Immer das gleiche Lied, der gleiche Schaumpudding. Aber ich hatte mich amüsiert, und meine Kopfschmerzen waren verflogen.
Als das Licht anging, sah ich, wie Cora das Taschentuch wegsteckte. Ihre Augen schimmerten verdächtig.
»Nanu?« erkundigte ich mich ungläubig. »Fanden Sie es, so ergreifend?«
Sie lächelte viel schöner als jene Häuptlingstochter, wie mir schien. »War es nicht wunderbar? Und sie hat richtig gehandelt. Bei Schwierigkeiten soll man nicht aufstecken! Es gibt immer einen Weg. War es nicht wunderschön, wie sie dem
Reichen die Ringe und Ketten vor die Füße warf? Ich hab’ sie geradezu beneidet. Wie glücklich sie danach war, ganz echt!«
»Echt?« sagte ich vorsichtig. Ich hatte Cora mehr zugetraut. Diesen Rührschinken so ernst zu nehmen... »Aber deshalb muß man doch nicht weinen.«
»Es war viel zu schön, da... Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geweint habe. Es muß lange her sein, aber jetzt...« Sie zog das Taschentuch wieder hervor und schneuzte sich. »So, nun ist es vorbei. Entschuldigen Sie, ich habe mich gehenlassen.«
Ihre Worte überraschten mich. Mir kam eine Ahnung. »Gehen Sie denn so selten ins Kino, Miß Wilton?«
»Alle Jahre einmal, wenn es hoch kommt. Sie wissen doch, ich komme kaum aus dem Haus.« Sie lächelte wieder, aber das überzeugte mich nicht. »Die Arbeit geht halt vor. Auch zum Fernsehen habe ich keine Zeit.«
Kein Wunder, dachte ich, daß sie dann diesen Kitsch für echt hält. Sie ist ja richtig lebensfremd. Aber ihr Vater hätte nicht so handeln dürfen.
»Sie sollten, meine ich, mehr unter die Leute von Wilton«, versetzte ich. »Auf die Dauer hält es niemand aus, wenn er immer wie eingesperrt lebt.«
Sie senkte den Kopf und nickte schwach. »Ich möchte schon...« Sie sprach so leise, daß ich sie kaum verstand. »Nur allein ist das nichts. Ich bin den Umgang mit so vielen Menschen nicht gewohnt... verstehen Sie? Ich fühlte mich meist fremd unter ihnen.«
Und wie ich verstand! Dieser Mr. Wilton!
»Solange ich mich erinnern kann«, fuhr sie fort, »hatte ich mit den Maschinen zu tun. Ich kenne nicht viele Menschen, und die, die ich kenne...« Cora brach ab und sah beiseite.
Da habe ich ja was Schönes angerichtet mit meiner Einladung ins Kino, dachte ich. Anstatt sie aufzumuntern, habe ich Erinnerungen wachgerufen, die sie wohl besser verdrängen sollte. Außerdem schien sie Minderwertigkeitskomplexe bekommen zu haben kein Wunder bei diesem Höhlendasein.
»Wissen Sie«, sagte ich schließlich, »ein Kinobesuch allein das ist so gut wie gar nichts. Nein, Sie müßten öfter mal Weggehen: jede Woche mindestens einmal, heraus aus dem Haus, unter die Leute, vielleicht auch einmal ins Theater oder einfach tanzen und sich amüsieren. Immer nur arbeiten, das ist was für Robots, aber doch nicht für uns. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht ich würde Sie schon mal begleiten, damit Sie keine Angst zu haben brauchen.«
Ihren Blick werde ich nicht vergessen. Dankbarkeit, Freude, aber auch Abwehr, ja Angst lagen darin. Doch sie antwortete nicht, sie hängte sich nur bei mir ein.
Nach einer langen Weile fing sie ganz unvermittelt zu plaudern an. Über Kleider, Einkaufsmöglichkeiten, Delikatessen; so als ob wir jahrelang miteinander befreundet wären. Als wir uns der Villa näherten, führte sie mich einen Umweg. Doch es half nichts, einmal mußten wir ja nach Haus. Bald ließ ihr Geplauder nach, sie wurde einsilbig. Der Abschied war nur mehr ein Nicken.
