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und könnten sie auf gewisse Entfernungen nicht nur wahmehmen, sondern auch ausdeuten. Tatsächlich, das wäre dann fast so etwas wie das Erraten von Gedanken. Wer die Problematik kennt, der...

Arme Cora! Sie hatte also immer gewußt, was man in ihrer Nähe über sie dachte; und wenn auch nur in Umrissen, so war es doch oft mehr als genug.

Immerhin, auf diese Weise konnte sie viel lernen, indem sie einfach mein Verhalten beobachtete bei einem Film etwa oder bei einem Streit über moralische Probleme. Ich... ich war also ihr Lehrer gewesen? Mir wurde schwindlig.

»Weißt du, Pieter«, sagte sie und lächelte ein wenig, »ich habe eine Ahnung. Gleich wirst du mir erklären, daß wir uns lange genug kennen, um wesentlich schönere Bindungen einzugehen. Ist es wahr oder nicht? Ich sehe es dir an der Nasenspitze an.«

Ich war verblüfft. Es stimmte aufs Haar.

»Aber so einfach ist das nicht.« Ihr Lächeln verflog, ein gewisser Ernst breitete sich aus. »Ich habe zu viele Lügen gehört für immer zusammen sein und so weiter -, als daß ich sofort daran glauben könnte.«

»Ich... ich hörte davon...«

»So?«

»Anfangs dachte ich sogar... Ich meine, ich befürchtete, du... Ich sollte nur...«

»Ich verstehe schon«, flüsterte sie, »du brauchst nichts zu sagen...«

Für eine Weile sprach niemand. Ich bemerkte aber deutlich, daß sich Cora über irgend etwas nicht schlüssig war. Sie sagte zwar nichts, doch nahm ich an, es hätte mit ihrem Vater zu tun.

»Ist dein Vater sehr ärgerlich, weil ich dich so oft entführe Theater, Kino, Veranstaltungen und das andere. und besonders hierher?« .

Sie nickte schwach. »Er sieht es nicht gern, wenn ich mit dir ausgehe. Wenn’s nach ihm ginge...« Sie drehte den Kopf zur Seite und schwieg.

Ich lachte. »Du bist doch großjährig!«

»Aber er wünscht es nicht...«

Darauf konnte ich nur den Kopf schütteln. »Du solltest dir eine andere Beschäftigung suchen. Er kann dir doch nicht vorschreiben, wie du zu leben hast. Das mußt du schon selber wissen er kann dir raten, aber dich nicht kommandieren.«

»Leicht gesagt.« Sie seufzte. »Aber wo? Und als was?«

»Hast du ein Diplom oder so etwas? Fachleute gerade für die Neuronik suchen wir händeringend.«

»Einen Abschluß nicht... das ist alles Selbststudium.«

»Kleinigkeit! Das schaffen wir. Du meldest dich bei einer Prüfungsstelle an. Wir setzen uns zusammen, das meiste kannst du vermutlich schon, dann hast du dein Papierchen, und dann hast du auch die Stelle.«

»Meinst du, daß ich das schaffe? Ich...«

»Mach dich nicht schlechter, als du bist. Du schaffst es, ich helfe dir dabei morgen fangen wir an. Einverstanden?«

Coras Gesicht nahm einen Ausdruck an, als ob sie aufmerksam lausche. »Im Emst, Pieter, du würdest mir helfen, von meinem...«, sie zögerte, »von meinem Vater loszukommen? Mir deine Zeit opfern, um mir mathematische Formeln und physikalische Gesetze beizubringen?«

Ich verstand ihre Feierlichkeit nicht. »Natürlich«, sagte ich. »Die Hauptsache ist doch, daß du willst!«

Warum zweifelte sie daran? Soviel Zeit würde ich allemal aufbringen. War es nicht einfach rückständig, wie sie von dem

Alten in Abhängigkeit gehalten wurde! Wer sollte da ruhig Zusehen!

»Und was versprichst du dir davon?«

Jetzt zögerte ich und suchte nach Worten.

»Sei still.« Sie legte mir die Hand auf den Mund. »Ich weiß es auch so. Und... und wenn du dann...enttäuscht bist?«

Ich drückte einen Kuß auf ihre Handfläche. »Cora«, sagte ich, »auch wenn ich dich nur einmal in der Woche sehe was ändert das schon? Im übrigen hängt alles von dir ab.«

Ich meinte es ehrlich. Ein Mädchen wie Cora durfte man nicht drängen, sonst brach alles entzwei. Wenn sie von selber kam... und dieses Glück wollte ich mir keinesfalls verscherzen.

