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Harald dirigierte mich ins Wohnzimmer.

Im Gegensatz zum verkommenen Äußeren war das Innere des Hauses durchaus behaglich eingerichtet. Freilich fehlte der heutige Komfort. Statt eines autonomen Klimasystems arbeitete eine Zentralheizung die gardinenverhängten Fensterscheiben bestanden aus gewöhnlichem Glas sämtliche Lampen schienen simple Glühbirnen oder Leuchtröhren zu enthalten Tisch und Schränke aus Holz es gab Ledersessel und ein breites Sofa.

Auf dem Diwan lag, in Decken gehüllt, ein kahlköpfiger Greis und starrte mich stumm an. Daneben stand ein metallener Koffer voller Kontrollämpchen. Ich erkannte das Universalsteuergerät, mit dessen Hilfe die Ärzte Herzkranke über Rhythmusstörungen hinwegbringen. Kabel verschwanden unter den Decken, wohl Meßund Regelanschlüsse der Maschine. Eine junge Frau im weißen Kittel erhob sich, nickte uns zu und ging wortlos hinaus.

»Guten Tag, Herr Malloy.« Ich trat näher.

»Guten Tag!« krächzte er.

Sein Aussehen entsetzte mich. Kaum andeutungsweise ließ sich dieser Totenschädel mit dem Foto aus der Mappe vergleichen. Falten, Narben, vielfarbige Flecke kündeten von seinem Alter; und der graugelbe, stumpfe Ton seiner Haut schien mir ein Symptom dafür zu sein, daß er nicht mehr lange zu leben hatte. Daran änderte auch der wache, forschende Blick seiner Augen nichts.

»Der Arzt informierte mich, daß Sie einen Biotechniker sprechen möchten. Ich bin Doktor Antonia Strzyczylik vom hiesigen Institut.«

»Tschüzü...?«

»Sie können Antonia zu mir sagen. Im Institut nennen mich alle so«, fügte ich mit einem Lächeln hinzu.

»Setzen Sie sich doch. Es wird eine Weile dauern«, begann Malloy. Er sprach jetzt leise, flüssig und völlig akzentfrei. Daß es mir anfangs schwerfiel, ihn zu verstehen, lag an der Heiserkeit seiner Stimme und seiner eigentümlichen Betonung. »Mit mir geht’s zu Ende. Hat wenig gefehlt, und ich wär’ krepiert wie ein Hund. Zum Glück fiel mir gerade noch was ein. Mir ist noch immer was eingefallen... Schätzungsweise wissen Sie, warum ich hier vergraben bin, wie?«

»Es heißt, Sie seien wegen vier-fünfzehn pensioniert worden.« Ich suchte mir einen Stuhl.

Der Arzt betrachtete das Gerät und notierte etliche Skalenangaben. Seine gerunzelten Brauen verrieten Unmut. Endlich setzte er sich außerhalb von Malloys Blickfeld hin und knackte nervös mit den Fingern. Vom Schachspiel her wußte ich: Es stand übel um seine Figuren.

»Explizit das. Nicht meine Schuld, wenn sich die Leute affig haben.«

Auch eine Charakteristik, dachte ich. Eher für dich als für deine Richter. Mit menschlichem Erbmaterial zu experimentieren ist keine Kleinigkeit, und wegen Lappalien wird niemand in die Wüste geschickt.

Doch ich sagte nichts. Was sollte jetzt noch der Streit um Worte! Im übrigen schien mir Malloys Sprechweise irgendwie... falsch. Sie paßte nicht zu einem Mann dieser Qualifikation.

»Hatten Sie selbst jemals mit Chromosomenkorrekturen zu tun, Frau... eh..., Antonia?«

»Am Rande. Ich bin auf Konversionsfermente spezialisiert. Aber das Allgemeine weiß ja jeder.«

Er bleckte die Zähne. »Was ich Ihnen erzähle, weiß noch niemand. Am liebsten hätte ich’s selbst abgeschlossen, aber

daraus wird ja wohl nichts. Daß doch...! Als man mich damals hinauswarf, kaufte ich diese Bruchbude und etliches Gerät, um meine Idee solo zu verwirklichen. Fünfundzwanzig Jahre harter Arbeit, meine ganze Pension und ständige Entbehrungen stekken darin. Ahnen Sie, was ich schaffen wollte?«

»Den Homunkulus«, erwiderte ich so gleichmütig wie möglich, um ihm jeden Triumph zu rauben. Er war ja nicht der erste Fanatiker.

»So blöde bin ich nicht!« sagte Malloy grob. »Weshalb einen synthetischen Homo sapiens hersteilen, wenn es Milliarden natürliche und ein weit billigeres Produktionsverfahren gibt? Ich wollte Neuland betreten, einen anderen Sapiens schaffen. Verstehen Sie einen anderen! Eine Intelligenz, die gänzlich neue Eigenschaften besitzt, Fähigkeiten, die es heute nirgendwo gibt.«

Kein Homunkulus was dann? Weshalb hatte Harald keine Andeutung gemacht? Dann säße ich nicht wie ein Neuling einem Großmeister gegenüber, der zu jeder Sekunde das Matt erzwingen kann.

