»Ach, du lieber...!«
Aus dem Metalltank wuchs ein vielfältig verschlungenes Fleischgebilde von elfenbeinweißer Farbe, einem überdimensionalen Kalmar ähnlich. Rhythmisch bebende blaurote Adern zogen sich als Netz dicht unter der Haut entlang, Tentakel schwangen träge hin und her. Der formlose Rumpf schwamm in einer dunklen Flüssigkeit.
Langsam wanderten grüne Flecken von unten nach oben durch die Oberhaut wie riesige Blattläuse auf einem Stengel, und die Arme pendelten und blähten sich wie Preßluftschläuche unter Druck. Ein Krake?
»Was ist das? Harald, was ist das?!«
»Das müßtest du doch wohl eher wissen«, erwiderte er, grau im Gesicht. »Ich kenne das ja nun schon... Du weißt, ich kam mit dem Notarztwagen. Weil niemand auf unser Klingeln hin öffnete, drangen wir ein. Das Telefon im Wohnzimmer war nicht abgehoben, daher suchten wir nach einem Zweitapparat. Ich stieg in den Keller, kam ins Labor, hörte schwache Rufe und fand Malloy da drüben an den Rohrleitungen bei Bewußtsein, aber erschöpft« Harald wandte sich mir zu. »Als ich das da sah, wurde mir übel. Ich bin solche Dinge nicht gewöhnt. Malloy weigerte sich, in eine Klinik gefahren zu werden, und bestand darauf... Angerufen hätte ich dich ohnehin, das Tier muß ja liquidiert werden. Komm, mir wird wieder schlecht!«
Aus dem Tank quoll neue Masse hoch, stülpte eine Blase auf dem Leib des kalmarähnlichen Tieres aus. Auch mir stieg Übelkeit in die Kehle, aber ich wartete und beobachtete das Geschehen. Die Blase verfärbte sich ins Schwärzliche, die Fangarme senkten sich langsam wie ermüdete Blütenzweige.
Dann erstarrte alles, und nur der Puls des Wesens bebte rhythmisch weiter.
3
Während wir sein Geschöpf besehen hatten, hatte Malloy offenbar die letzten Kräfte zusammengerafft. Sein Blick war klar und verriet etwas von dem Starrsinn, der ihn die Gesetze des Internationalen Forschungsprogramms für Genetik übertreten ließ. »Na, wie gefällt Ihnen das Triom?« erkundigte er sich mit einem Anflug von Heiterkeit.
»Abscheulich«, erwiderte ich. »Wenn das ein Fortschritt sein soll, müssen Sie wenig von Fortschritt verstehen.«
»Was sein wird, wird sein. Erwarten Sie von mir die Arbeit ganzer Institute? Ich will Ihnen erzählen, was ich tat. Mir ist verdammt schwindlig im Kopf...«
»Machen Sie rasch, Malloy!« warf Harald ein und schaltete mit gerunzelter Stirn am Apparat. »Sie müssen schleunigst in die Klinik. Das Reden ist Gift für Sie.«
»Weiß selbst, die Zeit drängt. Mein Computerchen berechnete mehr als hunderttausend theoretische Kombinationen, um den Chromosomenpartner zu bilden. Die Liste liegt in meinem Safe. Postum könnte es gar zum Nobelpreis reichen.« Er kicherte. »Dann begannen langwierige Experimente, Sie kennen so etwas.«
»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Woher hatten Sie das Material?«
»Nehmen wir an, ich fand’s auf der Straße.«
»Unfug. Zellkulturen liegen nirgends herum. Haben Sie sie etwa gestohlen?«
»Spielt das heute noch eine Rolle? Gekauft, Frau Antonia, von Unehrlichen ehrlich erworben. Bestechliche Menschen gab es seit je. Natürlich schlugen neunundneunzig Prozent meiner Versuche fehl. Aber nach sieben fruchtlosen Jahren erzielte ich bei einem Dutzend verschiedener Hybriden Zellwachstum.«
Die Mischung aus Zynismus und Lässigkeit trieb mir das Blut in die Wangen. Doch besann ich mich darauf, daß dieser Sterbende bereits personifizierte Vergangenheit sei, und schwieg.
