
Womit sie in einem der Zimmer des Erdgeschosses verschwand.
Das ist wahr. Ich hatte das auch gleich richtig auslegen können. Für ein Kunstwesen ist es eigentlich nahezu unmöglich, sich von dem vorgegebenen Aufgabenkreis zu lösen, von seinem Arbeitsleben wegzukommen. Ohne Hilfe war das nicht zu schaffen. Aber wer sollte ihm schon helfen beziehungsweise ihr?
Ein Der Mensch kann viel eines aber ganz gewiß nicht: ununterbrochen arbeiten: Deswegen gibt es den begrenzten Arbeitstag, und deshalb sollte man den Feierabend nicht ausschließlich für das Selbststudium benutzen.
Als mir der Kopf vor Zahlen, Tabellen und Formeln schmerzte, legte ich alle Unterlagen weg und drückte die Auskunftstaste des Visiphons.
Die lange Liste von Vorträgen und Diskussionsabenden ließ mich in Anbetracht meines Kopfwehs kalt. Auch das Theater kam kaum in Frage im übrigen stand der Vermerk »Ausverkauf bereits neben der Ankündigung. Ich hätte mich über Fernseher einblenden können, aber das vermittelt nicht den zehnten Teil des Eindrucks. Die Atmosphäre fehlt.
Die Kinos zeigten diverse Filme: gute, schlechte, interessante und langweilige, lange und kurze. Ich sortierte ein bißchen, zauderte und entschied mich endlich für einen antiquierten Streifen inzwischen auf Stereo zurechtgemacht, wie daneben stand -, der etwas mit der Südsee zu tun hatte. Die Mädchen von Tahiti und Umgebung sollen damals hübscher gewesen sein als heute und derzeit sind sie ja auch nicht gerade häßlich.
Ich zog mich um, warf einen Blick nach draußen und verzichtete auf den Regenmantel. Die Uhr verriet mir, daß ich mehr als eine halbe Stunde Zeit hatte; ich konnte schlendern und würde trotzdem zu früh da sein.
Ich ging.
Auf der Treppe wäre ich um ein Haar über Cora Wilton gestolpert. Sie betrachtete den Stromzähler und notierte dessen Ziffern.
»Hallo!« grüßten wir gleichzeitig.
»Das Wort >Feierabend< ist in Ihrem Speicher wohl nicht enthalten?« erkundigte ich mich und lachte. »Sie werden noch den Robots Konkurrenz machen!«
Sie zuckte zusammen und sah verstört aus.
»Was sollte ich sonst tun?« flüsterte sie. »Herumsitzen kann ich nicht. Vater... Sie wissen ja, was er sagt, wenn man nichts tut.«
»Sie Ärmste... Ich hatte Ihnen doch vorgeschlagen spazierenzugehen zum Tanz, ins Kino, ins Theater. Es gibt so viele Möglichkeiten...« Ich lächelte überlegen, denn hier hatte ich gewiß die größeren Erfahrungen.
Cora blickte mich irgendwie ängstlich an. Ihr Gesicht war bleich, die Augen unnatürlich groß. Was war mit ihr los? Sie tat mir leid.
»Wenn Sie nichts anderes Vorhaben... und falls Sie möchten... kommen Sie mit mir! Ich will nämlich eben ins Kino. Ein Film über die Südsee.«
Ein freudiges Lächeln zerbrach die Maskenstarre ihres Gesichts. »Selbstverständlich!« Sie nickte, zauderte jedoch mit einemmal. »Ich müßte meinen Vater fragen.« Sie verschwand.
Ich fand es ausgesprochen lachhaft. Der Wissenschaftler würde seine Privatassistentin doch wohl für einen Abend entbehren können. Wie er sie ausnutzte, das grenzte an Ungesetzlichkeit. Überdies war sie erwachsen.
Einen Moment später erschien sie wieder. Ich sogleichgleich das Gefühl, sie habe Ärger gehabt, auch wenn sie nichts Derartiges äußerte. »Ich komme sofort«, sagte Cora und lächelte entschuldigend. »Warten Sie bitte ein bißchen. Das Umziehen... und bei uns ist es so ungemütlich... Wenn Sie vielleicht am Tor auf mich warten könnten?«
Ich nickte.
Es dauerte reichlich zehn Minuten, dann kam Cora, und wir gingen. Sie hatte sich in ein Kostüm gekleidet das demjenigen glich, das sie bei jenem Besorgungsgang getragen hatte. Nur war der Rock hier eine Handbreit kürzer. Außerdem trug sie Strümpfe, zart gemustert und mit einem matten Leuchteffekt versehen.
Die Zahl der Kinobesucher war gering. Ich hatte es nicht anders erwartet. Wir ließen uns ziemlich weit hinten nieder.
Es war das uralte Thema, in einer der üblichen Varianten aufgebaut. Eine Hübsche Insulanerin wollte einen hübschen und sympathischen Insulaner haben, wurde aber von ihrem Vater einem reichen und häßlichen Häuptling versprochen. Klar wie immer. Dann die Streitigkeiten zwischen diesen vier Personen, und schließlich zieht der unglückliche Liebhaber aus, um in der Feme möglichst rasch den Reichtum zu erwerben, der ihm den Besitz des Mädchens garantiert. Das gelingt ihm nicht wie denn auch? -, und er kehrt arm zurück. Das Mädchen hat indes der andere kassiert; sie aber ist dem Geliebten treu geblieben und flieht mit ihm im schnellen Boot...