»Dabei ging ich aus von der...« Ruckartig bewegte sich sein Kopf, aber der Körper blieb schlaff auf dem Sofa ausgestreckt. »Ich wollt’s Ihnen aufzeichnen, aber das geht, scheint’s, nicht mehr. Verflucht! Sie kennen den menschlichen Chromosomensatz, Frau Antonia!«

Ich nickte schweigend, hellwach.

»Ihn mit Sätzen anderer Wesen zu paaren ist unmöglich, weil sie nicht zusammenpassen. Bekannt?«

»Zum Glück geht es nicht.« Ein häßlicher Verdacht glomm in mir auf, ich dachte an den Minotaurus, die Zentauren und andere Fabelwesen. Was hatte dieser Malloy angestellt? Etwas Ärgeres als für vierhundertfünfzehn?

»Als Ausweg erwog ich, zwei Wesen zur Ergänzung zu benutzen.«

»Zwei? Ich verstehe nicht...«

»Zwei. Die Chromosomen des ersten komplettieren den einen Teil des menschlichen Satzes, die anderen den verbleibenden Rest.«

»Wahnsinn!« rief ich aus. »Solche Versuche mit Amateurmitteln und ohne Kontrolle... Zu Recht hat man Sie aus dem Institut gejagt! Unter Aufsicht hätten Sie bleiben müssen!«

Malloy schloß die Augen. Sein Totenkopfgesicht war noch grauer geworden, und mir schien, als ob sein Atem unregelmäßig ginge. Harald beobachtete sorgenvoll, den Kranken und die Anzeigen des Gerätekoffers. Tadelnd blickte er mich an. Zugegeben, dieser Mann war alt und krank nein, todkrank -, doch sollte ich deshalb lügen? Bereits einmal gewarnt, belehrt und bestraft, hatte er etwas begonnen, was weitaus ärger war als alle Homunkuli zusammen falls es funktionierte. Zum Glück konnte es das nicht.

»Lassen Sie das Recht beiseite!« grunzte der Alte. »Doktor, führen Sie diese wutschnaubende Rachegöttin zu meinem Schützling! Mal sehen, ob die Fakten sie eines Besseren belehren.«

Wortlos erhob sich Fendler und ging voran. Im Vorraum schickte er seine Assistentin zum Kranken.

»Ich hätte nicht aufbrausen dürfen«, gab ich zu, um seinem Vorwurf zuvorzukommen. »Aber ist sich Malloy nicht darüber klar, was er anrichtet? Genetische Manipulationen am Menschen sind prinzipiell und aus gutem Grund untersagt. Bisher dachte ich, das sei längst erledigt und Geschichte...«

»Es ist erledigt und Geschichte, Toni«, erklärte Harald überraschend gleichmütig. »Malloy gehört zu den Zeitgenossen jener Entscheidung, aber er stand auf der anderen Seite. Machen wir uns nichts vor, er liegt im Sterben. Doch sein Erbe wird uns zur Last fallen.« Er führte mich in einen Flur.

»Was für ein Erbe? Theorien, Akten, Versuche?«

»Du wirst es gleich sehen. Übrigens fanden wir ihn dort.«

Der schlechtbeleuchtete Korridor ging in eine Treppe über. Im Kellergeschoß angekommen, gelangten wir durch zwei hermetisch abgedichtete Türen in ein zum Labor umgebautes Zimmer.

Deckenlampen erhellten den quadratischen Raum. An drei Seiten wurde er von fensterlosen Mauern begrenzt, die vierte Seite war durch einen flimmernden Metallfolienvorhang verschlossen. Ein Institut hätte die Einrichtung längst zum Praktikumsbereich abgeschoben, aber tauglich war sie bestimmt. Analysatoren eine Zentrifuge ein kleines Elektronenmikroskop, Marke »Lupe« in einer Ecke das Steuerpult des Mehrzweckrechners. Alle Achtung! Hier also hatte er experimentiert. Wie weit mochten Malloys verbotene Forschungen gediehen sein?

Ich schaute hierhin und dorthin. Nirgends gab es etwas vorzuzeigen. Wo waren die Zellhybridkulturen? In einem der vielen Thermostaten?

Harald ließ mir Zeit, mich umzusehen. Heiser sagte er: »Mach dich auf etwas gefaßt!« Mit einer Kordel zog er den Vorhang rasch beiseite.

Eine durchgehende Glasfensterwand, in die eine Tür eingelassen war eine der Scheiben war zerschlagen, die Scherben glitzerten noch am Boden. Ich trat näher. Wie von einer Loge aus blickte ich in einen großen, hell ausgeleuchteten Raum. Es lag etwa einen Meter tiefer als das Labor und war einst vielleicht die Garage der Villa gewesen. Jedenfalls hatte Malloy mehrere Zwischenwände entfernen lassen, um den Platz zu vergrößern. An der Decke hingen weißviolettstrahlende Leuchtkörper, deren kaltes Licht auf einen Metalltank fiel.