Выбрать главу

Eine Tür hörte er leise klappern, Schritte kamen näher, hielten vor seinem Bett. Er hörte die Schwester etwas sagen. Dann sprach eine tiefe Männerstimme zu ihm, und es waren harte, deutsche Worte.

«Hären Sie mich?«fragte General Oronitse. Er beugte sich über das Bett und berührte Pohlmann an der Schulter.

«Ja«, sagte Pohlmann leise.»Wer sind Sie?«

«General Oronitse. Isch habbe Fragän an Sie.«

«Bitte. «Der Kehlkopf Pohlmanns zuckte wild.»Bin. bin ich blind?«

«Nein. «Oronitse sagte es gleichgültig. Es war der beste Tonfall zur Tröstung.»Kännän Sie Bettina Wolter?«

«Ja, natürlich. «Pohlmann wollte sich aufrichten. Er ächzte, in seiner Brust sprang ein höllischer Schmerz auf, und da war auch schon die warme, weiche Hand der Schwester, die ihn ins Bett zurückdrückte.»Was ist mit Bettina? Ist sie tot?«

«Wäg ist sie«, sagte Jassenskij hart.»Wie lange kännän Sie Bettina?«

«Zwei Jahre. Wieso ist sie weg?«Pohlmann atmete röchelnd. Er wußte nicht, daß eine abgesplitterte Rippe in die Lunge gestoßen war und sie zerfetzt hatte. Nur wahnsinnige Schmerzen spürte er bei jedem tieferen Atemzug.

«War Bettina eine Spionin?«fragte Jassenskij rücksichtslos. Pohlmann wollte sich wieder erheben.

«So ein Blödsinn«, keuchte er.»Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie… Sie, der andere. Ein Blitz hat eingeschlagen, alle Instrumente fielen aus, ich flog einfach nach Gefühl und kam so nach Tiflis. Ein reiner Zufall war das. Das ist alles. «Er hob die Arme und preßte sie auf seinen brennenden Brustkorb.»Es war meine Schuld. Ich habe die Maschine zu steil gelandet.«

Oronitse und Jassenskij verließen das kleine Zimmer mit dem Gefühl, indirekt Idioten genannt worden zu sein. Vor allem Jassens-kij, der Eifrige, war sehr nachdenklich.

«Gut«, sagte er draußen auf dem Flur.»War es ein Blitz, Genosse General. Sie haben sich verirrt. Er ist zu steil gelandet, Sie haben es ja selbst gesehen. alles war so, wie wir es schon seit Stunden wissen. Aber warum versteckt sich das Mädchen, dessen Bruder in Westdeutschland bei der Abwehr ist?«

«Vielleicht deshalb«, sagte General Oronitse ruhig. Beleidigend war es, wie er an Jassenskijs abstehenden Ohren vorbeisah.»Stellen Sie sich vor, dieses Mädchen hat Angst: der Vater in Rußland vermißt, angeblich in Gefangenschaft gestorben, der Bruder bei der Abwehr in Bonn — und nun fällt sie vom Himmel und ausgerechnet nach Rußland hinein. In ein Rußland, von dem man im Westen Wunderdinge erzählt.«

«Infame Lügen, Genosse!«rief Jassenskij laut.

«Natürlich. Aber ein Mädchen glaubt es. Und es wird versuchen, entweder nach dem Iran oder nach der Türkei durchzubrechen. Zumal sie Russisch sprechen kann.«

«Ein großes Verdachtsmoment, Genosse General. «Jassenskij blätterte wieder in seinen Papieren.»Warum lernt ein junges Mädchen Russisch?«

«Warum nicht, Genosse? Wir sprechen doch auch Deutsch.«

«Das brachte der Krieg mit sich. Aber ein junges, modernes Mädchen?«

«Englisch, Französisch und Spanisch kann sie bereits. Ein kluges Täubchen, Safon Kusmajewitsch. «General Oronitse winkte ab, als Jassenskij etwas sagen wollte.»Seien wir klüger, Brüderchen. Lassen Sie uns keinen Mist riechen, wo es nach Rosen duftet.«

Bis 23 Uhr dauerten die Verhöre der Überlebenden, und sie waren sinnlos wie alle Verhöre vorher. Die Passagiere lobten die Stewardeß Bettina, mehr konnten sie nicht sagen. Und auch Paul Andresen, den sie noch einmal sprachen, brachte nichts Neues. Im Gegenteil, er sagte:»Meine Herren, ich habe es Ihnen doch schon erzählt: Bettina holte sich einen Blitz vom Himmel, sagte zu Petrus >Danke schön, Väterchen mit dem weißen Bart< und lenkte den Blitz auf das Flugzeug.«