Ihr Gesicht wurde merklich heller. Sie lächelte wieder. »Gut, morgen fangen wir an. Und heute...«

»Und heute?« Ich hielt den Atem an.

Sie wandte mir den Kopf zu und sah mich zum ersten Mal wirklich voll an. Ihre Augen waren klar und tief.

»Komm«, meinte sie, ehe ich etwas sagen konnte, »gehen wir. Das andere kannst du mir im Wagen erzählen.«

Ich bin doch sonst nicht so... so zurückhaltend. Aber Cora hatte etwas in ihrer Art man könnte sie als ausgesprochen scheu bezeichnen. In jedem anderen Fall hätte ich mir nicht die Mühe gegeben, sie so zu umwerben. Aber Cora wenn sie mich ansah, lag Wärme in ihrem Blick, doch auch eine gewisse Angst...

Es muß die Angst vor einer Enttäuschung gewesen sein! All das, was ich von ihren früheren Freunden zu hören bekommen hatte, dürfte schon stimmen, nur liegen die Dinge anders wie ich freilich erst jetzt weiß. Es scheint, als ob sie davor bangte, daß sie mir nun die Wahrheit offenbaren mußte, da sie in einer

solchen Situation, wie sie auf sie zukam, nicht lügen konnte. Das würde auch zu ihrer Bemerkung passen...

»Hast du heute abend ein Stündchen für mich übrig?«

»Sicher.«

»Ein netter Film läuft im Fernsehen. Du könntest ihn dir bei mir anschauen. Etwas Wein habe ich auch noch...«

Sie sah beiseite.

Einige Augenblicke sagte niemand etwas, dann meinte sie: »Gut, ich komme...«

»Du siehst wirklich aus, als ob schwere Kämpfe nötig waren, um ja zu sagen.« Ich lächelte. »Aber wart’s ab, ich glaube, es wird schön werden heute abend.«

»Ich hoffe es... Ich hoffe es sehr«, flüsterte sie.

»Wie bitte? Ich verstehe nicht ganz...«

»Ich erzähle es dir dann. Es ist nicht ganz einfach, denn ich weiß ja nicht... Wir werden sehen...«

Cora war noch nie so bedrückt und unruhig gewesen. Was mochte sie befürchten?

Ja, das war wohl der Grund ihre Angst, daß ich sie zurückstoßen könnte, weil sie ein Kunstwesen und kein Mensch war. Offenbar hatten das schon einige Männer getan. Arme Cora!

Ehrlich, Pieter, was hättest du getan?

Sie riskierte es trotz der vielen Enttäuschungen zuvor. Sie wollte sich mir anvertrauen und ich? Hätte ich die Prüfung bestanden? Mir wurde heiß bei dem Gedanken...

Hatte sie mich so gründlich geprüft, daß sie hoffen konnte, ich würde sie nicht zurückstoßen? Natürlich, sie mußte ja sehr zurückhaltend sein, um nicht aufs neue gedemütigt zu werden. Vielleicht beobachtete sie mich schon, um zu sehen, wie ich

auf diese Scheu reagierte denn wenn sie fühlen konnte, dann konnte sie auch die Demütigung fühlen!

Eine Hitze herrschte hier im Zimmer, geradezu unerträglich! Vergeblich versuchte ich mir Kühlung zuzufächeln.

Wenn sie manche meiner Gedanken erraten hat, dürfte sie ja wissen, wie wenig ich bislang von Mädchen hielt, die sich, ewig »zierten«. Verdammt, dann mußte sie eine bessere Meinung von mir haben als ich selbst. Oder war es blindes Vertrauen? Nein, das ganz gewiß nicht. Dafür hatte sie zuviel durchgemacht.

Vielleicht war es einfach Zuneigung?

Die Sache ist schlimm genug. Eigentlich hätte es Cora nie geben dürfen. Mr. Wilton hätte niemals einen dreistufigen Direktor in seine »Privatassistentin« einbauen dürfen. Doch das ist nun nebensächlich geworden es gibt sie ja.

Aber ich ich! kann doch nicht sie dafür bestrafen, denn Cora kann gewiß nichts dafür, daß sie auf der Welt ist. Sie tat das einzig Mögliche: Sie versuchte, in dieser Welt zu leben. War das etwa falsch? Nein, es war richtig, also muß man ihr helfen und sie nicht bestrafen oder gar töten, denn sie ist die Leidtragende und nicht die Schuldige.

So.

Cora wollte zu den Menschen, das steht fest. Kann man sie zurückstoßen? Mit welchem Recht denn? Es war für sie nicht einfach, und oft wurde sie brutal und mit Abscheu abgewiesen. Sie muß grenzenlos gelitten haben, und dennoch... Wie dürfte man sie jetzt bestrafen!