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Der 57-jährige, mittelgroße, an Händen und Füßen gefesselte und in den Jahren seiner Haft sichtlich gealterte Exgau­leiter schnitt eine gelangweilte Grimasse, lehnte sich zurück und ließ den Blick durch das schalldichte Kellerverlies im berüchtigten Mokotów-Gefängnis wandern. Das Gegenstück zur Moskauer Lubjanka[14] war Endstation für ihn, das wusste der Kriegsverbrecher, der knapp 50.000 Ukrainer und Polen auf dem Gewissen hatte, natürlich genau.

»Und die wären?«, antwortete er gedehnt, trotz oder gerade wegen seines cholerischen Temperaments und der ausweglosen Situation von nicht mehr zu überbietender Arroganz beherrscht. »Falls es sich um die Nachricht handelt, dass Ihre Landsleute oder deren große Brüder aus Moskau mich demnächst aufknüpfen werden, machen Sie es bitte kurz.«

Des Deutschen und des Polnischen gleichermaßen mächtig, ließ sich der dunkelhaarige UB-Leutnant nicht aus der Ruhe bringen. »Eile mit Weile«, entgegnete er mit stoischer Gelassenheit, »oder haben Sie heute noch etwas vor, HerrGauleiter?«

»Mal sehen, was sich noch ergibt.«

»Eben.« Rein äußerlich sah Dariusz Guzik wie ein strebsamer Oberprimaner aus, aber davon durfte man sich im Gegensatz zu Erich Koch nicht täuschen lassen. »So viel Zeit, mir Ihr königliches Ohr zu leihen, werden Sie ja wohl noch haben.«

»Kommt drauf an, was sich mein Hofnarr so alles ausgedacht hat«, amüsierte sich Koch, während er der Gestalt, die von der Mitte der Verhörzelle aus kaum zu erkennen war, einen flüchtigen Blick zuwarf. Mit diesem Milchgesicht in Diensten der Staatssicherheit würde er allemal fertig werden, mit dem Kleiderschrank im Halbschatten neben der Tür wohl weniger. Doch das focht Erich Koch, bei dem man es während seiner Haft mit allen nur erdenklichen Schikanen und Verhörmethoden versucht hatte, nicht an.

Ein Fehler, wie sich bald erweisen sollte.

Guzik, an dem Kochs gezielte Provokation scheinbar spurlos vorübergegangen war, konterte mit einem Lächeln. »Wenn man bedenkt, dass Ihnen das Wasser bis zum Hals steht, Herr Gauleiter, kommt mir Ihr Benehmen reichlich überheblich vor.«

»Doch wohl meine Sache, oder?«

»Aber nicht, wenn man sich für den Tod von 47.565 Menschen zu verantworten hat«, konterte der Leutnant der Staatssicherheit und entknotete das Aktenbündel, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Zwangsarbeit, Judenvernichtung, Raub, Plünderungen und Mord: das für jene Zeit typische Szenario.« Guzik nahm Koch eingehend ins Visier. »Oder liege ich da falsch?«

»Menschen?«, höhnte Koch, mehr denn je überzeugt, mit einem Mann vom Schlage Guziks leichtes Spiel zu haben. »Habe ich da eben richtig gehört?«

Ein Schriftstück in Händen, das im Licht der Schreibtischlampe einen überdimensionalen Schatten warf, geriet die nach außen hin zur Schau getragene Unterkühltheit des UB-Leutnants ins Wanken. »Für jemanden wie Sie mag dies wie Hohn klingen, Koch, aber für das, was Sie auf Ihre Kappe nehmen müssen, werden Sie sich in Kürze zu verantworten haben.«

Über das eingefallene, durch gezielte Fausthiebe verunstaltete Gesicht des ehemaligen Provinzfürsten stahl sich ein gelangweiltes Lächeln. »Heißt das, ihr habt euch endlich dazu aufgerafft, mir den Prozess zu machen?«, fragte er, seine Hände auf dem Schoß und die Augenlider nur einen winzigen Spaltbreit offen. »Wurde auch langsam Zeit.«

»Immer mit der Ruhe, Koch«, murmelte Guzik beim Durchforsten der Akten, aus denen er sich die umfangreichste heraussuchte. »Bevor das zuständige Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit Ihrem Wunsch Folge leisten wird, hätte ich da noch ein paar Fragen.«

»Wenn, dann aber bitte nicht immer die gleichen.«

Nach außen hin betont sachlich, innerlich jedoch schäumend vor Wut, schob der polnische Geheimdienstoffizier den Aktenstapel beiseite und nahm sich die etwa zwei Dutzend Seiten umfassende Kladde mit der Aufschrift ›Bursztynowa Komnata – scisle tajne!‹[15] vor. »Ihr Problem, wenn Sie nicht mit offenen Karten spielen, Koch.«

»Warum sollte ich?«

»Vielleicht, um quasi in allerletzter Minute noch den Kopf aus der Schlinge zu ziehen«, erwiderte Guzik, kurz davor, endgültig die Geduld zu verlieren. Und vollendete: »Um beim Bild von einer Hinrichtung durch den Strang zu bleiben.«