«Ein unangenehmer Mensch«, sagte Jassenskij nach diesem letzten Verhör.»Lächerlich macht er sich über uns. Bevor wir ihn abschieben nach Deutschland, sollte man ihn noch einmal verprügeln. Aus Versehen, verstehen Sie, Genosse?«

Nach dem Besuch im Grusinischen Krankenhaus Nr. I fuhr man noch einmal zu den Trümmern des Flugzeugs. Oronitse und Jas-senskij krochen selbst durch die ausgeglühten und mit dem Schaum des chemischen Löschmittels überzogenen Wrackteile und ließen sich vom Major der Flugplatzfeuerwehr alles erklären.

«Hier ist kein Toter mehr drin«, sagte der Major.»Alle Überreste haben wir zusammengetragen. Sie waren so beschaffen, daß man sie noch identifizieren konnte. Eine Stewardeß war nicht darunter. Ganz sicher ist das, Genosse General.«

«Über die Grenze kommt sie nicht. «Oberst Jassenskij steckte sich nach der Besichtigung der Trümmer eine Papirossa an. Ein wenig bebten seine Finger, denn es war entsetzlich, die verkohlten Sessel anzusehen und sich vorzustellen, wie die angeschnallten Menschen dort verbrannten.»Zur Türkei und zum Iran ist alles abgeriegelt, und es ist nicht anzunehmen, daß sie das Kaspische Meer oder das Schwarze Meer durchschwimmt.«

Es sollte ein Scherz sein, aber Oronitse nahm ihn wonnevoll auf.

«Ein Glück, daß Sie wenigstens das nicht ernst nehmen, Safon Kus-majewitsch«, sagte er.»Es wäre schwierig, sie daran zu hindern, indem man die Meere trockenlegt.«

Oberst Jassenskijs abstehende Ohren glühten wieder. Ein widerlicher Mensch, dieser Fjodor Nikolajewitsch, dachte er. Ein General mit zersetzendem Intellektualismus. Man wird ihn im Auge behalten müssen, denn nicht jeder General ist ein guter Kommunist.

20. Mai, morgens 9 Uhr.

Das Mitglied der sowjetischen Botschaft in Rolandseck bei Bonn, Jurij Alexandrowitsch Borokin, sah ungeduldig auf seine Armbanduhr. In einem Cafe am Rheinufer saß er, wo man einen herrlichen Blick hinüber zu den Rheininseln Nonnenwerth und Grafenwerth hatte, auf Bad Honnef und das Siebengebirge mit den sagenumwobenen Bergen Drachenfels, Petersberg und Ölberg. Es war ein heißer Maitag, der Himmel lag fahlblau hinter der Sonne, und über dem Rhein flimmerte die verdunstende Feuchtigkeit wie Glas eines Zerrspiegels. Borokin saß in einer Ecke, an einem Fenster der Rheinterrasse, trank ein kühles Bier und rauchte eine amerikanische Zigarette.

Er fiel in keiner Weise unter den anderen Gästen auf, die an diesem Morgen schon das Cafe füllten. Meist waren es Autofahrer, die eine kurze Rast einlegten, ehe sie weiterfuhren zu dem schönsten Teil des Rheins, dem romantischen Strom mit seinen Burgen auf den Weinhängen. Borokin trug einen hellgrauen Anzug, einen diskret gemusterten Schlips, flache Sandalen, und sein Gesicht war alltäglich, von einer langweiligen Regelmäßigkeit. Sogar sein dunkelbraunes Haar war glatt und zurückgekämmt und damit fast übersehbar.

Ein wenig lebhafter wurde er, als auf dem Parkplatz vor dem Cafe ein weißer, kleiner Sportwagen vorfuhr und eine junge Dame mit leuchtend blonden Haaren ausstieg. Sie hatte lange, schlanke Beine, trug ein Kleid mit einem Rock, der gerade die kleinen Knie bedeckte, und als sie jetzt mit trippelnden, wiegenden Schritten auf das Cafe zukam, ein Gesichtchen mit roten Lippen und nachgezogenen Augenkonturen, war sie eine Augenweide für einen Mann und ein Ärgernis für andere Frauen, vor allem für die verheirateten. Borokin beobachtete durch das Fenster, wie sie näher kam. In ihrem Gang drückte sich das Wissen aus, einen schönen, wohlgeformten Körper zu haben. Und wer ihre Augen sah, dunkelblau und samtweich, dachte an eine Schlafpuppe, die man in den Arm nimmt und nach hinten beugt, und die dabei die Wimpern schließt und leise >O Mama< flüstert.