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»Wie schön, dass wir wenigstens diesbezüglich der gleichen Meinung sind«, konterte Berija geschickt, schob die randlose Brille nach unten und schärfte dem ungeliebten Verbündeten mit gestrenger Miene ein: »Sie wissen doch, Georgi Maximilianowitsch – nur dann, wenn wir beide uns einig sind, wird es uns gelingen, diesen Bauerntrampel namens Chruschtschow von der Macht fernzu…«

Ein neuerliches Schrillen des Telefons, bei dessen Klang Berija erschrocken zusammenfuhr, machte dem Gespräch vorläufig ein Ende. Berija nahm ab, meldete sich, lauschte angestrengt und erblasste. »Abgestürzt?«, ächzte er, wobei sein Blick wie zufällig an dem Porträt seines politischen Ziehvaters haften blieb. »Und wo, Valentin Sergejewitsch?« Außerstande, die offensichtliche Hiobsbotschaft zu verdauen, saß Berija stocksteif auf seinem Sessel und hörte dem Anrufer mit wachsender Bestürzung zu. Ein Mann, der so gut wie nie seine Gefühle zeigte, ließ sich Berija zu einem lauten und vernehmlichen »Dermo!«[40] hinreißen, worauf Malenkow mit ostentativem Gleichmut reagierte.

»Schlechte Nachrichten?«, fragte der ZK-Sekretär nach, als Berija den Hörer wutentbrannt auf die Gabel geschleudert hatte.

»›Schlecht‹ ist gar kein Ausdruck!«, fuhr Berija seinen Gesprächspartner an, nicht ahnend, dass dieser demnächst die Fronten wechseln und er, Berija, nur noch neun Tage zu leben haben würde. »Die Operation Puschkin, so scheint es, ist endgültig gescheitert. Was nichts anderes bedeutet, als dass wir das Bernsteinzimmer endgültig abschreiben können.«

»Und damit den Prestigegewinn, den wir beide uns von seiner Entdeckung erhofft hatten«, vollendete Malenkow, zog den Vorhang zu und begab sich zur Tür. »Vielleicht doch keine so gute Idee, Kontakte zu knüpfen, die einem unter Umständen zum Verhängnis werden könnten.«

»Was hätte ich sonst machen sollen, Malenkow – einen meiner Agenten mit dem Auftrag betrauen? Sie wissen ebenso gut wie ich, dass Chruschtschow mittlerweile überallhin seine Spitzel lanciert hat. Inzwischen sind wir so weit, dass ich mich nicht einmal mehr auf meine eigenen Leute verlassen kann. Die kleinste Indiskretion, und die Sache wäre aufgeflogen. Und was dann, können Sie mir das vielleicht verraten? Was, wenn Chruschtschow davon erfahren hätte? Dann wären wir bis auf die Knochen blamiert gewesen.«

»Ich fürchte, Lawrenti Pawlowitsch«, entgegnete Malenkow, nahm seinen Hut vom Haken und öffnete die Tür, »ich fürchte, das sind wir sowieso.« Nur um etliche Sekunden später, nachdem sich die Tür bereits hinter ihm geschlossen hatte, hinzuzufügen: »Beziehungsweise Sie, Lawrenti Pawlowitsch – dafür werde ich schon sorgen.«

35

Berlin-Zehlendorf, Waldfriedhof | 17.42 h

»Alter: 33, geboren in Dresden, aus gutem – will scherzhafterweise sagen, arischem – Hause, Besuch des dortigen Gymnasiums, Abitur, Studium der Ingenieurswissenschaften mit Schwerpunkt Bergbau, vom Wehrdienst freigestellt, danach, kurz nach Beginn des Russlandfeldzuges, Eintritt in die SS. Ob zwangsweise oder aus freien Stücken, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Sei’s drum. Kurz vor Kriegsende die Rekrutierung für ein streng geheimes Kommandounternehmen mit dem Decknamen Alberich – was sich dahinter verbirgt, ist uns ja inzwischen bekannt.«

Wie immer, wenn es um Recherchearbeit ging, hatte Eduard Krokowski seine Sache ausgesprochen gut gemacht, hatte das, was er im Document Center in Erfahrung gebracht und Sydow soeben ins Ohr geflüstert hatte, Hand und Fuß. In Ermangelung eines Pfarrers beziehungsweise einer Grabrede muteten seine Worte jedoch ausgesprochen makaber an, und Sydow war kurz davor, dem Übereifer seines Assistenten einen Dämpfer zu verpassen. Aber dann, im Anschluss an Krokowskis Rapport, begannen beide Totengräber bereits damit, den Sarg in die Grube hinabzulassen, und so kam er ungeschoren davon.