»Frage: Glauben Sie allen Ernstes, ich verrate Ihnen das Versteck des Bernsteinzimmers, wenn Sie mich dafür ein paar Tage später an die Wand stellen?«

»Tod durch Erschießen – eigentlich viel zu human.«

»Bitte etwas lauter, mit meinem Gehör steht es nicht zum Besten.«

»Schluss mit der Schmierenkomödie!«, stauchte Guzik den ehemaligen Gauleiter zusammen, sprang auf und umrundete den Tisch. »Zur Sache: Trifft es zu, dass Sie sich noch am 5. April, also vier Tage vor der Kapitulation von Königsberg, im Hof des dortigen Schlosses aufgehalten haben? Um sich der Tarnung halber über den Fortgang der Aufräumungsarbeiten zu informieren? In Wahrheit, Herr Reichsverteidigungskommissar, hatten Sie ja wohl etwas ganz anderes im Sinn. Nämlich das Bernsteinzimmer. Trifft dies zu – ja oder nein? Antworten Sie, Koch, oder haben Sie tatsächlich Tomaten auf den Ohren?«

In den abschätzigen Blick, mit dem Koch den verhassten UB-Offizier beäugte, kam Bewegung. Kurze Zeit später hatte sich Hitlers ehemaliger Statthalter in Ostpreußen wieder im Griff. »Immer wieder die alte Leier. Bis zum Erbrechen. Sagen Sie, haben Sie nicht vielleicht etwas Interessanteres auf …«

»Trifft es weiterhin zu, dass Sie bereits am 27. und 28. Januar, also gut zwei Monate vor der Eroberung Königsbergs durch die Rote Armee, Ihr bis dahin unweit der Stadt verstecktes Beutegut abtransportieren ließen?« Auf dem besten Wege, Koch an die Gurgel zu gehen, konnte sich Guzik gerade noch bremsen. »Alle Achtung, Herr Gauleiter. Was dem Vernehmen nach auf Ihrem Landgut gehortet worden war, konnte sich wahrhaftig sehen lassen: Gemälde von unschätzbarem Wert, hochwertige Gobelins, Tafelsilber, Kerzenleuchter und andere Preziosen, größtenteils aus Museen in Kiew oder von anderen Orten in der Sowjetunion. Groß-Friedrichsburg muss eine wahre Schatzkammer gewesen sein. Fragt sich nur, wohin der Hort nach dem Abtransport verschwunden ist.«

»Keine Ahnung.«

»Am 9. Februar wurde er durch Ihren Hausverwalter im Landesmuseum von Thüringen in Weimar abgeliefert – ja oder nein?«

Koch zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen? Beim Endkampf um Königsberg musste ich schließlich meine ganze …«

»… Kraft einsetzen, ich weiß. Die alte Mär vom wackeren Reichsverteidigungskommissar, der die ostpreußische Muttererde bis zum letzten Atemzug verteidigt hat.« Guzik verzog das Gesicht und blätterte weiter. »Hier: ›Der ostpreußische Bauer und seine Familie verkrallen sich in ihre heimatliche Erde.‹ Originalton Erich Koch, der sich, wie inzwischen bekannt, an Bord des mit Flakgeschützen und Maschinengewehren ausgestatteten Eisbrechers Ostpreußen nach Norddeutschland abzusetzen geruhte, den auf einen gewissen Major Rolf Berger ausgestellten Wehrmachtsausweis im Gepäck. Pech, dass die Briten nicht lockergelassen und Sie vier Jahre später in der Nähe von Hamburg aufgespürt haben.« Auf dem glatt rasierten Gesicht des polnischen Geheimdienstoffiziers tauchte ein flüchtiges Lächeln auf. »Was uns beide zum eigentlichen Gegenstand dieser freundschaftlichen Unterhaltung bringt.«

»Und das nicht zum ersten Mal.«

»Stimmt. Und darum aufs Neue die Frage: an welchem Ort ist das Bernsteinzimmer …«

Ein heiseres, vor Überheblichkeit nur so strotzendes Lachen ließ den Redefluss des Geheimdienstlers jäh versiegen. »Korrigieren Sie mich«, fuhr Koch dazwischen, offenbar bester Laune. »Aber wäre die Jagd nach dem Bernsteinzimmer nicht Sache der Russen? Soweit ich informiert bin, gehört Königsberg inzwischen zur Sowjetunion.«

»Korrekt, Towarischtsch[16].« Zum ersten Mal während des Verhörs, im Grunde sogar während seiner dreijährigen Haft, spiegelte sich so etwas wie Furcht in Erich Kochs Gesicht. Weniger deshalb, weil der Unbekannte neben der Tür urplötzlich das Wort ergriff, sondern aufgrund des Tonfalls, mit dem dies geschah. Einer Stimme, die selbst dem abgebrühtesten Häftling Furcht und Respekt eingeflößt hätte.