»Zugegeben, die Aufzucht hatte ich mir leichter vorgestellt. Immer wieder gingen die Keimlinge ein, wohl wegen grundverkehrter Behandlung. Was wollen Sie! Die Natur kennt keine vergleichbaren Wesen; der Satan allein mochte ahnen, wie man sie zu versorgen hatte. Die meisten kriegte ich trotz aller optimierenden Tricks nicht durch die Frühstadien. Zuletzt hielt nur mehr das Triom T 72 C stand, eine extrem widerstandsfähige Konstellation. Sie haben es gesehen.«
»Leider. Wieso eigentlich Triom?«
»Das Recht der Namenswahl steht dem Konstrukteur zu, Frau Antonia. Nach einem Bedenken entschied ich mich für Trichromosom, kurz Triom. Schließlich sind drei Partner an der Zeugung beteiligt. Im Fall T 72 C halfen ein südamerikanischer Zwergfisch und eine Meeralgenart. Die exakten Daten sind im Safe... Sagte ich wohl schon.«
Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte die Tür hinter mir zugeschmettert. Doch das war untunlich. Eine Untersuchung mußte anberaumt werden, und die Kommission brauchte neben den Fakten fundierte Aussagen. Doktor Fendler verstand zuwenig von der Materie. Andere Experten heranzuziehen war riskant, unterdes dürfte Malloy sterben. Nein, private Gefühle mußten zurückstehen.
»Mein Triom steht außerhalb aller irdischen Lebensformen, ist weder Pflanze noch Tier.« Es klang stolz. »Haben Sie die grünen Flecken gesehen? Da wird fotosynthetisch Traubenzukker produziert. Andererseits besitzt T 72 C Muskeln und Nerven, übrigens auch eine Art Ohr. Augen werden dagegen nur bedarfsweise ausgebildet. Ich verstehe das noch nicht...«
War jene schwarzglänzende Blase ein Auge gewesen? Nachfragen und dadurch mein Interesse zeigen? Lieber bisse ich mir die Zunge ab.
Andererseits, eine Leistung war diese Synthese, diese Züchtung schon.
»Die Arme sind Extremitäten im tierischen Sinn, sie führen dem Mund Nahrung zu. Hingegen gibt es im Tank ein Wurzel geflecht, um Salze aus der Flüssigkeit zu saugen. Ich habe einen Speiseplan aufgestellt, vor allem der Spurenelemente wegen halten Sie sich bitte genau daran, wenn ich in der Klinik bin, auch später...«
Erstmals hatte Malloy »bitte« gesagt. Offensichtlich zerbrökkelte seine Kraft. Die Adern an den Schläfen schwollen, die Lippen zitterten, Schatten dunkelten unter den Augen.
Zweifellos war die Quelle seines Redestroms der Wunsch, sich abzulenken. Er fürchtete den Tod. Durchaus menschlich.
»Wozu das?« fragte ich endlich. »Sie wußten doch vorher, daß die Gesetze Ihre Versuche verbieten; bei Ihrer Bildung kannten Sie auch die Gründe. Was bezweckt Ihr Drauflosexperimentieren?«
In Malloys faltigem gelbgrauem Gesicht zuckte es. Er blickte mich auf merkwürdige Weise an und sprach in gewandeltem Ton weiter. Wäre nicht die heisere Stimme gewesen, man hätte glauben können, dort liege ein anderer Mensch. »Frau Antonia, Sie sollten mich nicht für einen Narren halten. Mein Ziel ist... Intelligenz, und mein Gedankengang war so: Ein komplizierter Chromosomensatz dürfte ein komplexes, vielseitiges Wesen produzieren. Zuge geben, ich tappte ins Dunkle aber einer muß doch vorangehen. Sie haben T 72 C gesehen, für wie intelligent halten Sie ihn?«
Ich wechselte einen Blick mit Harald. Intelligent?
»Hatten Sie erwartet, daß mein... Produkt Befehle versteht und ausführen kann? Ich sehe Ihr Erstaunen. Meinen Sie, mir
ging es anders? Ich rechnete damit erst nach etlichen selektierten Generationen von Triomen. Weil es mir an Partnern für Debatten fehlte, gewöhnte ich mir Selbstgespräche an. Vor einem Jahr bemerkte ich bei der Auswertung von Nervenimpulskurven, daß das Triom zielgerichtet reagierte!
Im ersten Jubel wollte ich die ganze Welt herrufen, doch dann dachte ich an Ihre albernen Direktiven und beschloß, unbestreitbare Beweise zu schaffen. Tag und Nacht übte und schulte ich das Triom. Bald schon... Leider kam mein Schlaganfall dazwischen«, seufzte er.
»Dressur hat nichts mit Intelligenz zu tun, Herr Malloy. Ein Papagei kann sogar sprechen, ohne daß...«