Es war eine zutiefst bedrückende Szenerie, die sich Sydow bot, und wären Peters, Krokowski und Jensen nicht zur Stelle gewesen, der es sich nicht hatte nehmen lassen, seinem Kameraden das letzte Geleit zu geben, wäre sie noch viel bedrückender gewesen. Die Nachrichten aus Ostberlin trugen das Ihrige zu seiner düsteren Stimmung bei, und der Ort, an dem er sich befand, gab ihm den Rest. Die Stille und der Geruch nach Lehm, feuchtem Laub und morschem Holz waren kaum zu ertragen, selbst das Abendrot und die von der Gewitterschwüle gereinigte Luft kamen dagegen nicht an.

Doch bald war auch schon alles vorbei, Peters und Krokowski, der Jensen sofort unter seine Fittiche genommen hatte, auf dem Weg zurück zum Wagen. Da Sydow es nicht fertigbrachte, sich einfach so zu verdrücken, wartete er ab, bis das Trio seinen Blicken entschwunden war, pflückte ein paar Kornblumen und ließ sie unter den erstaunten Blicken der beiden Totengräber auf den schmucklosen Eichenholzsarg fallen.

»Sieh mal einer an, Herr Kommissar – so kenne ich Sie ja gar nicht.«

Viel zu erschöpft, um sich überhaupt noch über etwas zu wundern, verharrte Sydow auf der Stelle und sah den Totengräbern, die den Hinzugekommenen neugierig musterten, bei der Arbeit zu. Nach einiger Zeit, als dieser direkt neben ihm stand, rang er sich zu einer Erwiderung durch. »Vor Ihnen ist man auch nirgendwo sicher –«, flachste er und ergänzte: »Nicht mal auf dem Friedhof. Apropos, da fällt mir gerade ein: Wollten wir beide uns nicht duzen?«

»Nichts dagegen«, willigte Kuragin ein. »Jetzt, wo ich den Dienst quittiert habe, brauchen wir beide kein schlechtes Gewissen mehr dabei zu haben.«

Sydow zog die Brauen hoch, bedachte Kuragin mit einem kurzen Blick und sagte: »Na dann – willkommen in der Freiheit.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, gab Kuragin zurück, wenngleich nicht so, dass Sydow ihm hundertprozentig glaubte. »Ich habe sogar ein kleines Geschenk mitgebracht«, kündigte er daraufhin an, zog einen Umschlag hervor und drückte ihn Sydow in die Hand. »Ich denke, du weißt, worum es sich dabei handelt.«

Einigermaßen überrascht, wog Sydow das Kuvert in seiner Hand, betrachtete es von allen Seiten und fragte: »Hast du dir das auch genau überlegt?«

Kuragin lächelte. »Das mit meiner Kündigung? Na klar.«

»Trotzdem, ich finde, die Karte …«

»… gehört dir!«, vollendete Kuragin bestimmt. »Tu damit, was du für richtig hältst. Was mich betrifft, werde ich keine Ansprüche darauf erheben.«

»Ernsthaft?«

Kuragin, mindestens ebenso erschöpft, nickte. »Nur keine Hemmungen, ich habe mir die Sache gut überlegt.«

Weiterhin unschlüssig, starrte Sydow geraume Zeit ins Leere und ließ die Ereignisse der letzten 24 Stunden an sich vorüberziehen.

Im Anschluss daran atmete er tief durch, warf den Umschlag in Kempas Grab und wandte sich zum Gehen.

36

Berlin-Wannsee, Seestraße | 21.20 h

»Und was wird mit ihm geschehen?«, fragte Lea von Oertzen, packte das Verbandszeug zusammen und verschwand kurz in der Küche, um ihrem Patienten, der es sich auf der Terrasse bequem gemacht hatte, etwas zu trinken zu holen. »Ich meine, das werden die Russen doch nicht einfach so auf sich sitzen lassen. Von der Mafia, mit der dieser Holländer anscheinend handelseinig geworden war, gar nicht zu reden.«

»Das genau ist das Problem, da muss ich dir recht geben«, stimmte Sydow zu, legte seinen Fuß hoch und betrachtete den Wannsee, auf dessen spiegelglatter Oberfläche sich das Licht der untergehenden Sonne spiegelte. Hier, umgeben von Birken, englischem Rasen und Schmuckbeeten, konnte man es wirklich aushalten, und so ließ er fünf gerade sein, die Arme auf der Lehne der schmiedeeisernen Gartenbank ruhen und die Aura, welche Leas selbst geschaffene Idylle verbreitete, auf sich wirken. »Er wird nicht umhinkommen, möglichst rasch eine neue Identität anzunehmen.«

»Und Jensen?«, fragte Lea, ein Tablett mit Sandwiches, einer Teekanne und Keksen in der Hand, als sie sich wieder zu ihm gesellte. »Was wird aus ihm?«