Ich hätte ihren Gefühlsausbruch und den plötzlichen Stimmungswandel gleich richtig bewerten sollen... aber woher soll man das ahnen? Nein, nein, keine Ausflüchte! Mir hätte einiges auffallen müssen; unbedingt, wenn ich es nur sachlich betrachtet hätte. Doch ich war nicht mehr sachlich, ich begann mich für sie zu interessieren, und das hat mich in gewisser Hinsicht blind gemacht.
Offensichtlich wollte sie der Enge ihrer väterlichen Wohnung entfliehen, wollte leben, wollte nicht mehr einsam sein. Ich spürte es deutlich genug, und ich war nur zu gern bereit, ihr
damit zu helfen natürlich nicht ganz selbstlos. Ich weiß nicht, an wen ich dabei mehr gedacht habe, an sie oder an mich Wohl doch an mich.
Daß sie sich sozusagen an mich klammerte, weil sie unsicher war und nicht die richtigen Wertmaßstäbe besaß wer wollte das einem Kunstwesen verübeln! Ich jedenfalls habe nicht das Recht, sie zu belächeln oder gar zu verurteilen. Schließlich genoß ich es, daß keine Woche verging, in der wir beide nicht unterwegs waren. Schauspiel, Oper, Kino, Femsehtheater, Sportfeste, sie war unersättlich. Unter Menschen wollte sie sein, wollte sehen und hören, wollte nicht länger außen stehen.
Nur eines vermied sie: mit mir allein zu sein. Ich brauchte lange, um sie zu bewegen, mich an einen kleinen See zum Baden zu begleiten.
Cora war kein Schwimmtalent, ich lachte herzlich über sie. Selbstredend scheute sie das Wasser nicht, aber sie liebte es auch nicht. Ich bemerkte es bald.
Wir legten uns also auf die Wiese, um uns zu bräunen. Zuerst war sie ausgelassen wie ein kleines Mädchen und alberte herum. Dann aber wurde es ihr zu warm ich schätzte es auf dreißig Grad und mehr -, und sie legte sich ein Handtuch über den Kopf. Müde und faul dösten wir dahin.
Durch ein Handtuch kann man nicht sehen. Folglich konnte ich sie ungestört von oben bis unten betrachten. Zu beschauen gab es genug, und es war das erste Mal, daß ich mit ihr so allein war.
Der hauchdünne Badeanzug dreiteilig wie alle seit... zig Jahren war der Mode entsprechend ebenfalls nicht eben undurchsichtig. Freilich, glasklar durfte nun auch keiner sein... aber es gibt ja Abstufungen und eben noch erlaubte Schliereneffekte...
»Genug gesehen?« murmelte sie.
Verflixt, konnte Cora denn Gedanken lesen?
Moment mal, wie war das? Sie besaß... ja, natürlich, sie besaß einen dreistufigen Direktor! Wie hatte ich das übersehen können! Gerade ich!
Die dreistufigen Direktoren sind doch verboten worden, weil sie instabil sind. Sie können in andere Formen Umschlägen und einen gewissen Eigenwillen entwickeln. Stimmt, stimmt nun ist mir alles klar. Dieser Wilton...! Als ob er das nicht gewußt hätte.
Doch selbst wenn, hatte er auch an die Verantwortung gedacht, die er damit übernahm? Er verstieß gegen die offizielle Bestimmung, das war schon schlimm genug, weil ein Wesen mit dreistufigem Direktor wegen seiner Unberechenbarkeit zu einer Gefahr für die Umwelt werden kann; doch er versündigte sich vor allem an Cora selbst. Zu einem Rechenknecht hatte er sie erschaffen, einem universellen Handlanger, einem vernunftbegabten Werkzeug aber sein Geschöpf war ihm entglitten. Es hatte Empfindungen entwickelt, die dem Alten unbekannt waren und deshalb unbefriedigt blieben. In Verbindung mit dem hochgradigen, aber von Wilton bewußt einseitig angelegten Intellekt führte das zu einer ständig zunehmenden inneren Spannung wir hätten es Sehnsucht genannt.
Ja, aus einem denkenden war ein fühlendes Wesen geworden. Ob instinktiv oder aus Überlegung, jedenfalls suchte dieses Wesen seine Bestätigung bei den Menschen. Es wollte ihnen gleich werden.
Was Wilton angerichtet hatte, war grandios und abscheulich zugleich. Aber da war doch noch etwas gewesen... irgendwas mit Bioströmen... Was war es nur...? Richtig, es hieß, dreistufige Direktoren wären übersensibel für fremde Biofrequenzen